Rundbrief 2022-08 Brauchbare Menschen

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HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief August 2022!

Die österreichische Schriftstellerin Magdalena Schrefel, geboren 1984 in Korneuburg bei Wien, verfasste den Erzählband „Brauchbare Menschen“, der 2022 in Berlin erschien. In zwölf Kurzgeschichten erzählt sie vom Wert der Arbeit und der Zukunft der künstlichen Intelligenz.

Mit ihrem pointierten Erzählstil konzentriert sie sich auf den arbeitenden Menschen und geht den Fragen nach: Was ist Arbeit und was macht sie aus den Menschen? Werden sie von Maschinen ersetzt oder gar selbst auf ein Maschinendasein reduziert? Was sind brauchbare Menschen? Für ihren Erzählband erhält sie im September 2022 den Robert Walser-Preis.
In ihrer letzten Erzählung „Preisrede“ schreibt sie: „Als ich ein Kind war, gab es feste Regeln, die mein Leben bestimmten … Bis [zum fünften Lebensjahr] hatte ich in dem festen Glauben gelebt, dass all diese Regeln auch ihre Wirkung taten. Mit einem Mal aber erkannte ich ihre Nichtigkeit. Das Ende dieses Glaubens markierte der Anfang der Arbeit, das heißt Arbeit verstanden als die Mühen und Verdienste, die unser Leben vorantreiben. Mich befiel damals eine unfassbare Traurigkeit, die bis heute nur im Schreiben aufgefangen wird … Wenn ich Ihnen … von meinen Arbeitserfahrungen berichte, dann deswegen, weil in den allermeisten Fällen das Schreiben damit einhergeht, dass der Lebensunterhalt durch andere Arbeiten verdient wird … Ich will Ihnen also davon berichten, welche Arbeit mein Schreiben begleitet … Ganz gleich, aber, was ich arbeite, mein Beruf ist doch immer Autorin. Ein Beruf ist schließlich eine Bezeichnung, die einen hervorbringt. Man ist dann etwas, und nicht einfach bloß jemand. Das erste Mal gearbeitet habe im Alter von fünfzehn Jahren … Bleiben also täglich zehn Stunden Arbeitszeit … So viel Zeit, habe ich beim Schreiben dieser Rede gedacht, so viel Zeit habe ich sicher noch nicht mit Schreiben verbracht. Ich zog also schon in Zweifel, ob ich mich Autorin nennen darf, ja überhaupt zweifele ich, ob ich dieses Preises würdig bin, angesichts der vielen Zeit, die ich tatsächlich nicht schreibe … [Ich] will Ihnen nun endlich erzählen, was ich arbeite, wenn ich nicht schreibe. Im Jahr 1999 hatte ich meinen ersten offiziellen Ferienjob. Was ich dort tat, hatte mit Statistik zu tun … Verdient habe ich damals … tausend Euro, was für mich … viel Geld war. Als die Schule wieder anfing, begann ich, auf ein Kind aufzupassen … Im Sommer nach meiner Matura verdiente ich dann Geld, indem ich in einem anderen Bundesland Fahrgastzählungen durchführte … Während meines ersten Studiums arbeitete ich für eine politische Bildungsorganisation … In meinem zweiten Studium dann arbeitete ich während des Studiums in einer Bibliothek … In den Winterferien begann ich, auf einem Eislaufplatz zu arbeiten … In der wärmeren Jahreszeit arbeitete ich auf Festivals … In einem anderen Sommer arbeitete ich … als Ausstellungsaufsicht … Was ich bis hierher verschwiegen habe, ist, dass ich manchmal als Autorin Geld verdiente. Ich kann damit nicht rechnen, aber immer mal wieder kommt auch durch das Schreiben etwas in die Kasse. Dieser Preis etwa, der mir heute verliehen wird, ist ein gutes Beispiel dafür … Fünftausend Euro, einfach so, extra, obendrauf … Und das noch dazu für einen Erzählband, der keine zweihundert Seiten hat … Tatsächlich habe ich zweieinhalb Jahre an diesem Erzählband gearbeitet … Setzt man acht Stunden Arbeitszeit für einen Tag an …, ist Schreiben also … ein Ein-Euro-Job … Warum macht man das dann, werden Sie nun fragen … Und ich kann Ihnen verraten, fürs Geld mache ich es nicht … Zuallererst schreibe ich, weil es meine Traurigkeit auffängt … ich schreibe aber auch, weil sich in Geschichten die Traurigkeit so lange hegen lässt, bis etwas ganz anderes daraus wird … Schreiben, das ist für mich auch ein bisschen wie Lego oder Playmo spielen, man baut Welten, in denen man dann für Stunden versinkt und in die man … auch andere einladen kann. Ich schreibe, weil Schreiben auch bedeutet, sich für alles interessieren zu können … Dass Schreiben also die Kunst der armen Leute ist … [Ich glaube] daran, dass ich bloß schreiben kann, weil es andere vor mir auch getan haben, Dichterinnen, Hausfrauen, Mütter und Tanten, die neben allen Pflichten an ihren eigenen Raum, ihr eigenes Zimmer geglaubt haben … Und ich schreibe, weil es Geschichten, Figuren und Ereignisse gibt, … die auch ein bisschen wahr werden, wenn Sie sie lesen … Denn dieses Buch gäbe es nicht, wenn nicht die Arbeit so vieler anderer Menschen eingeflossen wäre: die Lektoratsarbeit … die Versorgungsarbeit der Freundinnen und Freunde … die Arbeit der Papierfabrik-arbeiterinnen … die Druckereimitarbeiter … die Arbeit der Buchhändlerinnen … die Pressearbeit … und zu guter Letzt will ich mich auch bei Ihnen für Ihre Arbeit bedanken, nicht nur als Leserinnen und Leser, sondern auch für Ihre Arbeit als arbeitende Menschen, die Steuern zahlen, sodass dieser Literaturpreis überhaupt erst mit einem Literaturpreisgeld verbunden sein kann … Da wären wir also fast wieder beim Gegenstand dieser Rede, denn auch Sie sind mehr als die Arbeit, die Sie machen …“ (Magdalena Schrefel: Brauchbare Menschen, Berlin 2022, S. 165 – 182)       

Dietrich Bonhoeffer hat in seinen Schriften auch über die Arbeit nachgedacht. In seiner unvollendeten Ethik entfaltet er vier Mandate, die in Beziehung zu Jesus Christus stehen: „Die Welt steht in Beziehung auf Christus … Diese Beziehung der Welt auf Christus wird konkret in bestimmten Mandaten: die Arbeit, die Ehe, die Obrigkeit, die Kirche. Wir sprechen von göttlichen Mandaten statt von göttlichen Ordnungen, weil damit der Charakter des göttlichen Auftrages gegenüber dem einer Seinsbestimmung deutlicher heraustritt … Gott hat die Menschen unter alle diese Mandate gestellt, nicht für jeden Einzelnen unter je eines desselben, sondern alle Menschen unter alle vier … Das Mandat der Arbeit begegnet uns nach der Schrift schon beim ersten Menschen. Adam soll den Garten Eden bauen und bewahren (1 M 2, 15) … Es geht bei der Arbeit, die im Paradies begründet ist, um ein mitschöpferisches Tun der Menschen … Kein Mensch kann sich diesem Mandat entziehen. (Ethik, DBW 6, S. 54 – 62)

Bonhoeffer schreibt in seinem Brief vom 13. August 1944 an seine Verlobte Maria von Wedemeyer, weil sie in Berlin eine neue Arbeit angefangen hat: „Angestrengte Arbeit wird schon seit Jahrhunderten als die beste Medizin gegen Kummer und Sorgen gepriesen. Manche mögen das Wohltuende der Arbeit darin sehen, daß sie alles Persönliche betäubt. Ich glaube aber, die Hauptsache ist, daß rechte Arbeit selbstlos macht und daß der Mensch, dessen Herz voller Wünsche und Sorgen ist, nach solcher Selbstlosigkeit im Dienste anderer Menschen Verlangen hat. Und so wünsche ich Dir von Herzen, liebste Maria, daß Deine neue Arbeit Dir diese Wohltat erweist und daß Du gerade in den besonderen Schwierigkeiten auch eine besondere innere Befreiung empfindest…Du glaubst nicht, als was für eine Befreiung ich es empfinden würde, endlich einmal wieder nicht nur für mich allein, sondern für andere arbeiten zu können.“ (Brautbriefe Zelle 92, München 1992, S. 201 f.).

Bonhoeffer beschreibt in einem Brief aus der Haft an seinen Freund Eberhard Bethge die Kirche der Zukunft, in der die Pfarrer einen weltlichen Beruf ausüben sollen: „Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinde leben, eventuell einen weltlichen Beruf ausüben.“ (Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 560)
Bonhoeffers Rat an seine Brüder im Predigerseminar gilt auch uns heute: „In die ersten Augenblicke des neuen Tages gehören nicht eigene Pläne und Sorgen, auch nicht der Übereifer der Arbeit, sondern Gottes befreiende Gnade, Gottes segnende Nähe. (Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935 - 1937, DBW 14, Seite 872)
Bonhoeffer ermahnt alle Arbeitenden: „Die Zehn Gebote enthalten kein Gebot zu arbeiten, aber ein Gebot, von der Arbeit zu ruhen. Das ist die Umkehrung von dem, was wir zu denken gewohnt sind. (Konspiration und Haft 1940 - 1945, DBW 16, S. 670)


Bonhoeffer gibt auch eine Antwort, wer „brauchbare Menschen“ sind: „Sind wir noch brauchbar? Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung mißtrauisch gegen die Menschen geworden und mußten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig bleiben, wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder vielleicht sogar zynisch geworden – sind wir noch brauchbar? Nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker, sondern schlichte, einfache, gerade Menschen werden wir brauchen. Wird unsere innere Widerstandskraft gegen das uns Aufgezwungene stark genug und unsere Aufrichtigkeit gegen uns selbst schonungslos genug geblieben sein, daß wir den Weg zur Schlichtheit und Geradheit wiederfinden? (Widerstand und Ergebung, DBW 8, Seite 38)

Fragen zum Nachdenken:

  • Wer sind „brauchbare Menschen“ für Dich?
  • Was bedeutet die Arbeit für Dich?
  • Welche ehren- und hauptamtlichen Arbeiten hast Du in Deinem Leben durchgeführt?

Lesen wir bis zum Rundbrief September 2022:
Psalm 78; Matthäus-Evangelium, Kapitel 23, Verse 23 - 36             

Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe