Rundbrief 2025-02 Lasst euch nicht irreführen

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HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Feber 2025!

Von dem gewaltbereiten christlichen Nationalismus in den USA und woanders, die das Leben Bonhoeffers für diesen missbrauchen und instrumentalisieren, distanziert sich unser Verein mit aller Entschiedenheit und Entschlossenheit.

Im November 2024 war in US-amerikanischen Kinos der von Todd Komarnicki produzierte Film „Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin“ (Bonhoeffer: Pastor, Spion, Attentäter) zu sehen. Die Dreharbeiten waren in Irland und Belgien. Im November 2023 erwarben die „Angel Studios“ die weltweiten Rechte für diesen Film. In diesem - ob er auch einmal im deutschsprachigen Raum zu sehen sein wird, ist unklar - haben auch deutsche Schauspieler mitgewirkt: Jonas Dassler spielte Dietrich Bonhoeffer; August Diehl spielte Martin Niemöller (1892 – 1984, war evangelische Pfarrer und wie Bonhoeffer Christ im Widerstand gegen die Nazis); Moritz Bleibtreu spielte Bonhoeffers Vater Karl (1868 – 1948, war Psychiater und Neurologe an der Charité in Berlin). In diesem Film wird das Leben und Vermächtnis Dietrich Bonhoeffers von christlichen Nationalisten und rechtsextremen Antidemokraten in den USA verfälscht und missbraucht, indem Bonhoeffer als Idol gewaltbereiter Trump-Sympathisanten dargestellt wird. Mit öffentlichen Statements protestierten Mitglieder der Bonhoeffer-Familie und deutsche und amerikanische Theologen gegen diesen Film. Auch die oben genannten Schauspieler distanzierten sich von diesem Missbrauch Bonhoeffers Vermächtnisses.       

Am 16. Oktober 2024 erschien der offene Brief der Familie Bonhoeffer, den 86 von 100 erwachsenen Nachkommen der Bonhoeffer-Geschwister unterschrieben haben, unter anderem der in London lebende Dietrich Bethge, Patenkind Bonhoeffers, der uns im Oktober 2023 besuchte, und der in Hamburg lebende Klaus von Dohnanyi, Neffe Bonhoeffers.

In dem Brief heißt es: „Mit Entsetzen verfolgen wir, wie das Vermächtnis von Dietrich Bonhoeffer zunehmend von rechtsextremen Antidemokraten, Fremdenfeinden und religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht wird. Als direkte Nachfahren der sieben Geschwister des Theologen und von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers können wir aufgrund der Familienüberlieferung bezeugen: er war ein friedliebender, freiheitlich gesinnter Menschenfreund. Niemals hätte er sich in der Nähe rechtsextremer, gewalttätiger Bewegungen gesehen, die heute versuchen, ihn zu vereinnahmen. Im Gegenteil, er hätte genau diese Haltungen kritisiert. Eine Schlüsselfigur für diesen Missbrauch ist Eric Metaxas, dessen 2010 zunächst in den USA erschienene Bonhoeffer-Biographie eine Millionenauflage erreichte. Darin verengte er den Blick auf Bonhoeffers Leben und machte aus ihm einen frommen Evangelikalen. Inzwischen ein radikaler Trump-Anhänger, vergleicht er regelmäßig US-Präsident Biden mit Hitler, spricht vom „totalen Krieg“ und postet Fotos mit einer Pistole auf der Bibel: „So we can now finally clearly see that Biden is our Hitler. In 1933-34. See my Bonhoeffer book for details. The parallels are staggering and increasingly obvious. Pray for this nation. PRAY.“ Die rechts-evangelikale Produktionsfirma Angel Studios, die sich die Rechte für einen neuen Bonhoeffer-Film gesichert hat, wirbt jetzt auf X: „The battle against tyranny begins now. Watch Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin“. Auf dem Bild dazu hat Dietrich Bonhoeffer eine Pistole in der Hand. Der die Geschichte verdrehende Biopic, der Bonhoeffer zu einem evangelikalen Heiligen stilisiert, soll direkt nach der US-Präsidentenwahl in die Kinos kommen. Dietrich Bonhoeffer war kein Einzelkämpfer. Die Familie Bonhoeffer hielt und arbeitete in diesen Zeiten eng zusammen. Dietrichs Bruder Klaus und seine Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher wurden wie Dietrich hingerichtet, weil sie im Widerstand aktiv waren. Die Suche nach Wahrheit, Aufrichtigkeit, Menschlichkeit und der Kampf für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie trieb sie an. Religiöser Eifer, Nationalismus, Militarismus und blinder Gehorsam wurden abgelehnt. Wer sich auf Dietrich Bonhoeffer für die Rechtfertigung antidemokratischer, fremdenfeindlicher Bestrebungen beruft, ist falsch informiert oder böswillig. Die zunehmende Trivialisierung und Verkitschung von Bonhoeffers Vermächtnis hat diesem Missbrauch Vorschub geleistet. Er war ein vielschichtiger Denker, der sich vor allem mit Fragen der Ethik befasste. Anders als die Mehrheit der Deutschen verschloss er nicht die Augen vor Entrechtung, Unterdrückung und Massenmord. Aus dem Zusammenhang gerissen, zu frommen Sprüchen und Widerstandspathos degradiert, sind Bonhoeffer-Zitate zu Versatzstücken verkommen, mit denen sich inzwischen vom Project 2025 – dem Programmvorschlag der Heritage Foundation für Trump – bis zum deutschen Rechtsextremisten Höcke auch viele schmücken, deren Absichten Bonhoeffers Denken und Handeln diametral widersprechen. Theologen und Historiker, die sich eingehend mit Dietrich Bonhoeffer und seinem Umfeld befassen, haben sich seit Jahren mit deutlichen Stellungnahmen gegen solche Vereinnahmungen gewendet, zuletzt vor wenigen Tagen. Dafür sind wir dankbar. Wir Nachkommen können über die in der Familie überlieferte Haltung berichten. Wir sind damit aufgewachsen, dass viel über Widerstand gegen den Nationalsozialismus, seine Motive und Konsequenzen erzählt und debattiert wurde. Vor dem Hintergrund der weltweiten Zunahme von Intoleranz, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, von Nationalismus und autoritären Tendenzen ist es uns wichtig, öffentlich klarzustellen: Dietrich Bonhoeffer hat zeit seines Lebens gegen einen Geist der Enge, der Unfreiheit, und der Ausgrenzung gekämpft. Dass die heutigen Feinde der Freiheit Dietrich Bonhoeffers Leben und Werk instrumentalisieren, um ihre Positionen zu rechtfertigen, ist an Zynismus nicht zu überbieten. Überzeugen werden wir diese Demagogen nicht. Aber insbesondere den amerikanischen Wählern rufen wir zu: Lasst Euch nicht irreführen, schaut Euch die Geschichte genau an, nur gemeinsam und im Geist der Freiheit und Nächstenliebe werden wir unsere Probleme lösen. Genau dafür steht Dietrich Bonhoeffer.“ (Quelle: Zeitschrift Verantwortung Nummer 74, Dezember 2024, herausgegeben von der „Martin-Niemöller-Stiftung und des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins e.V.“, S. 48 f)

In dem öffentlichen Statement der deutschen und amerikanischen Theologen, das unter anderem Lori Brandt Hale, Präsidentin der internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft, Englischsprachige Sektion und Florian Höhne, Präsident der internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft, Deutschsprachige Sektion unterschrieben haben, heißt es: „Christliche Nationalisten berufen sich immer häufiger auf Dietrich Bonhoeffer – vor allem in der aufgehetzten politischen Stimmung in den USA. Vor diesem Missbrauch möchten wir auf diesem Wege eindringlich warnen, Dietrich Bonhoeffer war ein Theologe und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, der im April 1945 auf Befehl Hitlers hingerichtet wurde. Heuet werden sein Leben und sein Werk zunehmend dazu benutzt, politische Gewalt zu legitimieren. Dafür werden historisch falsche Gleichsetzungen zwischen unserer Gegenwart und dem totalitären Nazi-Regime behauptet. Solche Narrative sind brandgefährlich … In den Vereinigten Staaten findet sich die gefährliche Widerstands-Rhetorik … vor allem in Kreisen, die sich dem christlichen Nationalismus verschrieben haben … Auch heute setzen christliche Nationalisten in den USA ihre politischen Gegner mit Nazi-Verbrechern gleich und stellen ihre eigenen militanten Aktionen auf eine Stufe mit dem Widerstand gegen nationalsozialistische Schreckensherrschaft. Sie missbrauchen Dietrich Bonhoeffers Widerstand gegen Hitlers Regime als Tarnung für ihre Agende und ihre zunehmende Gewaltbereitschaft … Der amerikanische Autor Eric Metaxas machte mit seiner populären Biografie Bonhoeffer: Pastor, Martyr, Prophet, Spy (deutscher Titel Bonhoeffer: Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet) … den Widerstandskämpfer schon 2010 für den christlichen Nationalismus verfügbar … Sein neuestes Buch, Religionsloses Christentum: Gottes Antwort auf das Böse (2024) beginnt mit dem Satz: ‚Wir sind im Krieg‘ … Eric Metaxas ist kein vertrauenswürdiger Erzähler von Bonhoeffers Lehren und Leben … Dietrich Bonhoeffer selbst bietet die beste Verteidigung gegen den Missbrauch seines Lebens und seiner Arbeit … Sein Leben war bestimmt von der Frage: ‚Wer ist Christus für uns heute?‘ Bonhoeffer lehrt uns, dass Christus im Leiden der Nächsten zu finden ist … So hat er Christen und Nichtchristen in aller Welt inspiriert, sich für eine solidarische und menschliche Gesellschaft einzusetzen.“ (Quelle: Die Zeit, Printausgabe vom 17.10.2024)

Der amerikanische Buchautor Eric Metaxas (geboren 1963) wird auch mit seiner 2010 erschienen Bonhoeffer-Biografie „Bonhoeffer: Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet“ für den gewaltbereiten christlichen Nationalismus verantwortlich gemacht. Das Buch Metaxas steht in unserer Bonhoeffer-Bibliothek und ist gut und flüssig zu lesen. Die Kritik an diesem Buch hat mich verwundert, weil Statements von Bonhoeffer-Experten das Buch loben und dem Verfasser durchaus als einen seriösen Erzähler des Lebens und der Lehre Bonhoeffers ansehen.

Rainer Mayer (geboren 1941, war Professor für Systematische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Mannheim) schreibt in seinem Vorwort zur deutschen Fassung des Buches: „[Es] ist bei der Bonhoeffer-Interpretation eine verbreitete Unsitte geworden, Bonhoeffer durch die einer eigenen im voraus festgelegten politischen oder theologischen Meinung zu betrachten, um sich auf ihn als Kronzeugen dafür zu berufen. – Eric Metaxas zu lesen ist dem gegenüber erquickend und befreiend. Er lässt uns, soweit es aus dem geschichtlichen Abstand irgend möglich ist, das Original sehen. Bonhoeffer bleibt Bonhoeffer.“ (Quelle: a. a. O., S. 15)               

Peter Zimmerling (geboren 1958, Professor für Praktische Theologie an der Universität Leipzig) schreibt: „Dietrich Bonhoeffer gehört zu den ‚guten Deutschen‘. Gerade sein Martyrium macht ihn so glaubwürdig. Sein Leben und Werk wirkten schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg als Brücke zu Verständigung zwischen Deutschland und seinen früheren Kriegsgegnern. Seitdem sind Jahrzehnte vergangen. Bonhoeffers Bedeutung droht in Vergessenheit zu geraten. Indem der Autor den Menschen in den Fokus rückt, kommt der Leser Bonhoeffer hautnah. Anschaulich und packend geschrieben, stellt das Buch – gerade für jüngere Menschen – einen wunderbaren Einstieg in die Beschäftigung mit ihm dar.“ (Quelle: a. a. O., S. 5)

Als 2011 die deutsche Fassung von Eric Metaxas Buch erschien, hörte ich eine Leseprobe im Radiosender Evangeliums-Rundfunk, die mich angesprochen hat. Daraufhin kaufte ich dieses Buch und las es, weil ich mit diesem meine Bonhoeffer-Kenntnisse nur auffrischen wollte. Es kam aber anders. Der kleine Abschnitt „Gottes Gefangener“ (a. a. O., S. 259 – 261) hat mich besonders angesprochen, weil dort auf eine Predigt Bonhoeffers über Jeremia, Kapitel 20, Vers 7 (Lutherbibel 2017: „Herr, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.“) hingewiesen wird, die er am 21. Jänner 1934 in London gehalten hat. In dieser Predigt geht es um das sogenannte „Jeremia-Motiv“ in Bonhoeffers Biographie (siehe dazu die Ausführungen in Peter Zimmerlings Buch „Bonhoeffer als Praktischer Theologe“, S. 94 – 97!). Bonhoeffer hat wahrscheinlich eine große Parallele zwischen dem Leben des Propheten Jeremia und seinem Leben wahrgenommen. Beide spürten den übermächtigen Ruf Gottes, dem beide zu gehorchen hatten, auch wenn beide bei sich selbst Widerstand gegen diesen Ruf spürten. Diese Londoner Predigt und dieses Jeremia-Motiv hat mich so sehr existentiell berührt, weil ich auch diesen übermächtigen Ruf Gottes in meiner Biographie spürte und spüre. Folglich wurde meine Beschäftigung mit Bonhoeffer immer intensiver. Auch wenn Metaxas Bonhoeffer-Biographie und andere Bücher und Äußerungen von ihm zum gegenwärtigen und abzulehnenden Missbrauch Bonhoeffers in den USA beigetragen haben, muss aber festgehalten werden, dass ohne dieses Buch meine intensive Beschäftigung mit Bonhoeffers Leben und Werk wohl nicht begonnen hätte und dass die Gründungsversammlung unseres Vereins am 9. April 2015 zum 70. Todestag Bonhoeffers auch nicht feierlich vollzogen worden wäre. 

Fragen zum Nachdenken:

 Hast Du von diesem Missbrauch Bonhoeffers durch christliche Nationalisten in den USA gewusst?

  • Würdest Du den neuen Bonhoeffer-Film anschauen, wenn dieser in unseren Kinos gezeigt wird?
  • Wer beruft sich in Deutschland oder Österreich auf Bonhoeffer als Kronzeuge für seine Zwecke und Anschauungen?
  • Welches der beiden öffentlichen Statements hat dich angesprochen?
  • Kennst Du das Buch von Eric Metaxas?

Lesen wir bis zum Rundbrief März 2025: Psalm 71; Matthäus-Evangelium, Kapitel 8, die Verse 28 – 34.  

Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe