Rundbrief 2024-08 Bewunderung für Bonhoeffer

Posted in Blog

HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief August 2024!

Mein Rundbrief Juni 2016 beschäftigte sich mit dem evangelischen Theologen Jürgen Moltmann und Bonhoeffers Impulsen für seine Theologie. Mit Jürgen Moltmann verstarb am 3. Juni 2024 in Tübingen (Stadt im deutschen Bundesland Baden Württemberg) ein Theologe von Weltrang.

Er wurde 98 Jahre alt. Von 1967 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1994 lehrte er Systematische Theologie und Sozialethik an der evangelischen Fakultät der Universität Tübingen und wirkte theologisch noch Jahrzehnte danach. Moltmann wurde am 8. April 1926 in Hamburg geboren und wuchs in einem kirchenfernen Elternhaus auf. Geprägt wurde er von den Ereignissen des zweiten Weltkriegs, nachdem er im Jahr 1943 als 17-jähriger Flakhelfer zur Wehrmacht eingezogen wurde. Durch diese und durch die nationalsozialistischen Verbrechen stellte er sich die Frage nach Gott. Vor allem die Psalmen, besonders der Psalm 39, legten die Grundlagen für sein späteres theologischen Denkens. 1964 entstand wohl sein berühmtestes Werk, das in der deutschen und internationalen theologischen Welt großes Aufsehen erregte - die „Theologie der Hoffnung“. Gemeint ist die christliche Hoffnung auf Gottes neue Welt, die in den Taten und Worten Jesu und in seiner Auferstehung von den Toten bereits aufgeblitzt ist. Daher gehören für Moltmann Glauben und Handeln stets zusammen. Seine Theologie richtet sich gegen ungerechte Lebensstrukturen auf der Welt angesichts der Bedrohungen des Friedens, der Demokratie und der Natur. Ihm wurden 20 Ehrendoktorwürden verliehen. Zu Recht zählt Jürgen Moltmann mit Karl Barth (1886 – 1968), Rudolf Bultmann (1884 – 1976), (Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945), Paul Tillich (1886 – 1965), Wolfhart Pannenberg (1928 – 2014) und Hans Küng (1928 – 2021) zu den bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. 2016 erschien sein letzter Aufsatzband „Hoffen und Denken“ mit dem Abschnitt „Theologie mit Dietrich Bonhoeffer“.

Dort heißt es: „Dietrich Bonhoeffer ist zweifellos der bekannteste deutsche Theologe des 20. Jahrhunderts … Durch sein Martyrium im KZ Flossenbürg am 9. April 1945 wurde er zu einem glaubwürdigen Theologen, der lebte, was er verkündete … Ich will … beschreiben, wo er mich angeregt hat und was ich ihm verdanke, und auch nicht verschweigen, wo ich andere Wege gegangen bin. Ich spreche … über: Theologie mit Dietrich Bonhoeffer, denn ich halte seine Einsichten in den Gefängnisbriefen 1943/1944 nicht für überholt, sondern im Gegenteil für höchst aktuell und von der gegenwärtigen Theologie durchaus noch nicht eingeholt … In einem [Kriegsgefangenenlager] kam mir zuerst Bonhoeffers Nachfolge in die Hände … Dann kam [sein Buch] Gemeinsames Leben [und die Ethik] … Dann kam 1951 Widerstand und Ergebung und schlug bei mir wie eine Bombe ein … Ich gewann durch sie [Gefängnisbriefe] eine neue Liebe zum Leben und eine eigene Theologie des vollen Lebens. Bonhoeffers Theologie des Lebens geht bis heute mit mir … In der Enge der Gefängniszelle wurden Bonhoeffers Gedanken weit … Sein theologisches Interesse wendet sich von der Kirche … zur Welt …  Er entdeckt die Freiheit der säkularen Welt, die Würde des irdischen Lebens, die eigene Botschaft des Alten Testaments, die Schönheit der Erde, den Reichtum der Kultur und die Lust am diesseitigen Leben … Glauben heißt für ihn, das Leben bis zum gewaltsamen Tod zu bejahen und damit an der leidenschaftlichen Liebe Gottes zu seiner Welt auf dieser Erde bis hin zum ‚Leiden Gottes‘ an den Widersprüchen dieser Welt teilzunehmen … Dietrich wollte in der ganzen ‚Polyphonie des Lebens‘, in der Schönheit, dem Schmerz und der Liebe des Lebens ‚glauben lernen‘ … Vehement verwirft Bonhoeffer die Jenseitssehnsucht der Erlösungsreligion. Wahres Christentum ist keine Erlösungsreligion … Im Gefängnis wurden Bonhoeffers Gedanken weit und richteten sich auf die Diesseitigkeit Gottes und die echte Wirklichkeit des Glaubens … Dietrich Bonhoeffer hat beiden Anfechtungen eines Gefangenen widerstanden, der Traumwelt … wie der Selbstaufgabe in Resignation. Er hat in seinen Gefängnisbriefen das genaue Gegenteil geglaubt, verkündet und praktiziert: die Liebe zum Leben trotz der Schmerzen, die sie einbringt, und diese volle Diesseitigkeit des Bewusstseins trotz des gewaltsamen Todes, der nächtlich vor ihm stand. Ich bewundere Bonhoeffer dafür und fühle mich beim Lesen dieser Briefe getröstet und befreit vom Druck jener Anfechtungen, die ich noch heute deutlich spüre, wenn ich an jene Zeit denke … Ich glaube, dass Bonhoeffer im Gefängnis 1944 auf seine frühe Erkenntnis der christlichen Treue zur Erde … zurückgekommen ist, den kraft dieser Treue war er ja in den Widerstand gegen das Böse und das Blutvergießen auf der Erde gegangen und in die Gefangenschaft der Massenmörder geraten. Die Treue zu Gottes geliebter Erde ist … der theologische Grund für seine Betonung der ‚Diesseitigkeit‘ Gottes und seine Weltlichkeit des Glaubens … Ich glaube, wir haben die theologische Umkehr noch nicht ganz begriffen, die Bonhoeffer … erkannt [hat] … Ist nicht diese Erde, sondern der Himmel unsere Heimat, dann wird uns die Erde unwichtig oder gleichgültig: Wir sind ja nur kurze Zeit auf ihr zu Gast; also benehmen wir uns wie Gäste und hinterlassen unseren Müll … Um unseren Beitrag zum Weg aus der ökologischen Apokalypse zu finden, brauchen wir die Treue zur Erde, die Bonhoeffer gefunden hatte, obwohl er von unserer ökologischen Krise nichts wissen konnte … Bonhoeffer hat nicht einen allgemeinen, neutralen, sondern einen speziellen, polemischen Religionsbegriff. Summe aller Religionen ist für ihn die ‚Erlösungsreligion‘ … In ihr geht es um das Seelenheil des Einzelnen in jenen himmlischen ‚Hinterwelten‘ religiöser Weltflucht. Gegen die These vom Christentum als der wahren ‚Erlösungsreligion‘ hatte Bonhoeffer die Diesseitigkeit  des Reiches Gottes auf Erden und die volle Weltlichkeit des Lebens im Glauben behauptet: ‚Religionsloses Christentum‘ ist folglich eine Nachfolge Christi, die politisch auf das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit auf dieser Erde ausgerichtet ist … Bonhoeffers Satz: ‚Christus hat keine neue Religion in die Welt gebracht, sondern neues Leben‘, ruft religiöse wie säkulare Menschen ins Reich Gottes auf Erden … Es geht Christus gar nicht darum, Christus im kirchlichen Sinne oder Christentum als Kultur zu schaffen … Es geht Jesus überhaupt nicht um Religion, auch nicht um Christentum, sondern um das volle und wahre Leben für eine neue Welt im Reich Gottes … Ich glaube, dass ist es, was Bonhoeffer uns in den Gefängnisbriefen sagen wollte … Bewusst oder unbewusst nehmen viele Bonhoeffers Botschaft aus der Gefängniszelle auf: ‚Nur der leidende Gott kann helfen‘. Ich verwarf daraufhin die Metaphysik der ‚apathischen Gottheit‘ … Die Verbrechen aber und die ungeheuerlichen Leiden, die wir im 2. Weltkrieg in Auschwitz gesehen haben, reichen bis in diese Tiefen der Gottheit hinein und können den Gott Jesu Christi nicht unberührt und apathisch gelassen haben. Der Gott, der Liebe ist, ist voller Compassion … im Verständnis Gottes ist mir in Anschluss an Bonhoeffer wichtig: Der durch sein Leiden helfende Gott ist nicht der unberührbare Souverän in Himmel, der alles so herrlich regiert, sondern Gott ist ‘ein Gott des Tragens‘ … So trägt Gott in Christus uns mit unseren Leiden und unseren Sünden … So ist unser Gott ein Gott, der die gottlose und gottverlassene Welt in Geduld ‚trägt‘ und leidend ‚erträgt‘ und ihr damit immer wieder neue Zukunft eröffnet.“ (Jürgen Moltmann: Hoffen und Denken, Neukirchen-Vluyn 2016, S. 211 - 225)                         

Fragen zum Nachdenken:

  • Welcher Theologe außer Bonhoeffer ist für dich bedeutend?
  • Was bewunderst Du bei Bonhoeffer?
  • Liebst Du das bzw. Dein Leben?
  • Was ist wahres Christentum für Dich?
  • Hast Du auch schon einmal gespürt, von Gott getragen zu sein?

Lesen wir bis zum Rundbrief September 2024: Psalm 39, der für Moltmann wichtig war und Psalm 101; Matthäus-Evangelium, Kapitel 7, die Verse 24 - 29                                      

Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe