Rundbrief 2023-11 Solidarität

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HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief November 2023!

Der Jude Daniel (auch Danny genannt) Chanoch wurde am 2. Feber 1932 in Kaunas (Litauen) geboren und ist ein Holocaust-Überlebender. Nach dem Einmarsch der Deutschen in seine Heimat wurde er mit anderen 131 Kindern in sechs Konzentrationslager deportiert (Stutthof in Polen, Landsberg und Dachau in Bayern, Auschwitz in Polen, Mauthausen und Gunskirchen in Österreich). Er überlebte als Dreizehnjähriger mit 39 von den 131 Kindern.

Nach Kriegsende übersiedelte er nach Israel, begann dort ein neues Leben und gründete eine Familie. 2016 trat er mit einer Enkeltochter beim Fest der Freude am Wiener Heldenplatz auf, ebendort, wo Adolf Hitler 1938 den Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich verkündet hatte. Er sieht es als Pflicht, seine Lebensgeschichte in Schulen zu erzählen. Daher erschien 2022 sein Buch „Erzählen um zu überleben“. 2023 wurde der Dokumentarfilm „A Boy’s Life“ in einigen österreichischen Kinos gezeigt.

Daniel Chanoch 2016 mit Enkelin
Quelle: wikipedia.org

In seinem Buch fragt er, wieso er überleben konnte. Die entscheidende Antwort fand er in der erfahrenen lebensrettenden Solidarität: „Nicht nur Solidarität, sondern lebensrettende Solidarität. Er fühlte, dass sein Leben dank des Solidaritätsverhaltens der Menschen, die in entscheidenden Momenten an seiner Seite waren, gerettet wurde.“ (a. a. O, S. 16)

„Was hat Danny gerettet? … die Ursachen für Dannys Überleben [fallen] in zwei Kategorien: Was andere für ihn getan haben und was er selbst für sich getan hat … Es ist klar, daß Dannys einzigartige Persönlichkeit und seine Kraft ihm ermöglichten, Unterstützung zu bekommen … Für ihn ist Solidarität die lebensrettende Kraft … In [seiner] Erinnerung drängt sich eine Gruppe von Kindern eng aneinander, Körper an Körper, um der extremen Kälte und Angst während der langen Appelle … etwas entgegenzusetzen … Die gemeinsamen Definitionen des Phänomens [Solidarität] beziehen sich auf ein Gefühl des gemeinsamen Interesses und Zwecks zwischen Menschen, das gegenseitige Mitgefühl … Einige sehen darin eine Art freiwilliges Engagement für andere … In jedem Fall schafft Solidarität eine Art Faden, der die Individualität innerhalb der Gesellschaft miteinander verwebt … Solidarität ist tief mit Grenzen verbunden: Wem gegenüber werde ich mich solidarisch fühlen, jedem Menschen oder nur einem Menschen gegenüber? Gegenüber Tieren? Mit dem Land oder mit dem Meer? … Solidarität fordert gegenseitige Hilfe … Solidarität ist wertvoller als Empathie. Während Empathie ein Gefühl des Leidens mit anderen ist, diktiert Solidarität das Handeln, das heißt, eine Manifestation der Bereitstellung von Hilfe … Solidarität [wird] mit drei verwandten Konzepten verbunden: Vertrauen, Fürsorge und Geschwisterlichkeit.“ (a. a. O., S. 116 – 123)

Während seiner Haft in Berlin-Tegel hat Bonhoeffer auch lebensrettende Solidarität durch Familie und Freunde, aber auch durch seine einzigartige Persönlichkeit erfahren: „Nun möchte ich Euch und allen Beteiligten wieder sehr für das letzte Paket danken. Ich vergesse es nie und mache es mir täglich bewußt, wie viel Gedanken, Mühe und Verzicht so ein Paket immer mit sich bringt. Aber es ist gerade darum auch immer wieder nicht nur eine äußere, sondern auch eine große innere Hilfe (Widerstand und Ergebung, Dietrich Bonhoeffer Werke Band 8, S. 152) …  Auf meinen … Wunsch … habe ich eine ganze Reihe von Briefen gekriegt, über die ich mich sehr gefreut habe … Es ist ein merkwürdiges Gefühl, schlechthin in allem auf die Hilfe der anderen angewiesen zu sein. Aber jedenfalls lernt man in solchen Zeiten dankbar werden (a. a. O., S. 157) … Eben wurde ein Koffer mit Konserven und der Fahrpelz bei mir abgegeben … Man kann, wenn man in schwieriger Lage ist, ganz sicher sein, daß alles nur Denkbare geschieht, um Hilfe und Erleichterung zu bringen (a. a. O., S. 215) … In den vergangenen Monaten habe ich wie noch nie erfahren, daß ich alles, was ich hier an Erleichterungen und Hilfe bekomme, nicht mir selbst, sondern anderen Menschen verdanke (a. a. O., S. 216) … Für mich ist es oft eine große Hilfe gewesen, am Abend an alle die zu denken, deren Fürbitte ich gewiß bin, von den Kindern bis zu den Erwachsenen. Ich glaube, daß ich viel Bewahrung in meinem Leben der Fürbitte Bekannter und Unbekannter zu danken habe.“ (a. a. O., S. 573)

Der Unteroffizier Knobloch, der zum Wachpersonal des Gefängnisses gehörte, bot seine helfende Solidarität an, indem er Briefe von Bonhoeffers Freund Eberhard Bethge in das Gefängnis schmuggelte und bot Bonhoeffer im Herbst 1944 seine Hilfe für eine Flucht aus dem Gefängnis an. (a. a. O, S. 606, Anmerkung 1)

Lebensbejahende und tröstende Solidarität Gottes erfuhr Bonhoeffer durch sein Vertrauen an Gottes Gegenwart in seiner schwierigen und ungewissen Zeit, die in seinem Morgen- und Abendgebet deutlich wird. Diese hat er ursprünglich für seine Mitgefangenen geschrieben, die diese einfühlsamen und ermutigenden Worte sicherlich auch als tröstende Solidarität seinerseits empfunden haben dürften: „In mir ist es finster, aber bei ist Licht: Ich bin einsam, aber du verläßt mich nicht. Ich bin kleinmütig, aber bei dir ist die Hilfe. Ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden. In mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist die Geduld. Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den rechten Weg für mich … Herr mein Gott, ich danke dir, daß du diesen Tag zu Ende gebracht hast. Ich danke dir, daß du Leib und Seele zur Ruhe kommen läßt. Deine Hand war über mir und hat mich behütet und bewahrt. Vergib allen Kleinglauben und alles Unrecht dieses Tages und hilf, daß ich gern denen vergebe, die mir Unrecht getan haben. Laß mich in Frieden unter deinem Schutze schlafen und bewahre mich vor den Anfechtungen der Finsternis. Ich befehle dir die Meinen, ich befehle dir dieses Haus, ich befehle dir meinen Leib und meine Seele. Gott, dein heiliger Name sei gelobt. Amen. (a. a. O. S. 204 – 207)

Fragen zum Nachdenken:

  • Was verbindest Du mit dem Begriff Solidarität?
  • Mit wem oder was empfindest Du Solidarität?
  • Wann, wo und von wem hast Du Solidarität erfahren?

Lesen wir bis zum Rundbrief Dezember 2023:
Psalm 92; Matthäus-Evangelium, Kapitel 5, die Verse 43 - 48             

Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe