Rundbrief 2024-04 Antwort an Hitler
HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief April 2024!
Im August 1935 erschien in Wien das Buch “‘Sein Kampf‘ – Antwort an Hitler“ (steht in unserer Bonhoeffer-Bibliothek). Geschrieben hat es die Katholikin Irene Harand. Sie wurde 1900 in Wien geboren und starb 1975 in New York. 1969 wurde sie von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet ...
...(der Name Yad Vashem geht auf Jesaja, Kapitel 56, Vers 5 zurück: „Ihnen setze ich innerhalb der Tempelmauern ein Denkmal mit ihrem Namen. Das ist mehr wert als Söhne und Töchter. So sorge ich dafür, dass ihr Name für immer bleibt und niemals vergessen wird.“). 1971 erhielt Irene Harand das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Am 20. April 1990 (Hitlers Geburtstag war der 20. April!) wurde ein Wiener Gemeindebau in der Judengasse in Irene-Harand-Hof umbenannt. Im vierten Bezirk befindet sich das Irene-Harand-Denkmal. Anlässlich des internationalen Frauentages am 8. März 2024 konnte man im Radiosender Ö1 eine Dokumentation über sie hören.
Irene Harand auf der Umschlagseite ihres Buches
Quelle: www.kath-kirche-kaernten.at
Ihr Buch richtete sich gegen Hitlers Buch „Mein Kampf“, das 2016 als neue und kommentierte Ausgabe erschien (steht in unserer Bonhoeffer–Bibliothek). Mit ihrem Buch kämpfte Irene Harand gegen den hasserfüllten und verbrecherischen Antisemitismus des Nationalsozialismus, indem sie Hitlers Thesen widerlegte und seine Ideologie bloßstellte. Dadurch wurde sie eine aktive und gefährliche Feindin des Nationalsozialismus. Durch den provokanten Titel kam ihr Buch auf die Liste der verbotenen Bücher.
Irene Harand schreibt im Vorwort und am Schluss ihres Buches – ihre Worte sollen der Menschheit eine sehr wichtige Mahnung sein und haben aufgrund des gegenwärtigen Antisemitismus und Rassismus eine hohe Aktualität: „Das Hakenkreuz will seine Herrschaft über die ganze Welt verbreiten und alle Völker dieser Erde bestimmen, seinem blutigen Beispiel zu folgen … Der Zweck dieser Arbeit ist, die breiten christlichen Massen von der Verlogenheit der nationalsozialistischen Lehren zu überzeugen [und aufzuzeigen], dass es Menschen in der Welt gibt, die sich mit dem Terror des Dritten Reiches nicht abfinden und kämpfen wollen, bis von der Menschheit die Gefahr, die die Verbreitung des Hakenkreuzes bedeutet, gebannt, und die Opfer selbst von ihren Peinigern erlöst werden … Es ist kein Zweifel, dass die Welt krank ist. Wenn in unserer Menschengemeinschaft möglich ist, dass man Weizen verbrennt, Baumwolle vernichtet, Kaffee … in das Meer wirft, … während Hunderte Millionen von Menschen hungern … Ich bin seit jeher Anhängerin der Privatwirtschaft … Ich … bin zur Überzeugung gekommen, dass das Problem der gerechten und vernünftigen Verteilung der Güter dieser Erde nicht unlösbar ist … Auf die Lösung der wirtschaftlichen Frage müssen wir unbedingt das Augenmerk richten, damit wir unserer Jugend eine Zukunft bauen … können …, so werden auch die Vorrausetzungen für eine gesunde Berufsschichtung der Judenheit gegeben sein. Das Hakenkreuz bedeutet eine große Gefahr für die Menschheit. Das Hakenkreuz ist die größte Gefahr des Jahrhunderts. Wenn wir ihr begegnen wollen, müssen wir gerade Waffen anwenden, die dem Hakenkreuz fremd sind: Idealismus und Opfermut, Vernunft und Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit.“ (a. a. O., S. 13 – 15 und 302 f.)
Etwa zwei Jahre vor Erscheinen von Irene Harands Buch hielt Bonhoeffer im April 1933 seinen Vortrag „Die Kirche vor der Judenfrage”, in dem er verdeutlichte, dass mit der nationalsozialistischen Machtergreifung großes Unheil über Deutschland und Europa kommen werde. In seinen Worten und Ausführungen finden sich wichtige Grundsatzentscheidungen für seinen Weg in den aktiven und politischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus und den theologischen Widerstand gegen die mit den Nazis verbündeten Deutschen Christen: „Zweifellos ist die reformatorische Kirche nicht dazu angehalten, dem Staat in sein spezifisch politisches Handeln direkt hineinzureden. Sie hat staatliche Gesetze weder zu loben noch zu tadeln, sie hat vielmehr den Staat als Erhaltungsordnung Gottes in der gottlosen Welt zu bejahen … Ohne Zweifel ist eines der geschichtlichen Probleme, mit denen unser Staat fertig werden muß, die Judenfrage, und ohne Zweifel ist der Staat berechtigt, hier neue Wege zu gehen … Die wahre Kirche Christi aber, die allein vom Evangelium lebt und um das Wesen des staatlichen Handelns weiß, wird dem Staat nie in der Weise ins Handwerk greifen … Sie weiß um die wesenhafte Notwendigkeit der Gewaltanwendung in dieser Welt und um das mit der Gewalt notwendig verbundene moralische Unrecht bestimmter konkreter Akte des Staates. Die Kirche kann primär nicht unmittelbar politisch handeln; denn die Kirche maßt sich keine Kenntnis des notwendigen Geschichtsverlaufes an. Sie kann also auch in der Judenfrage heute nicht dem Staat unmittelbar ins Wort fallen, und von ihm ein bestimmtes andersartiges Handeln fordern … Aber das bedeutet nicht, daß sie teilnahmslos das politische Handeln an sich vorüberziehen läßt; sondern sie kann und soll, gerade weil sie nicht im einzelnen Fall moralisiert, den Staat immer wieder danach fragen, ob sein Handeln von ihm als legitim staatliches Handeln verantwortet werden könne, d. h. als Handeln, in dem Recht und Ordnung, nicht Rechtlosigkeit und Unordnung, geschaffen werden. Sie wird diese Frage mit allem Nachdruck dort zu stellen aufgerufen sein, wo der Staat gerade in seiner Staatlichkeit, d. h. in seiner mit Gewalt Recht und Ordnung schaffenden Funktion bedroht erscheint. Sie wird diese Frage heute in bezug auf die Judenfrage in aller Deutlichkeit stellen müssen. Sie greift damit gerade nicht in die Verantwortlichkeit des staatlichen Handelns ein, sondern schiebt im Gegenteil dem Staat selbst die ganze Schwere der Verantwortung für das ihm eigentümliche Handeln zu. Sie befreit den Staat so von jedem moralisierenden Vorwurf und weist ihn eben hierdurch in seine ihm vom Erhalter der Welt angeordnete Funktion. Solange der Staat Recht und Ordnung schaffend handelt … kann sich die Kirche des Schöpfers, Versöhners und Erlösers nicht unmittelbar politisch handelnd gegen ihn wenden. Sie vermag freilich den einzelnen sich dazu aufgerufen wissenden Christen nicht daran zu verhindern, den Staat gegebenenfalls als unhuman anzuklagen, aber sie wird als Kirche nur danach fragen, ob der Staat Ordnung und Recht schafft oder nicht … Sowohl ein Zuwenig an Ordnung und Recht als auch ein Zuviel an Ordnung und Recht zwingt die Kirche zum Reden. Ein Zuwenig ist jedesmal dort vorhanden, wo eine Gruppe von Menschen rechtlos wird … Der Staat, der die christliche Verkündigung gefährdet, verneint sich selbst. Das bedeutet eine dreifache Möglichkeit kirchlichen Handelns dem Staat gegenüber: erstens … die an den Staat gerichtete Frage nach dem legitim staatlichen Charakter seines Handelns, d. h. die Verantwortlichmachung des Staates. Zweitens der Dienst an den Opfern des Staatshandelns. Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören. „Tut Gutes an jedermann.“ In beiden Verhaltungsweisen dient die Kirche dem freien Staat in ihrer freien Weise, und in Zeiten der Rechtswandlung darf die Kirche sich diesen beiden Aufgaben keinesfalls entziehen. Die dritte Möglichkeit besteht darin, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen. Solches Handeln wäre unmittelbar politisches Handeln der Kirche und ist nur dann möglich und gefordert, wenn die Kirche den Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagen sieht, d. h. wenn sie den Staat hemmungslos ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht verwirklichen sieht. In beiden muß sie dann die Existenz des Staates und damit auch ihre eigene Existenz bedroht sehen. Ein Zuwenig läge vor bei der Rechtlosmachung irgendeiner Gruppe von Staatsuntertanen, ein Zuviel läge dort vor, wo vom Staate her in das Wesen der Kirche und ihre Verkündigung eingegriffen werden sollte, d. h. etwa in dem zwangsmäßigen Ausschluß der getauften Juden aus unseren christlichen Gemeinden … Hier befände sich die christliche Kirche in statu confessionis [außergewöhnlicher Bekenntnisfall der Kirche] und hier befände sich der Staat im Akt der Selbstverneinung … Ein Staat, der sich eine vergewaltigte Kirche eingliedert, hat seinen treuesten Diener verloren. Aber auch dieses dritte Handeln der Kirche, das gegebenenfalls in den Konflikt mit dem bestehenden Staat führt, ist nur der paradoxe Ausdruck ihrer letzten Anerkennung des Staates, ja die Kirche selbst weiß sich hier aufgerufen, den Staat als Staat vor sich selbst zu schützen und zu erhalten. In der Judenfrage werden für die Kirche heute die beiden ersten Möglichkeiten verpflichtende Forderungen der Stunde. Die Notwendigkeit des unmittelbar politischen Handelns der Kirche hingegen ist jeweils von einem evangelischen Konzil zu entscheiden …“ (Quelle: Dietrich Bonhoeffer: Berlin 1932 – 1933, Dietrich-Bonhoeffer-Werke Band 12, S. 349 – 358)
Fragen zum Nachdenken:
- Hast Du die Lebensgeschichte von Irene Harand gekannt?
- Kennst Du andere Frauen im Widerstand gegen die Nazis?
- Hast Du mal in Hitlers Buch „Mein Kampf“ geblättert oder gelesen?
- Ist unsere Welt krank?
- Können die Waffen, die Irene Harand für die Bekämpfung der Nazis vorschlägt, auch gegen gegenwärtige rechtsradikale Trends bzw. diktatorische Regims wirksam sein?
- In welches gegenwärtige Regime muss in die Speichen gefallen werden?
Lesen wir bis zum Rundbrief Mai 2024:
Psalm 97; Matthäus-Evangelium, Kapitel 6, die Verse 25 – 34.
Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe