Rundbrief 2021-10 Schuld

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HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Oktober 2021!

Mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis (auch Stuttgarter Schulderklärung genannt) bekannte die 1945 gegründete Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die Mitschuld evangelischer Christen an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Diese Erklärung wurde auf einer Ratstagung der Evangelischen Kirche in Deutschland in Stuttgart (Baden-Württemberg) verfasst und dort am 19. Oktober 1945, also vor 76 Jahren, verlesen:

„Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland begrüßt bei seiner Sitzung am 19. Oktober 1945 in Stuttgart Vertreter des Ökumenischen Rates der Kirchen. Wir sind für diesen Besuch umso dankbarer, als wir uns mit unserem Volk nicht nur in einer großen Gemeinschaft der Leiden wissen, sondern auch in einer Solidarität der Schuld. Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben. Nun soll in unseren Kirchen ein neuer Anfang gemacht werden. Gegründet auf die Heilige Schrift, mit ganzem Ernst ausgerichtet auf den alleinigen Herrn der Kirche gehen sie daran, sich von glaubensfremden Einflüssen zu reinigen und sich selber zu ordnen. Wir hoffen zu dem Gott der Gnade und Barmherzigkeit, daß er unsere Kirchen als sein Werkzeug brauchen und ihnen Vollmacht geben wird, sein Wort zu verkündigen und seinem Willen Gehorsam zu schaffen bei uns selbst und bei unserem ganzen Volk. Daß wir uns bei diesem neuen Anfang mit den anderen Kirchen der ökumenischen Gemeinschaft herzlich verbunden wissen dürfen, erfüllt uns mit tiefer Freude. Wir hoffen zu Gott, dass durch den gemeinsamen Dienst der Kirchen, dem Geist der Gewalt und der Vergeltung, der heute von neuem mächtig werden will, in aller Welt gesteuert werde und der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann. So bitten wir in einer Stunde, in der die ganze Welt einen neuen Anfang braucht: Veni creator spiritus! [Komm, Schöpfer Geist].“

Handschriftlich unterzeichnet wurde die Erklärung von:

  • Hans Christian Asmussen (1898 bis 1968, war evangelischer Pfarrer und führendes Mitglied Vertreter der Bekennenden Kirche)
  • Otto Dibelius (1880 bis 1967, war evangelischer Theologe, Mitglied der Bekennenden Kirche und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland)
  • Hugo Hahn (1886 bis 1957, war evangelischer Theologe und Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens)
  • Gustav Heinemann (1899 bis 1976, war Politiker und der dritte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland)
  • Heinrich Held (1897 bis 1957, war evangelischer Pfarrer und erster Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland)
  • Hanns Lilje (1899 bis 1977, war evangelischer Theologe, Kunsthistoriker, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche von Hannover)
  • Hans Meiser (1881 bis 1956, war evangelischer Pfarrer und erster Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern)
  • Martin Niemöller (1892 bis 1984, war evangelischer Pfarrer, führendes Mitglied der Bekennenden Kirche, Christ im Widerstand gegen die Nazis, Häftling im KZ Sachsenhausen, Präsident im Ökumenischen Rat der Kirchen)
  • Wilhelm Niesel (1903 bis 1988, war reformierter Theologe und Professor für Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal)
  • Rudolf Smend (1882 bis 1975, war Staats- und Kirchenrechtler)
  • Theophil Wurm (1868 bis 1953, war ein evangelischer Theologe und Pfarrer, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und erster Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland)

Bonhoeffer begann 1940 mit seinen Ausführungen zur Ethik. Schon deutlich vor der Veröffentlichung des Stuttgarter Schulbekenntnisses beschreibt Bonhoeffer in diesen die Schuld der Kirche und nimmt Aussagen des Stuttgarter Schuldbekenntnisses vorweg.

Bonhoeffer schreibt: „Der Ort, an dem … Schulderkenntnis wirklich wird, ist die Kirche … Wo es anders wäre, wäre die Kirche nicht mehr Kirche. Die Kirche ist heute die Gemeinschaft der Menschen, die erfaßt von der Gewalt der Gnade Christi ihre eigene persönliche Sünde wie den Abfall der abendländischen Welt von Jesus Christus als Schuld an Jesus Christus erkennt, bekennt und auf sich nimmt … Die Kirche bekennt, ihre Verkündigung von dem einen Gott, der sich in Jesus Christus für alle Zeiten offenbart hat und der keine anderen Götter neben sich leidet, nicht offen und deutlich genug ausgerichtet zu haben … Sie hat das rechte Wort in rechter Weise zu rechter Zeit nicht gefunden. Sie hat dem Abfall des Glaubens nicht bis aufs Blut widerstanden und hat die Gottlosigkeit der Massen verschuldet. Die Kirche bekennt, den Namen Jesu Christi mißbraucht zu haben, indem sie sich seiner vor der Welt geschämt hat … Sie hat es mitangesehen, daß unter dem Deckmantel des Namens Christi Gewalttat und Unrecht geschah … Die Kirche bekennt sich schuldig an dem Verlust des Feiertags, an der Verödung ihrer Gottesdienste, an der Verachtung der sonntäglichen Ruhe … Die Kirche bekennt, an dem Zusammenbruch der elterlichen Autorität schuldig zu sein. Die Verachtung des Alters und der Vergötterung der Jugend ist die Kirche nicht entgegengetreten aus Furcht, die Jugend und damit die Zukunft zu verlieren, als wäre ihre Zukunft die Jugend … Die Kirche bekennt, die willkürliche Anwendung brutaler Gewalt, das leibliche und seelische Leben unzähliger Unschuldiger, Unterdrückung, Haß, Mord gesehen zu haben ohne ihre Stimme für sie zu erheben … Die Kirche bekennt, begehrt zu haben nach Sicherheit, Ruhe, Frieden, Besitz, Ehre, auf die sie keinen Anspruch hatte und so die Begierden der Menschen nicht gezügelt, sondern gefördert zu haben. Die Kirche bekennt sich schuldig aller 10 Gebote, sie bekennt darin ihren Abfall von Christus … Sie ist schuldig geworden an dem Abfall der Obrigkeit von Christus. Ist das zuviel gesagt? sollten hier einige ganz Gerechte sich erheben und beweisen wollen, daß nicht die Kirche, sondern gerade alle anderen die Schuld träfe? … Wer das Schuldbekenntnis der Kirche erstickt oder verdirbt, der wird in hoffnungsvoller Weise schuldig zu Christus. Indem die Kirche die Schuld bekennt, entbindet sie die Menschen nicht vom eigenen Schuldbekenntnis, sondern sie ruft sie in die Gemeinschaft des Schulbekenntnisses hinein. Die Kirche und der Einzelne werden als in ihrer Schuld Gerichtete, von dem gerechtfertigt, der alle menschliche Schuld auf sich nimmt und vergibt, durch Jesus Christus … Die Kirche erfährt im Glauben die Vergebung aller ihrer Sünden und einen neuen Anfang durch Gnade, für die Völker gibt es nur ein Vernarben der Schuld in der Rückkehr zur Ordnung, zum Frieden, zum freien Ergehenlassen der kirchlichen Verkündigung von Jesus Christus … Das Vergeltungsgesetz des ‚Auge um Auge, Zahn und Zahn‘ bleibt Gott, dem Richter der Völker, vorbehalten. In den Händen der Menschen müßte es nur neues Unheil hervorbringen. Voraussetzung für diese innergeschichtliche Vergebung bleibt, daß die Schuld vernarbt ist, indem aus Gewalt Recht, aus Willkür Ordnung, aus Krieg Frieden geworden ist. Wo das nicht der Fall ist, wo das Unrecht ungebrochen herrscht und immer neue Wunden schlägt, dort kann freilich von solcher Vergebung  keine Rede sein, vielmehr muß dort die erste Sorge sein, dem Unrecht zu wehren und die Schuldigen ihrer Schuld zu überführen …“ (Dietrich Bonhoeffer, Ethik, DBW 6, S.  125 – 136)        

Fragen zum Nachdenken:

  1. Wie findest Du das Stuttgarter Schuldbekenntnis?
  2. Welche der Schuldbekenntnisse der Kirche, die Bonhoeffer nennt, hat Dich besonders angesprochen?
  3. Worin liegt die Schuld der Kirche in der gegenwärtigen Zeit?
  4. An wem oder was hast Du Dich schuldig gemacht?

Lesen wir bis zum Rundbrief November 2021: 

Psalmen 65 - 67; Matthäus-Evangelium, Kapitel 21, die Verse 28 - 32                

Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe