Rundbrief 2025-11 O Land, höre des Herrn Wort
HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief November 2025!
Am Mittwoch, 19. November 2025 ist in Deutschland der evangelische Feiertag Buß- und Bettag. Dieser ist immer vor dem Ewigkeitssonntag Ende November, dem letzten Sonntag des evangelischen Kirchenjahres. Persönliche Schuld, Umkehr, Gebet und Neuanfänge im Leben und im Glauben stehen in evangelischen Gottesdiensten im Mittelpunkt.
In Deutschland (außer in Sachsen) wurde der Buß- und Bettag 1995 als gesetzlicher Feiertag abgeschafft, damit die Mehrbelastung für die Arbeitgeber durch die Beiträge zur neu eingeführten Pflegeversicherung durch Mehrarbeit der Arbeitnehmer ausgeglichen werden sollten. In Österreich ist der Buß- und Bettag kein gesetzlicher Feiertag und wird auch in evangelischen Gottesdiensten kaum oder nicht thematisiert.
Der Buß- und Bettag am 16. November 1938 wurde zu einem einschneidenden Tag für das Leben des evangelischen Pfarrers Julius von Jahn, der am 17. April 1897 in Schweindorf (Baden-Württemberg) geboren wurde. In seiner Predigt über das Bibelwort aus Jeremia, Kapitel 22, Vers 29 -„O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“ in der evangelischen Kirche Oberlenningen (Baden-Württemberg), in der er die Reichsprogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, mit der die Verfolgung der jüdischen Mitbürger in Deutschland und Europa durch die Nazis begann, scharf anprangerte und kritisierte und somit seine Stimme gegen das Naziregime erhob. Mit seiner Überzeugung brachte er sich und seine Familie in Lebensgefahr. Zwei Wochen nach der Predigt wurde er verhaftet. Misshandlung, Gefängnishaft und Landesverweisung waren die Konsequenzen. Er überlebte den Zweiten Weltkrieg, wurde Pfarrer in Stuttgart und starb am 21. September 1964 in Korntal (Baden- Württemberg). Julius von Jan erhielt von der Holocaust–Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem den Ehrentitel „Ein Gerechter unter den Völkern.“
In seiner Predigt heißt es: „Der Prophet ruft: O Land, Land, höre des Herrn Wort! … Seit fast 30 Jahren predigt er dem Volk des Herrn Wort. Er widerspricht den Lügenpredigten derer, die in nationaler Schwärmerei Heil und Sieg verkündigen. Aber er wird nicht gehört. Immer einsamer wird der treue Gottesmann. Da kommt die große Stunde, wo Gott seinen Propheten ruft: Gehe hinab in das Haus des Königs selbst und rede dies Wort: ‚Haltet Recht und Gerechtigkeit und errettet den Beraubten von des Frevlers Hand, und schindet nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen, und tut niemand Gewalt, und vergießt nicht unschuldig Blut an dieser Stätte …‘ (Jeremia 22, 2 - 9) … Der König verhärtete sich gegen das Gotteswort und wurde plötzlich vom Feind in Gefangenschaft abgeführt; sein Nachfolger verfolgte den Propheten und starb nach kurzer Herrschaft; und der 3. König war nur 3 Monate am Ruder, da fiel er in die Hände der Babylonier! … In kurzer Zeit war die Herrlichkeit von drei unbußfertigen Königen Jerusalems dahin. In tiefem Schmerz darüber schreit Jeremia in sein Volk hinein: 0 Land, Land, Land, höre des Herrn Wort! … 0 Land, liebes Heimatland, höre des Herrn Wort! In diesen Tagen geht durch unser Volk ein Fragen: Wo ist in Deutschland der Prophet, der in des Königs Haus geschickt wird, um des Herrn Wort zu sagen? Wo ist der Mann, der im Namen Gottes und der Gerechtigkeit ruft, wie Jeremia gerufen hat: Haltet Recht und Gerechtigkeit, errettet den Beraubten von des Frevlers Hand! Schindet nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen, und tut niemand Gewalt und vergießt nicht unschuldig Blut? Gott hat uns solche Männer gesandt! Sie sind heute entweder im Konzentrationslager oder mundtot gemacht. Die aber, die in der Fürsten Häuser kommen und dort noch heilige Handlungen vollziehen können, sind Lügenprediger wie die nationalen Schwärmer zu Jeremias Zeiten und können nur Heil und Sieg rufen, aber nicht des Herrn Wort verkündigen … Wenn nun die einen schweigen müssen und die andern nicht reden wollen, dann haben wir heute wahrlich allen Grund, einen Bußtag zu halten, einen Tag der Trauer über unsre und des Volkes Sünden … Hier haben wir die Quittung bekommen auf den großen Abfall von Gott und Christus, auf das organisierte Antichristentum. Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote Gottes missachtet, Gotteshäuser, die andern heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum der Fremden geraubt oder zerstört, Männer, die unsrem deutschen Volk treu gedient haben und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben, wurden ins KZ geworfen, bloß weil sie einer anderen Rasse angehörten! … Und wir als Christen sehen, wie dieses Unrecht unser Volk vor Gott belastet und seine Strafen über Deutschland herbeiziehen muss … Ja, es ist eine entsetzliche Saat des Hasses, die jetzt wieder ausgesät worden ist. Welche entsetzliche Ernte wird daraus erwachsen, wenn Gott unsrem Volk und uns nicht Gnade schenkt zu aufrichtiger Buße. Wenn wir so reden von Gottes Gerichten, so wissen wir wohl, dass manche im Stillen denken: Wie kann man auch heute von Gottes Gerichten und Strafen über Deutschland reden, wo es so sichtbar aufwärts geht und in diesem Jahr zehn Millionen Deutsche mit dem Reich vereinigt worden sind. Da sieht man doch Gottes Segen über unsrem Volk! Ja, es waltet eine erstaunliche Geduld und Gnade Gottes über uns. Aber gerade deshalb gilt es: 0 Land, Land, Land, höre des Herrn Wort! Höre jetzt endlich! Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? … Äußeres Glück, äußere Erfolge führen uns Menschen nur zu leicht in einen Hochmut hinein, der den ganzen göttlichen Segen verdirbt und deshalb in tiefem Fall endet. Darum ist uns der Bußtag ein Tag der Trauer über unsere und unsres Volkes Sünden, die wir vor Gott bekennen, und ein Tag des Gebets: Herr, schenk uns und unsrem Volk ein neues Hören auf dein Wort, ein neues Achten auf deine Gebote! Und fange bei uns an. Wir gehen so gern eigene Wege. Wir tun so vielerlei und nehmen uns so wenig Zeit zu der Stille, in der wir des Herrn Wort vernehmen dürften, sei's im Gottesdienst, sei's im Kämmerlein … Ein Christ, der nicht jeden Morgen diese Stille zum Hören sucht, gefährdet sich selbst und schadet der Sache seines Herrn. Denn ohne des Herrn Wort sind wir allen dämonischen Gewalten preisgegeben und allen verführerischen Stimmen der Unterwelt … Und wenn wir heute mit unsrem Volk in der Buße vor Gott gestanden sind, so ist dies Bekennen der Schuld, von der man nicht sprechen zu dürfen glaubte, wenigstens für mich heute gewesen wie das Abwerfen einer großen Last. Gott Lob! Es ist herausgesprochen vor Gott und in Gottes Namen. Nun mag die Welt mit uns tun, was sie will. Wir stehen in unsres Herren Hand. Gott ist getreu. Du aber, o Land, Land, Land, höre des Herrn Wort! Amen." (Quelle: Martin Stährmann: Julius von Jan. Ein aufrechter Pfarrer wider die Nationalsozialisten, Stuttgart 2020, S. 185 – 188.)
Das Vermächtnis von Julius Jan für unsere Zeit ist: Er „nahm seinen Glauben ernst; sein Gewissen, sein Gehorsam gegen Gott brachte ihn dazu, für die verfolgten Juden einzustehen. Sein Widerstand gegen das Unrecht des Nationalsozialismus ist ein steter Aufruf … an alle Menschen …: Wann ist der Ruf zur Buße, zur Umkehr an der Zeit? Wann gilt gilt es, durch Reden und Handeln sich einzumischen, Zivilcourage zu zeigen, Missstände aufzuzeigen, für andere einzustehen, dem Rad in die Speichen zu fallen? … Die Demokratie ist bedroht … Hier ist jeder Mensch aufgefordert …, für die Demokratie einzustehen. Sie ist mit allen Schwächen und Vorzügen die beste Staatsform, die es gibt. Julius von Jan hat uns ein zeitloses Vermächtnis hinterlassen: Als es darauf ankam, spürte er, was Gott von ihm wollte, und folgte seinem Gewissen.“
(Quelle: Martin Stährmann: Julius von Jan. Ein aufrechter Pfarrer wider die Nationalsozialisten, Stuttgart 2020, S. 174 f.)
Dieses zeitlose Vermächtnis von Julius von Jan gilt auch für Dietrich Bonhoeffer. Auch er spürte, was Gott von ihm wollte, und folgte dann seinem Gewissen. Bonhoeffer hat über zahlreiche Bibeltexte aus dem Buch Jeremia gepredigt, aber nicht über Jeremia 22, 29. Als das Predigerseminar Finkenwalde durch die Nazis geschlossen wurde, setzte Bonhoeffer seine Ausbildung von angehenden Pfarrern in einem evangelischen Pfarrhaus in Köslin illegal fort. Auch dort brannten die Synagogen. Diese öffentliche Demütigung der jüdischen Mitbürger hat Bonhoeffer unmittelbar in Köslin erlebt. Es gab aber keinen öffentlichen Protest und kein offenes Wort nach draußen durch ihn gegen das Judenprogrom vom 9./10. November 1938. Er war damals nicht Pfarrer einer Kirchengemeinde, von dessen Kanzel er am Buß- und Bettag hätte predigen können. Außerdem hätte er die Aufmerksamkeit der Gestapo auf die illegale Theologenausbildung gelenkt, wodurch er seine Mitbrüder gefährdet hätte. Es muss allerdings deutlich hervorgehoben werden, dass Bonhoeffers Hauptmotiv für seinen aktiven politischen Widerstand die Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und Europa gewesen ist. Das verdeutlichen besonders seine Schriften: „Die Kirche vor der Judenfrage“ (abgedruckt in: Berlin 1932 - 1933, Dietrich Bonhoeffer Werke Band 12, S. 349 – 358); „Der Führer und der Einzelne in der jungen Generation“ (abgedruckt in: Berlin 1932 – 1933, Dietrich-Bonhoeffer-Werke Band 12, S. 242 - 260); Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943 mit seiner berühmten Frage: „Sind wir noch brauchbar?“ (abgedruckt in: Widerstand und Ergebung, Dietrich-Bonhoeffer Werke Band 8, S. 19 – 39); seine Ausführungen zur Schuld der Kirche an den Unzähligen, die ermordet, verfolgt, verleumdet und denunziert wurden (abgedruckt in: Ethik, Dietrich-Bonhoeffer-Werke Band 6, S. 125 – 136). In theologischer Hinsicht war die Nacht der Synagogenbrände für Bonhoeffer bedeutsam, denn in seiner täglich benutzten Bibel schreibt er zum Vers 8 des Psalms 74 („Sie verbrannten alle Gotteshäuser im Lande“) das Datum „9.11.38“. Dieser Datumseintrag macht Bonhoeffers Erregung und Erschrecken über die Parallele zwischen der Verwüstung des Heiligtums aus der Zeit des Psalmbeters und der Verwüstung von Kirchen und Synagogen in Bonhoeffers Gegenwart deutlich. An Bonhoeffers Leben und Wirken wird sehr anschaulich, wie das geschriebene Wort Gottes den Leser treffen und so zu einem persönlichen Wort für seine Gegenwart werden kann mit der Mahnung: O Land, hört des Herrn Wort!
(Siehe zu Bonhoeffers Reaktion auf die Reichskristallnacht: Illegale Theologenausbildung, Sammelvikariate 1937 – 1940, Dietrich-Bonhoeffer-Werke Band 15, S. 589 – 593 / Nachwort des Herausgebers)
Fragen zum Nachdenken:
- Hast Du von Julius von Jan gewusst? Was weißt Du über ihn?
- Welche Aussagen seiner Predigt haben Dich angesprochen?
- Wo hast Du Dich schuldig gemacht?
- Welche Vor- bzw. Nachteile hat die Demokratie für Dich?
- Worin besteht das Vermächtnis Bonhoeffers für unsere Zeit bzw. für Dein Leben?
Lesen wir bis zum Rundbrief Dezember 2025: Psalm 79; Matthäus-Evangelium, Kapitel 10, die Verse 5 - 15.
Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe
