Rundbrief 2023-12 Das Leben als Fragment
HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Dezember 2023!
„Ich bin ein Österreicher mit deutschem Migrationshintergrund … Allerdings bin ich kein gelernter, sondern nur ein angelernter Österreicher … ein Zugereister mit österreichischem Pass und doppelter Staatsbürgerschaft.“
So bezeichnet sich der Wiener Universitätsprofessor Ulrich H. J. Körtner.
Dies schreibt er in seinem 2023 erschienen Buch „MAPPING THE FIELDS. Wissenschaftliche Einblicke“. Dort schildert er seinen biographischen Hintergrund und seine Kontexte seines beruflichen Weges, der ihn vor dreißig Jahren nach Wien geführt hat, seine wissenschaftliche Arbeit und seine Veröffentlichungen.
Ulrich Körtner 2013
Quelle: de.wikipedia.org
„Ich wurde am 16. April 1957 in Hameln [Stadt im deutschen Bundesland Nordrhein- Westfalen] geboren … Schon früh reifte in mir der Entschluss, Theologie zu studieren und Pfarrer zu werden … Nach dem Abitur studierte ich von 1975 bis 1908 neun Semester evangelische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Bethel … sowie an den Universitäten in Münster und Göttingen … 1982 wurde ich an der Kirchlichen Hochschule Bethel mit einer Dissertation über Papias von Hierapolis [war ein Bischof und lebte von ca. 60 bis 130 nach Christus] promoviert …, wo ich mich 1987 in der Systematischen Theologie mit einer Arbeit über die Apokalyptik habilitierte … Von 1986 bis 1990 war ich Pfarrer der Evangelischen Lutherkirchengemeinde in Bielefeld, von 1990 bis 1992 Studienleiter an der Evangelischen Akademie Iserlohn … 1992 wurde ich als Ordentlicher Universitätsprofessor für Reformierte Theologie an die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien berufen … Von 1994 bis 2016 war ich Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft, von 2001 bis 2022 zusätzlich auch Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin und von 2014 bis 2019 Direktor des Instituts für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie.“ Seit 2012 ist er Ordenspfarrer der österreichischen Kommende des Johanniterordens und Bundespfarrer der Johanniter Unfallhilfe Österreich [Ich erinnere mich an einen Gottesdienst, den er als Bundespfarrer mit meiner Assistenz in der evangelischen Kirche Wiedweg gestaltet hat, an dem viele andere Mitglieder der österreichischen Kommende des Johanniterordens Wiedweg teilnahmen]. Seit 1976 ist er mit seiner Martina verheiratet, hat zwei Kinder und vier Enkelkinder.
„Ich bin Theologe. Zu meiner Identität gehört, dass ich evangelisch bin. Aufgewachsen in einem mehrheitlich evangelischen Gebiet gehöre ich nun zu einer religiösen Minderheit mit einer zum Teil leidvollen Geschichte von Unterdrückung und Vertreibung. Österreich ist schließlich nicht bloß mehrheitlich katholisch, sondern das Land der Gegenreformation … Evangelisch sein in Österreich, das ist für mich eine produktive Herausforderung. Der bedeutende österreichische evangelische Theologe Wilhelm Dantine [1911 – 1981, sein Enkel Olivier Dantine ist seit 2012 Superintendent der evangelischen Diözese Salzburg-Tirol] hat vom protestantischen Abenteuer im nicht-protestantischen Raum gesprochen. Der Satz gefällt mir.“
In seinem Buch steht auch der Abschnitt: „‚… auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen‘. Was ich von Dietrich Bonhoeffer gelernt habe.“ Dieser hat vier Teile. Ich zitiere aus dem ersten Teil „Theologie und Biographie“ und dem vierten Teil „Fragmentarisches Leben“: „Meine Beschäftigung mit Dietrich Bonhoeffer reicht in die Studienzeit zurück … Bonhoeffers Überlegungen zum Verhältnis von Christentum und säkularer Moderne, zum religionslosen Christentum und zur nichtreligiösen Interpretation biblischer Begriffe, aber auch seine Gedanken zur Fragmenthaftigkeit unseres Lebens haben mich nicht mehr losgelassen … Wie Albert Schweitzer ist Bonhoeffer einer der Theologen, an denen die Zusammengehörigkeit von theologischem Denken und Leben besonders anschaulich wird … Freilich besteht die Gefahr, diesen evangelischen Märtyrer zu einem Heiligen zu verklären. So vorbildlich Bonhoeffers Engagement im Kirchenkampf bis hin zur Beteiligung am politischen Widerstand gegen Hitler auch war, so folgt daraus doch nicht, dass seine Theologie in allen Stücken über jede Kritik erhaben wäre … [Bonhoeffer lässt] sich in das heutige theologische Gespräch nur so einbringen, dass sein Denken als Impuls verstanden wird, den es produktiv, aber nicht unkritisch aufzunehmen gilt … Sehr berührt haben mich … Bonhoeffers Gedanken zum fragmentarischen Charakter unseres Lebens. Sie haben mir … im Umgang mit eigenen Lebens- und Glaubenserfahrungen geholfen … Wichtig ist zunächst Bonhoeffers Unterscheidung zwischen Sterben und Tod. Wollte man den christlichen Glauben darauf reduzieren, uns zu helfen, mit dem Sterben fertigzuwerden, hätte er lediglich eine Lückenbüßer- und Vertröstungsfunktion.
Bonhoeffer schreibt: ‚Mit dem Sterben fertigwerden bedeutet noch nicht mit dem Tod fertigwerden. Die Überwindung des Sterbens ist im Bereich menschlicher Möglichkeiten, die Überwindung des Todes heißt Auferstehung …‘
Die Fragmenthaftigkeit unseres Lebens betrifft jedoch nicht nur unsere Sterblichkeit, sondern die grundlegende Tatsache, dass keiner sich selbst lebt und stirbt, dass wir Leben und das, was wir sind, nicht uns selbst verdanken, sondern auch anderen Menschen und letztlich Gott. Insofern ist der Gedanke des fragmentarischen Lebens Ausdruck einer tiefen und gläubigen Dankbarkeit, der christliche Glaube eine Einübung in solche Dankbarkeit. In einem Brief vom 30. November 1943 schrieb Bonhoeffer aus der Haft an Eberhard Bethge:
‚In den vergangenen Monaten habe ich wie noch nie erfahren, daß ich alles, was ich hier an Erleichterung und Hilfe bekomme, nicht mir selbst, sondern anderen Menschen verdanke … Der Wunsch, alles durch sich selbst sein zu wollen, ist ein falscher Stolz. Auch was man anderen verdankt, gehört eben zu einem und ist ein Stück des eigenen Lebens …‘
Bonhoeffer hat seine Gedanken zur Fragmenthaftigkeit des Lebens in einem anderen Brief weiter ausgeführt:
‚Es gibt schließlich Fragmente …, die bedeutsam sind auf Jahrhunderte hinaus, weil ihre Vollendung nur eine göttliche sein kann, also Fragmente, die Fragmente sein müssen - ich denke z.B. an die Kunst der Fuge [von J. S. Bach]. Wenn unser Leben auch nur ein entfernter Abglanz eines solchen Fragments ist …, so daß schließlich nach dem Abbruch - höchstens noch der Choral: Vor deinem Thron tret‘ ich allhier‘ – intoniert werden kann, dann wollen wir uns auch über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden.‘ Bonhoeffers Leben und Werk sind ein solches Fragment.“
(Zitate aus Körtners Buch: Vorwort. S. 15 – 20. 21 – 27. 41 – 65. 167)
In der Advent- und Weihnachtszeit soll auch Zeit und Raum sein für Stille, Gebet, Andacht und Besinnung. Denn in dieser Zeit werden wir erinnert, dass wir vor Gottes Thron treten – so wie es Paul Gerhardt in seinem Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippen hier, oh Jesu, du mein Leben“ beschreibt (Evangelisches Gesangbuch 37). Der Jahreswechsel verdeutlicht uns, dass unser Leben ein kostbares Fragment ist. Deshalb wollen wir zuversichtlich mit den Worten Bonhoeffers in das neue Jahr gehen:
„Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, - so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.“
Fragen zum Nachdenken:
- Wer oder was gehört zu Deiner Identität?
- Wann und wo hast Du Dein Leben als Fragment gespürt?
- Was hast Du von Dietrich Bonhoeffer gelernt?
- Falls du evangelisch bist - wie empfindest Du Dein Evangelisch-Sein in Österreich?
Lesen wir bis zum Rundbrief Jänner 2024: Psalm 93; Matthäus-Evangelium, Kapitel 6, die Verse 1 - 4.
Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe