Rundbrief 2021-11 Kommunismus
HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief November 2021!
Mit dem Begriff Kommunismus verbinde ich: die urchristliche Gütergemeinschaft nach Apostelgeschichte 2, Verse 42 bis 47; das Manifest der Kommunistischen Partei, das von Karl Marx und Friedrich Engels verfasst wurde und 1848 in London erschien; die Oktoberrevolution von 1917 durch die kommunistische Bolschewiki in Russland unter der Führung Lenins; der Kampf der Roten Armee gegen die Nazis; das geteilte Deutschland und Europa; Ermordung von Millionen Menschen durch Stalin in der Sowjetunion und Mao in China; Unterdrückung der christlichen Kirchen; die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche von 1989/1990; die Reformpolitik Michael Gorbatschows, die das Ende des Kommunismus in Europa und die Wiedervereinigung Deutschlands einleitete.
Am 26. September 2021 gab es bei den Grazer Gemeinderatswahlen ein politisches Erdbeben. Die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) erreichte mit 28,84 % den ersten Platz. Wahlsiegerin war Elke Kahr (geboren 1961 in Graz), die wahrscheinlich die erste KPÖ-Bürgermeisterin einer österreichischen Landeshauptstadt wird. Zu den Gründen des Wahlerfolgs meinte sie (Quelle: kurier.at): "Das Ergebnis ist mehr als überraschend, ich habe damit wirklich nicht gerechnet. Viele in unserer Partei sind seit Jahrzehnten immer für die Bevölkerung da, legen den Blick und den Fokus immer auf die Arbeitenden, haben einen sorgsamen Umgang mit der Natur und sind da für die Leute. Das könnte sein, dass das mit der Grund ist, warum man uns das so dankt." Auch in Oberösterreich kann die KPÖ Wahlerfolge vorweisen. Sie hat dort vier Mandate in Gemeinderäten – zwei in Linz, jeweils eines in Peterskirchen und Brunnenthal.
Auf der Homepage der KPÖ (www.kpoe.at) wird ausführlich erklärt, wofür die KPÖ steht. Unter Arbeit und Klima heißt es: „Als KPÖ setzen wir uns ein: für eine Neuverteilung der Arbeit: 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich; für einen gesetzlichen Mindestlohn von 1.950 Euro bzw. 15 Euro pro Stunde (lohnsteuerfrei), für die Entlohnung und gerechte Aufteilung aller gesellschaftlich notwendigen Arbeit, die bisher unbezahlt geleistet wird; für den konsequenten Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung auf allen Ebenen und die Förderung von Selbstverwaltung durch Arbeitende; für einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs und gratis Öffis für alle; für einen raschen Ausstieg aus fossilen Energieträgern und damit verbundener Industrien durch die öffentliche Hand und staatliche Betriebe; für die radikale Umstellung der Agrarförderungen weg von Agrarkonzernen und Großgrundbesitzern hin zur Förderung ökologischer Landwirtschaft, Ernährungssouveränität und guter Arbeitsbedingungen für Erntearbeiter und Kleinbauern; für die sozial-ökologische Transformation umwelt- und klimaschädlicher Industriezweige hin zu einer gesellschaftlich sinnvollen Produktion und Wirtschaftsweise.“ Die Kommunistische Partei Österreichs scheint mit den tyrannisch-diktatorischen Akzenten des Kommunismus des Kalten Krieges wohl nichts zu tun haben und ist anscheinend eine wählbare Partei geworden.
In Bonhoeffers Schriften finden sich Äußerungen zum Kommunismus:
Im Abschnitt „Erbe und Verfall“ seiner Ethik schreibt er: „Der Nationalismus ruft als Gegenbewegung den Internationalismus hervor. Beide sind in gleicher Weise revolutionär.“ Anmerkung zu diesen Worten: „Der ‚Internationalismus‘ wurde vor allem im marxistisch orientierten Flügel der Arbeiterbewegung forciert befürwortet entsprechend dem Kampfruf des Kommunistischen Manifests von 1848: ‚Proletarier aller Länder, vereinigt euch!‘“ (DBW 6, S. 111 und Anmerkung 78 derselben Seite)
Im Abschnitt „Kirche und Welt“ seiner Ethik schreibt er: „Wir müßten eher sagen: ehe du nicht ein Gerechter geworden bist, wie diese um Recht, Wahrheit, Menschlichkeit Kämpfenden und Leidenden, kannst Du Christus nicht erkennen und finden.“ Anmerkung zu diesen Worten: „Darin kann ein Hinweis auf die im aktiven Widerstand gegen das NS-Regime Beteiligten, wohl nicht zuletzt auch Atheisten und Kommunisten liegen.“ (DBW 6, S. 350 und Anmerkung 32 derselben Seite)
In seinem Brief an seine Oma Julie Bonhoeffer vom 3. Oktober 1921 schreibt er: „Was wird wohl die Entente [Bündnis von Frankreich, England und Russland] auf unser Angebot antworten? Sicher nichts allzu Günstiges! Aber ich glaube auch, daß sie bei unsrer Ablehnung viel zu große Angst vorm Kommunismus haben, als daß sie einmarschieren.“ (DWB 9, S. 37)
In seinem Brief an den Schweizer Theologen Erwin Sutz vom 17. Mai 1932 schreibt er: „Ich kann das kaum denken, ohne daß es mich wie irrsinnig wieder herauszieht diesmal nach dem Osten [Indien]. Es muß doch noch andere Menschen auf der Erde geben, solche die mehr wissen und können als wir … Die Nazis sind diese Menschen jedenfalls nicht und unsere Kommunisten … auch nicht.“ (DBW 9, S. 89 f.)
In seinem Brief an den US-amerikanischen evangelischen Theologen Reinhold Niebuhr (1892 – 1971) vom 6. Feber 1932 schreibt er: „Über die Verhältnisse hier in Deutschland auch nur ein Wort zu sagen wäre übereilt. Daß weder wirtschaftlich, noch politisch, noch sozial sich etwas erhebliches ändern wird, ist kaum wahrscheinlich; um so mehr aber droht eine grauenhafte Barbarisierung, sodaß wir auch hier nächstens eine Civil Liberties Union [gemeint ist die American Civil Liberties Union, eine amerikanische Bürgerrechtsunion, die 1920 aus Angst vor dem Kommunismus gegründet wurde und sich für Bürgerrechte, Meinungsfreiheit und politische und ethnische Minderheiten einsetzt) aufmachen müßten. Daß man das Gespenst des Kommunismus nicht mit nationalen Zauberformeln und Exorzismus … beschwören kann, werden Sie sich selbst denken können. Man ist unglaublich naiv hierzulande. Der Weg der Kirche ist so dunkel wie selten vorher.“ (DBW 12, S. 50 f.)
In seiner Vorlesung Christologie vom Sommersemester 1933 schreibt er: „Z. B. Christus in der Welt des Proletariats ist scheinbar erledigt wie die Kirche und die bürgerliche Gesellschaft überhaupt … Der Proletarier meint mit dem Wort, Jesus ist ein guter Mensch, mehr, als wenn der Bürger sagt, Jesus ist Gott. Jesus ist gegenwärtig in den Fabrikräumen als der Arbeiter, in der Politik als der ideale Idealist, im Leben der Proletarier als der gute Mensch. Er ist neben dem Proletarier als der in den Reihen des Proletariats gegen den Feind, den Kapitalismus, Kämpfende.“ (DBW 12, S. 287)
In seiner Berliner Predigt vom 26. Feber 1933 schreibt er: „Wir haben in der Kirche nur einen Altar, und das ist der Altar des Allerhöchsten, des Einzigen, des Allgewaltigen, des Herrn, dem allein Ehre und Anbetung gebührt, des Schöpfers vor dem alle Kreatur auf die Knie muß, vor dem der Gewaltigste nichts ist als Staub. Wir haben keine Nebenaltäre für Menschenverehrung, Gottesdienst, nicht Menschendienst, das geschieht hier am Altar.“ Anmerkung zu diesen Worten: „Vielleicht spielt B damit auf die religiös gestimmte Hitler-Verehrung an, die nicht nur in Kreisen der DC [Deutsche Christen], sondern auch der Nationalsozialisten ganz allgemein anzutreffen war. Hitler hatte den wegen Ermordung eines Kommunisten in Potempa/Ostschlesien zum Tode verurteilten SA-Leuten … seine Solidarität bekundet. (DBW 12, S. 448 f und Anmerkung 6 auf S. 449)
Der evangelische Pfarrer Helmut Rößler (1903 – 1982) schreibt in seinem Brief vom 6. Dezember 1934 an Bonhoeffer, weil er sich im Kirchenkampf von Bonhoeffer getrennt hatte: „Würden Sie mit einem Kommunisten Freundschaft haben und halten können? Ja! Mit einem Franzosen? Ja! Mit einem Mohammedaner, Inder oder heidnischen Batak? Vermutlich Ja! Mit einem deutschen Christen, der ‚das Evangelium verrät‘ ??“ (DWB 13, S. 253)
In seiner Vorlesung über Homiletik von 1935/36 im Predigerseminar Finkenwalde schreibt er: „Nicht die Gruppe, sondern die Kirche ist das Ziel … Die Kirche ist keine ‚Bewegung‘! Bewegte Leute gehen zur Gruppe: Kommunisten, Nationalsozialisten, Deutsche Christen; denen die Kirche nicht bewegt genug ist.“ (DBW 14, S. 516 f.)
In seinem Brief an den US-amerikanischen evangelischen Theologen Paul Lehmann (1906 - 1994) vom 5. November 1931 schreibt er: „Die politische Lage hat seit ich zuletzt schrieb nicht verändert. Er wird aber nun wohl wirklich nicht mehr lange dauern, bis die Nationalsozialisten (Hitler) losschlagen. Wenn es auf Gewaltwegen geschieht, dann ist es mit uns aus; denn in demselben Augenblick gehen die Kommunisten los, und wir haben den Bürgerkrieg im Lande.“ (DBW 17, S. 96)
In seinem Brief an Paul Lehmann vom 1. August 1932 schreibt er: „Gestern hatten wir Wahlen. Wir sind glücklich, dass die Nazis nicht die Majorität bekommen haben.“ Anmerkung zu diesen Worten: „Die Nationalsozialisten erhielten 47,4% der Stimmen (230 Sitze) und hatten zusammen mit den Kommunisten, die 14,6 % der Stimmen (89 Sitze) erhielten, die Sperrminorität von mehr als 50 %.“ (DBW 17, S. 99 und Anmerkung 3 auf S. 100)
Fragen zum Nachdenken:
- Was verbindest Du mit dem Begriff Kommunismus?
- Wie bewertest Du die Wahl in Graz?
- Würdest Du die KPÖ wählen?
- Welche Äußerung Bonhoeffers zum Kommunismus spricht dich an?
Lesen wir bis zum Rundbrief Dezember 2021:
Psalmen 68 - 70; Matthäus-Evangelium, Kapitel 21, die Verse 33 - 46
Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe