Rundbrief 2022-06 Erinnere dich!

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HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Juni 2022!

Der 5. Mai ist der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen (Oberösterreich) und Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus. Am 5. Mai 2022 fand im Dachfoyer der Wiener Hofburg eine Gedenkveranstaltung statt. Die Gedenkrede hielt Monika Schwarz-Friesel, Antisemitismusforscherin und Professorin an der Technischen Universität Berlin. Ihr Buch „Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert“ von 2013 steht in unserer Bonhoeffer-Bibliothek.

Im Mai 2022 erschien das Buch „Evangelische Pfarrer im KZ Mauthausen“ (steht in unserer Bonhoeffer–Bibliothek) mit wissenschaftlichen Aufsätzen verschiedener Autoren und Kurzbiographien evangelischer Pfarrer, die im KZ Mauthausen inhaftiert und ermordet wurden oder verstarben. Ich fasse zwei Aufsätze und eine Biographie kurz zusammen. In allen drei Texten stehen Hinweise auf Bonhoeffer.

„Bewahre deine Seele, dass du nicht vergisst!“ (5. Mose 4, 9), ein Aufsatz von Michael Bünker, dem ehemaligen Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Österreich (S. 12 – 18): „‚Erinnere dich!‘ Das ist eine der zentralen Aufforderungen, die Jüdinnen und Juden, Christinnen und Christen in ihrer Heiligen Schrift immer wieder lesen … Eine zentrale Bedeutung kommt dabei dem Namen jedes Menschen zu, denn nach biblischer Überlieferung verspricht Gott jedem und jeder ein ‚Denkmal‘ … zu setzen … Dafür steht in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen der ‚Raum der Namen‘, in dem sich mehr als 81.000 Namen der zwischen 1938 und 1945 im KZ Verstorbenen bzw. Ermordeten auch digital zugänglich finden … Nichts in der Geschichte hat die verschiedenen Identitäten, Mentalitäten und Kulturen Europas, die Religionen … so verbunden, nichts hat eine so fundamentale Gemeinsamkeit aller Menschen geschaffen wie die Erfahrung von Auschwitz … Unter den Häftlingen in Mauthausen befand sich … kein Pfarrer aus der Evangelischen Kirche in Österreich. Die Evangelische Kirche in Österreich war in weiten Teilen und tief in die Pfarrerschaft und Kirchenleitung hinein von der NS-Ideologie befallen … Die lokale Bevölkerung hat gewusst, was in den Lagern geschieht … [Es] muss betont werden, dass es aus den anderen Kirchen, vor allem der Römisch-Katholischen und den Orthodoxen Kirchen weit mehr Opfer des NS-Terrors gegeben hat als unter den evangelischen … Das eingangs erwähnte, biblisch begründete Gedenken und Erinnern bleibt nicht rückwärtsgewandt …, sondern öffnet durch Vergegenwärtigung Wege in die Zukunft … Dieses Erinnern verpflichtet dazu, dem Antisemitismus und jeder Form des Rassismus zu widerstehen und für die universale Geltung der Menschenrechte einzutreten. Hier kann an Dietrich Bonhoeffer … erinnert werden … Er hat bereits 1940/1941 in seiner Ethik die Verbundenheit der Menschenrechte mit dem christlichen Glauben herausgestrichen … Bonhoeffer nennt Humanität, Rechtsstaatlichkeit, Vernunft, Toleranz und Freiheit als zentrale Werte, die gegen Barbarei und Willkür … eintreten lassen [Dietrich Bonhoeffer: Ethik, DBW 6, S. 342 – 344] …“

„Und wo war Gott?“, ein Aufsatz von Andreas Baumgartner-Danilovic, Generalsekretär des Comité International de Mauthause – CIM (S. 41 – 51): „‘Ich war das Kind orthodoxer Juden … Als ich in Birkenau [gemeint ist das KZ Auschwitz-Birkenau] ankam …, war ich mir sicher: Gott hatte diesen Ort nicht nur verlassen, Gott existierte nicht‘ … So wie der 14-jährige David … feststellen musste, dass Gott nicht existiert – ja nicht existieren kann, so erging es unzähligen anderen KZ-Häftlingen, die sich vor der Internierung durchwegs als gläubige Menschen bezeichnet hatten, egal, welcher Konfession … Nicht nur ‚einfache‘ Gläubige begannen angesichts des tagtäglich erlebten Grauens an der Existenz Gottes zu zweifeln, diese Frage dürfte … theologisch ausgebildete Menschen noch viel mehr existentiell beschäftigt haben … Auch wenn sich die großen Kirchen über weite Strecken mit den Machthabern arrangierten; so war den Nazis aber auch der widerständige Keim religiöser Bedeutung bewusst … Daher waren es nicht wenige Pfarrer, Ordensleute und Gläubige, die von den Nazis verfolgt wurden … Es war unter den Haftbedingungen eines KZ ausgesprochen erschwert und auch lebensgefährlich, in der Religion Stütze und Trost zu finden … Unter diesen Haftbedingungen hat das eigene (physische) Überleben Priorität und nur die wenigsten gehen das Wagnis ein, ein verborgenes religiöses Leben zu leben … [Geistliche wurden] beschimpft als ‚Kuttenscheißer, Seelenverkäufer, Kuttenwanze, Himmelskomiker, Schwarze Maulwürfe, Pfaffen oder Kanzeljuden‘ … Wir haben gesehen, dass für viele gläubige Menschen Religion, das Zwiegespräch mit Gott im Gebet ab dem Eintreffen im KZ keinen Platz mehr hatte, weil sie an der Existenz Gottes massive Zweifel entwickelten, angesichts dessen, was sich ihnen darbot. Wir haben aber auch gesehen, dass für viele Menschen religiöse Betätigung im KZ Trost spendete und Zuversicht gab … Schließen möchte ich diesen Beitrag mit einem sehr bekannten Text von Dietrich Bonhoeffer, der mich seit vielen Jahrzehnten beeindruckt und begleitet – auch wenn ich keiner Religionsgemeinschaft angehöre und mich auch nicht als gläubigen Menschen bezeichnen würde. Dieser Text wurde dennoch ausgesprochen wichtig für mich und fasst vieles von dem Geschriebenen deutlich zusammen [Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 571]: Tat: Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wahren, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen. Nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat liegt die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens, nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend empfangen.“       

Varga Zsigmond, geboren am 06.09.1919 in Debrecen (Ungarn), gestorben am 05.03.1945 im KZ Mauthausen, eine Kurzbiographie von Thomas Hennefeld, dem Landessuperintendenten der Evangelischen Kirche H. B. in Österreich (S. 130 – 134): „ … Er entstammte einer … reformierten intellektuellen Familie … Als Sprecher der Studenten an der theologischen Fakultät in Debrecen förderte er – im Sinn Dietrich Bonhoeffers ‚Gemeinsamens Leben‘ aus dem Jahr 1939 – eine bewusste geistige Gemeinschaft in der Kirche und an der Fakultät. Bonhoeffer reflektierte in diesem Buch seine Erfahrungen im Predigerseminar Finkenwalde, das er von 1935 bis 1939 leitete und in dem Theologen für den Dienst in der Bekennenden Kirche ausgebildet wurden. Daran knüpfte Varga bewusst an. 1942 legte Varga den Doktor phil. mit summa cum laude ab [Bonhoeffers Dissertation wurde auch mit summa cum laude bewertet] … In Basel besuchte er die Vorlesungen des namhaften reformierten Theologen Karl Barth [auch Bonhoeffer kannte Barth persönlich und schätzte ihn sehr]. Die Theologie Barths und sein kirchliches Engagement gegen den Nationalsozialismus beeindruckten und beeinflussten den Studenten Varga nachhaltig … Varga übernahm von Barth und der Bekennenden Kirche die Formel ‚Christus allein‘ als Absage an das Führerprinzip und Bekenntnis zu der alleinigen Quelle, dem Wort Gottes – eine klare Distanzierung von anderen Lebensgrundlagen wie Rasse und Volkstum [auch unser Vereinsname HAPAX stellt das deutlich heraus] … In der Schweiz kam Varga mit der ökumenischen Bewegung [Bonhoeffer engagierte sich in dieser] in Kontakt … Nachdem Varga in Ungarn sein Examen abgelegt hatte, wurde er ordiniert. Im Sommersemester 1944 kam Varga nach Wien … Im Rahmen seiner seelsorgerlichen Arbeit hielt er jeden Sonntag in der Reformierten Stadtkirche Gottesdienste in ungarischer Sprache … Die meisten Predigten zeichnen ein klares Bild seines biblisch-reformierten Glaubens, aber auch seines Bekenntnisses ‚Christus allein‘ und üben stets Kritik an den unterdrückerischen Mächten und lassen den Widerstand dagegen vom Glauben her deutlich werden. Gerade dieser Dienst am Wort Gottes … brachte Varga mit dem Nationalsozialismus in Konflikt und führte auch zu seiner Festnahme. Anlass für seine Verhaftung war ein Zwischenfall bei einem Gottesdienst in der Reformierten Stadtkirche in Wien am 15. Oktober 1944. Varga wurde mitten in der Predigt von einem Gestapo-Agenten … unterbrochen …: ‚Ich entziehe ihnen das Wort!‘ Postwendend antwortete Varga …: ‚Dazu haben sie kein Recht. Sie dürfen den Gottesdienst nicht stören …‘ … Anfang Februar 1945 wurde er mit dem letzten großen Wiener Häftlingstransport nach Mauthausen gebracht … Aus amtlichen Unterlagen der Gestapo geht hervor, dass Zsigmond Varga am 5. März 1945 verstorben ist … [Er] wollte nie ein politischer Widerstandskämpfer sein [Bonhoeffer wohl auch nicht]. Nach seiner theologischen Grundeinstellung war er eher ein Theologe der Spiritualität, ähnlich dem Deutschen Dietrich Bonhoeffer … Aber seine konsequente Verkündigung des Wortes Gottes und sein durch das eigene Leben bezeugter Wahlspruch ‚Non videri, sed esse‘ – ‚Nicht scheinen, sondern sein‘ – brachten ihn um des Evangeliums willen in tödlichen Konflikt mit der NS-Ideologie und –Herrschaft und führten schließlich zum Märtyrertod … Die Reformierte Kirche Ungarns führt Zsigmond Varga jun. in der Reihe der Glaubenszeugen und Märtyrer der letzten 400 Jahre.“             

  

Fragen zum Nachdenken:

  • Wann hast Du in Deinem persönlichen Umfeld Rassismus und Antisemitismus wahrgenommen?
  • Welche Ereignisse in Deinem Leben und der Welt haben dich fragen lassen: „Und wo war Gott?“
  • Hast Du wie Varga einen für Dein Leben passenden Wahlspruch?

Lesen wir bis zum Rundbrief Juli 2022:

Psalm 76; Matthäus-Evangelium, Kapitel 23, Verse 1 - 12              

Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe 

 

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