Rundbrief 2022-07 300 Jahre Herrnhut

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HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Juli 2022!

Unter des Herren Hut schlüpften am 17. Juni 1722, also vor 300 Jahren, protestantische Glaubensflüchtlinge aus Böhmen und Mähren (heute Tschechien). Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf gab ihnen während der katholischen Gegenreformation ab 1600 im Habsburger Reich auf seiner Gutsherrenschaft Berthelsdorf in der Oberlausitz (Sachsen) Asyl. Unter Gottes Schutz sollten sie ein neues Zuhause und zusammen mit anderen Glaubensdissidenten eine ökumenische Gemeinschaft finden. 1544 dichteten die böhmischen Brüder das Kirchenlied „Lob Gott getrost mit Singen“ (Evangelisches Gesangbuch 243).


Blick auf das kleine Herrnhut mit dem Kirchgebäude
Quelle: sonntag-sachsen.de

Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf (1700 – 1760) entstammte einem alten niederösterreichischen Adelsgeschlecht, das im 16. Jahrhundert zum protestantischen Glauben konvertiert war. Als die habsburgischen Lande rekatholisiert wurden, übersiedelten die Zinzendorfs nach Kursachsen.


Zinzendorf-Denkmal in Herrnhut
Quelle: wikimedia.org

1721 übernahm Zinzendorf die Standesherrschaft auf dem Gutsbezirk Berthelsdorf. Ein Jahr später ersuchte der Zimmermann Christian David (Er dichtete das Kirchenlied „Sonne der Gerechtigkeit, Evangelisches Gesangbuch 263.) ihn um die Aufnahme von zehn mährischen Glaubensflüchtlingen. Zinzendorf sagte zu. Als er nach einer längeren Reise nach Berthelsdorf zurückkehrte, entdeckte er zu seiner Verwunderung das neu errichtete Haus der Glaubensflüchtlinge. Zinzendorf schrieb das bekannte Kirchenlied „Jesu, geh voran“ (Evangelisches Gesangbuch 391).

Im Leitbild der Evangelischen Brüder-Unität – Herrnhuter Brüdergemeine heißt es (www.ebu.de): „Die Evangelische Brüder-Unität - Herrnhuter Brüdergemeine ist eine protestantische Kirche … Ihre Wurzeln liegen in der tschechischen Reformation und in der Herrnhuter Bewegung um Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Sie glaubt mit der ganzen Christenheit an den dreieinigen Gott, wie er sich in der Bibel offenbart. Jesus Christus steht für uns im Zentrum. Mit seinem Leben hat er uns gezeigt, wie Gott ist. Er hat uns Liebe, Vergebung und Gemeinschaft gelehrt und ging damit bis zum Äußersten, zum Tod am Kreuz. Christus ist auferstanden. Wir vertrauen auf ihn, auch da, wo wir scheitern und schuldig werden. Er begegnet uns als Bruder, der uns befreit, befähigt und beauftragt, seine Liebe weiterzugeben … In unserer Kirche sind Menschen verschiedener Kulturen, Sprachen und Traditionen zu Hause … Weil Migration einen großen Einfluss auf unsere Kirche hat, können wir Grenzen überwinden. Wir gestalten Einheit in Verschiedenheit … Unser Glaube gewinnt Gestalt in unserem Alltag, in unserem Singen, Beten und Arbeiten. Die Losungen helfen uns, Gottes Wort konkret werden zu lassen. Sie verbinden uns untereinander und mit Christen aus anderen Kirchen. Mit diakonischen Einrichtungen, Schulen und Missionsorganisationen engagieren wir uns für Andere. Wir setzen uns für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung ein … Vielfältige Glaubenserfahrungen, Gottesdienstformen und Aufgaben sind uns als Erbe anvertraut. Immer neu prüfen wir, was für Menschen heute segensreich sein kann. Im Vertrauen auf Gottes lebendigen Geist gestalten wir Neues. Wir verlassen uns nicht auf uns selbst, sondern auf Gottes Verheißungen.“

Seit 1731 gibt die Herrnhuter Brüdergemeine Jahr für Jahr die Losungen heraus. Wenige Worte aus der Bibel verbinden Tag für Tag weltweit Menschen unterschiedlicher Konfession, Kultur und Frömmigkeit. Auf unserer Homepage gibt es einen Link zu den täglichen Losungen. Die bestehen jeweils aus zwei Bibelversen, einem aus dem Alten und einem aus dem Neuen Testament. Ergänzt werden sie durch einen Liedtext oder ein Gebet. Die alttestamentliche Losung wird ausgelost, die anderen Texte werden dazu thematisch passend ausgesucht. Die erste Losung vom 17. Juni 1722 für die angekommenen Glaubensflüchtlinge steht in Psalm 104, Verse 1 und 2: „Herr, mein Gott, du bist sehr groß; in Hoheit und Pracht bist du gekleidet. Licht ist dein Kleid, das du anhast.“ Der Lehrtext dazu steht im ersten Petrusbrief, Kapitel 2, Vers 9: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht.“

In Herrnhut wird der weltberühmte Weihnachtstern produziert, ein Stern mit 25 Spitzen, 17 viereckigen und acht dreieckigen Zacken. Am 6. Januar 1821 soll er zum ersten Mal geleuchtet haben. In der Advent- und Weihnachtszeit hängt dieser Weihnachtsstern in vielen evangelischen Kirchen.  

Die Herrnhuter Losungen waren für Dietrich Bonhoeffer eine wichtige Hilfe in schwierigen Lebenssituationen. Deshalb schrieb Bonhoeffer in seinem Brief an Eberhard Bethge vom 18. Jänner 1944: „Die Losungen sind meine tägliche Freude.“ (Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 286).

Der Lehrtext aus dem zweiten Timotheusbrief, Kapitel 4, Vers 21 vom 26. Juni 1939 („Beeile dich, vor dem Winter zu kommen.“) bestärkte Bonhoeffer darin, nicht in den USA zu bleiben, sondern nach Deutschland zurückzukehren.

In seiner Meditation über die Losung vom 21. August 1944 (4. Mose, Kapitel 11, Vers 23: „Ist denn die Hand des Herrn zu kurz?“) und den Lehrtext (2. Korintherbrief, Kapitel 1, Vers 20: „Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja.“) 1944, schrieb Bonhoeffer in seinem Brief an Eberhard Bethge: „Heute in 8 Tagen ist dein Geburtstag [28. August 1944]. Noch einmal habe ich mir die Losungen vorgenommen und darüber etwas meditiert. Es kommt wohl alles auf das ‚in Ihm‘ an. Alles, was wir mit Recht von Gott erwarten, erbitten dürfen, ist in Jesus Christus zu finden. Was ein Gott, so wie wir ihn uns denken, alles tun müßte und könnte, damit hat der Gott Jesu Christi nichts zu tun. Wir müssen uns immer wieder sehr lange und sehr ruhig in das Leben, Sprechen, Handeln, Leiden und Sterben Jesu versenken, um zu erkennen, was Gott verheißt und was er erfüllt …“ (Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 572 f).

Seine letzte Andacht hielt Bonhoeffer für seine Mitgefangenen am
8. April 1945 (einen Tag vor seinem Tod am 9. April 1945) nicht über den Predigttext des Sonntags, sondern über Losung und Lehrtext, die komprimiert die christliche Ewigkeitshoffnung verdeutlichen: Losung: „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jesaja, Kapitel 53, Vers 5); Lehrtext: „Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (1.  Petrusbrief, Kapitel 1, Vers 3).

Über Zinzendorf schreibt Bonhoeffer in seinem Vortrag über die Geschichte des evangelischen Kirchenliedes vom 5. August 1936 in Berlin: „Und wieder hundert Jahre später: Zinzendorf und Christian Fürchtegott Gellert [deutscher Dichter der Aufklärung, 1715 – 1769]. Beide fromme Männer, weich bis zur Rührseligkeit. Beide der offiziellen Kirchen entfremdet … Beiden ist der Maßstab ihrer Frömmigkeit das eigene Herz. Zinzendorf sagt so oft: ‚Es ist mir so‘ statt: ‚Es steht geschrieben‘. Beide sind aus demselben Quell gespeist, doch schärfste Antipoden: Zinzendorf Pietist, Gellert Aufklärung. Beide haben denselben Gegner, die Orthodoxie. Der Pietist sucht das fromme Leben, der Aufklärer das vernünftige Leben.“ (Dietrich Bonhoeffer: Illegale Theologenausbildung 1935 – 1937, DBW 14, S. 717)       

Das Leben in der Herrnhuter Brüdergemeine hat Bonhoeffer für das gemeinsame Leben mit seinen Brüdern (angehende Pfarrer) inspiriert. Ein ausführliches Konzept über Einrichtung und Aufgaben eines Bruderhauses beschrieb Bonhoeffer am 6. September 1935 in Finkenwalde (Dietrich Bonhoeffer: Illegale Theologenausbildung 1935 – 1937, DBW 14, S. 75 – 80). 1935 übernahm Bonhoeffer das Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Zingst und dann in Finkenwalde. Hier lebte er mit seinen Brüdern in einer Gemeinschaft intensiv zusammen. Er unterrichtete
Predigtlehre, Pädagogik, Seelsorge, Gottesdienstgestaltung und hielt Vorle-
sungen über Kirche, Amt, Gemeinde und Nachfolge. Bonhoeffer verstand das gemeinsame Leben mit seinen Brüdern als eine wichtige Aufgabe der Kirche: „Da es sich nicht um eine Angelegenheit privater Zirkel, sondern um eine der Kirche gestellte Aufgabe handelt, geht es auch nicht um mehr oder weniger zufällige Einzellösungen, sondern um eine gemeinsame kirchliche Verantwortung.“ (Dietrich Bonhoeffer: Gemeinsamens Leben, DBW 5, Vorwort)

Bonhoeffer ging es in seiner Gemeinschaft auch um das geistliche Kräftesammeln. Daher schreibt er in seiner Predigt über Psalm 42 am 2. Juni 1935 im Predigerseminar Zingst: „Gott, heiliger Geist, schenke mir Brüder, mit denen ich im Glauben und Gebet Gemeinschaft habe, mit denen ich alles tragen kann, was mir auferlegt ist. Führe mich zurück in deine Kirche, zu deinem Wort und zum Heiligen Abendmahl. Amen.“ (Dietrich Bonhoeffer: Illegale Theologenausbildung 1935 – 1937, DBW 14, S. 855)      

Fragen zum Nachdenken:

  • Liest Du täglich die Losungen?
  • Kennst Du den Herrnhuter Weihnachtsstern?
  • Welche Formulierung des Leitbildes der Herrnhuter Brüdergemeine hat Dich angesprochen?
  • Könntest Du in einer Gemeinschaft leben?
  • Wo sind Deine Quellen für ein geistliches Kräftesammeln?

Lesen wir bis zum Rundbrief August 2022:
Psalm 77; Matthäus-Evangelium, Kapitel 23, Verse 13 – 22              

Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe 

 

Jesus Christus sagt: „Friede sei mit Euch!“

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 Spenden sind erbeten unter dem Kennwort
„Flüchtlings-Nothilfe“

IBAN: AT07 2011 1800 8048 8500