Rundbrief 2021-07 Stefan Zweig

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HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Juli 2021!

Unser Vereinsmitglied Klaus Maria Brandauer liest am Montag, dem 5. Juli 2021 um 20.00 Uhr in der evangelischen Kirche Bad Kleinkirchheim Texte von Stefan Zweig. Der Pianist Arno Waschk begleitet seine Lesung mit Klaviermusik. 

Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren und starb am 23. Feber 1942 in der Nähe von Rio de Janeiro (Brasilien). Seine Eltern waren der jüdische Textilunternehmer Moritz Zweig (1845 – 1926) und die wohlhabende Ida Bretlauer (1854 – 1938).

 
Stefan Zweig
Quelle: commons.wikimedia.org

Im Oktober 1917 kaufte er in Salzburg das sogenannte „Paschingerschlössl“, auch „Trompeterschlössl“ genannt, in dem auch Wolfgang Amadeus Mozart musizierte. Gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau Friderike (1882 – 1971) und deren Töchtern aus erster Ehe, Suse und Alix, bewohnte Zweig ganzjährig das Haus.

Zweig zog deshalb nach Salzburg, weil er bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (1914 – 1918) nur ein schmales literarisches Werk vorweisen konnte, weil seine schriftstellerische Arbeit in Wien zu wenig gewürdigt wurde und weil er durch die geographische Lage Salzburgs einen guten Anschluss zu bedeutenden europäischen Städten wie München, Zürich, Venedig und Paris hatte. In Salzburg lebte er allerdings zurückgezogen und schloss nur mit wenigen Künstlerkollegen Freundschaft. Einer seiner Lieblingsorte war das Café Bazar, im Café Mozart spielte er gerne Schach.

Mitte der 1920er Jahre begann Zweigs literarischer Welterfolg. Innerhalb von wenigen Jahren wurde Zweigs Werk in zwanzig bis dreißig Sprachen übersetzt. 1927 wurde in der Sowjetunion eine erste Ausgabe gesammelter Werke veröffentlicht, zu der der russische Schriftsteller Maxim Gorki (1868 – 1936) das Vorwort schrieb.

Im Sommer 1920 fanden die ersten Salzburger Festspiele statt. Obwohl Zweig mit den österreichischen Schriftstellern Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929) und Max Reinhardt (1873 – 1943) bekannt war, kam es zu keinem Mitwirken Zweigs im Direktorium der Festspiele. Daher verließ Zweig im Sommer häufig enttäuscht die Stadt und zog sich in Zell am See zurück.

Nach Adolf Hitlers Machtergreifung 1933 war der größte Teil der Salzburger Bürger für einen baldigen Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland. Durch diese Sympathien, aufgrund des jahrelang erlebten Antisemitismus (Zweigs Werk wurde auf die Liste der Bücherverbrennungen und 1935 auf die verbotener Autoren gesetzt) und durch den Verdacht, in seinem Haus Waffen des sozialdemokratischen Schutzbundes versteckt zu haben, verließ Zweig Salzburg und zog nach London. Die Ehe mit seiner ersten Frau Friderike wurde 1938 geschieden.

Er heiratete allerdings ein zweites Mal, Lotte Altmann, eine deutsche Emigrantin, die 1934 seine Sekretärin geworden war. Im Juni 1940 verließen Lotte und Stefan Zweig Europa und wohnten abwechselnd im Exil in den USA und in Brasilien. Stefan Zweig nahm sich zusammen mit seiner Frau aufgrund langjähriger depressiver Zustände am 23. Februar 1942 in Petrópolis, nordöstlich von Rio de Janeiro (Brasilien), mit einer Überdosis Veronal (Schlafmittel) das Leben. Die Zerstörung seiner geistigen Heimat Europa hat ihn zunehmend entwurzelt und seine Kräfte waren durch die vielen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft.

Zweigs umfangreiches Werk mit weltberühmten Schriften wie „Schachnovelle“ oder „Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers“ (stehen in unserer Bonhoeffer-Bibliothek) sind in der dreibändigen Salzburger Ausgabe abgedruckt. Das Stefan Zweig Zentrum in Salzburg bewahrt das Erbe Zweigs, indem es ein Ort für Literatur, Kunst und Wissenschaft ist. Dieses wäre auch ein interessantes Ziel für einen Ausflug unseres Vereins.

1917 verfasste Stefan Zweig „Jeremias. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern“. Dieses Werk steht auch in unserer Bonhoeffer-Bibliothek und war für Bonhoeffer interessant. Da er dieses für seinen Vortrag „Die Tragödie des Prophetentums und ihr bleibender Sinn“ am 13. November 1928 in der evangelischen Gemeinde in Barcelona, in der er als Vikar tätig war, brauchte, schrieb er in seinem Brief im Oktober 1928 an seinen Schwager Walter Dreß (Ehemann seiner Schwester Susanne): „Schon wieder mal komme ich mit einer Bitte. Besitzt Du Zweig: Jeremias? Dann sei bitte so gut und schick ihn mir. Ich möchte für einen Vortrag … das Buch gern haben. Andernfalls sei doch so gut und telephoniere bei Grote (Berliner Buchhandlung) an, er soll mir’s schicken. Verzeih den Umstand und hab vielen Dank für alles im Voraus“ (Register und Ergänzungen, DBW 17, S. 86 f).

Bonhoeffer schreibt in seinem Vortrag: „ … Wir sind Menschen des 20. Jahrhunderts  und sollen uns, ob uns gefällt oder nicht, damit abfinden, noch mehr: wir sollen soviel Liebe zu dieser unsrer Gegenwart, zu diesem unserem Geschlecht haben, daß wir uns mit ihm solidarisch erklären, in der Not wie in der Hoffnung. Wir sind durch die Ereignisse der letzten Jahrzehnte in eine unvergleichliche Krisis hineingeraten, die sich in einer unklaren politischen Ideologie nicht mehr als in der völligen Ratlosigkeit gegenüber pädagogischen, ethischen und religiösen Fragen ausdrückt … Nur daß ich’s gleich heraussage: wir werden Antworten suchen dort, wo wir glauben, Gottes Spuren auf der Erde zu finden, sei es in alter oder in neuer Zeit – denn Gottes Spuren bleiben ewig … Was ist ein Prophet? Hier müssen wir zunächst schlechtweg ablehnen jede Ansicht, die dahin geht, ein Prophet sei etwas wie ein Weissager oder Wahrsager. So hört man oft [bis heute!]; das ist grundfalsch. Ein Prophet ist ein Mann, der sich von Gott in einem bestimmten erschütternden Augenblick seines Lebens angefaßt und berufen weiß und nun nicht mehr anders kann, als hintreten unter die Menschen und den Willen Gottes verkündigen. Die Berufung ist ein Wendepunkt seines Lebens geworden und es gibt für ihn nur noch eines, dieser Berufung folgen … Gott hat sich ein Gefäß seines Willen ausgewählt, aber er zerbricht das menschliche Gefäß, weil er zu gewaltig ist, Gott zerreißt, zerbricht, vernichtet die seelisch-harmonische Gestalt des Menschen, durch den er sich verkünden läßt, läßt ihn zusammenbrechen unter der Last, die er ihm auferlegt und die kein Sterblicher tragen kann, nämlich Träger des lebendigen Gottes zu sein … In solchem Gefühl des ‚Über der Kraft Angespanntwerdens‘ ist dann Jeremias einmal in erschütternder Verzweiflung vor Gott niedergesunken mit den unbeschreiblich ergreifenden Worten, die zum Schönsten gehören, was die Weltliteratur kennt: ‚Du locktest mich und ich ließ mich locken. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen. Ich werde verlacht beständig, mein spotten alle … Da dacht ich, es aufzugeben, nichts mehr zu reden …‘ (Jeremia 20, 7 – 10). Stefan Zweig läßt den Jeremia in seinem Drama einmal folgende Worte sprechen: ‚O, du kennst ihn nicht den Fürchterlichen, der Qualen hat und Martern, die kein Irdischer weiß. Wes lebendige Seele in Gottes Marter gefallen, der fürchtet nicht mehr des Leibes Pein. Ich habe die Gottesqual gekannt und Seligkeit ist die Marter des Todes gegen die Marter des Lebens, eine Wollust des Menschen Qual wider die Gottesqual‘ (Stefan Zweig: Jeremias, S. 180). Die Seele des Jeremias liegt hier offen vor uns … Er kann nicht mehr von Gott los und kann doch auch die Qual nicht länger ertragen, seinem geliebten Volk immer nur als Ankläger gegenübertreten zu müssen, darüber zerreißt ihm die Seele, aber Gott ist zu stark gewesen, er hat gewonnen … Einen 3fachen Grund hat die Tragödie der Propheten gehabt. Einmal: Sie waren mit Gott im Bunde und in diesem waren ihnen die zwei überwältigenden Erlebnisse geschenkt worden: Gott ist der Weltherrscher, er lenkt die Geschichte nach seinem Willen und Gott ist der Heilige … Unsere Zeit geht aus den Fugen, die Lebenskraft unseres Volkes, Europas scheint gebrochen. Aus allen Ecken und Winkeln grinst die Fratze der Dekadenz, der Unmoral, des Zynismus, der Verderbnis. Angesichts dessen gilt es einfach zu werden und so haben wir einmal den Worten des alten Propheten unser Ohr geliehen – sie haben es gesagt und können es         

nicht besser sagen. Ein Volk, das emporkommen will, muß Ernst machen mit Gottes Willen, muß Ernst machen mit seinem Leben in der Sittlichkeit … Gott kennt keine Unterschiede zwischen den Völkern, wenn nicht den, daß jenes seinen Willen tut und dieses nicht, Gott bleibt der Heilige … Wer Ohren hat zu hören, der hat gehört, dem wird immer wieder beim Anblick unsrer Zeit vor die Augen treten die versunkene Welt  der Propheten Israels“ (Barcelona, Berlin, Amerika 1928 – 1931, DBW 10, S. 285 – 302).     

Bonhoeffer hielt am Sonntag, dem 21. Jänner 1934 in London eine Predigt über Jeremia 20, 7: „Herr, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist zu stark gewesen und hast gewonnen.“ An dieser Predigt wird deutlich, dass Bonhoeffer sein Geschick und Leben im Licht der alttestamentlichen Propheten, besonders im Licht des Propheten Jeremia, verstanden hat. Dieses „Jeremia-Motiv“ in der Biographie Bonhoeffers hat in der Bonhoefferforschung leider zu wenig Beachtung gefunden. Bonhoeffer hielt seine Predigt vier Tage vor dem Empfang der Führer der am Kirchenkampf beteiligten Gruppen bei Hitler. Diese Predigt besitzt also einen hochbrisanten zeitgeschichtlichen Hintergrund und macht den engen Zusammenhang von Theologie und Biographe bei Bonhoeffer deutlich (zum „Jeremia-Motiv“ siehe Zimmerling, Peter: Bonhoeffer als Praktischer Theologe, Göttingen 2006, S. 94 – 97,  steht in unserer Bonhoeffer–Bibliothek!).

In seiner Predigt schreibt Bonhoeffer: „Jeremias hat sich nicht dazu gedrängt, Prophet Gottes zu werden. Er ist zurückgeschaudert, als ihn plötzlich der Ruf traf, er hat sich gewehrt … nein, er wollte dieses Gottes Prophet nicht sein … der Pfeil des allmächtigen Gottes hat das gehetzte Wild erlegt. Jeremias ist sein Prophet … Der Weg ist vorgeschrieben. Es ist der Weg des Menschen, den Gott nicht mehr losläßt, der Gott nicht mehr loswird … Aber eben hier, wo einer meint, den Weg mit Gott nicht mehr länger gehen zu können, weil er zu schwer ist … wo uns Gott zu stark geworden ist – wo ein Christ unter Gott zusammenbricht und verzagt - da wird uns Gottes Nähe, Gottes Treue, Gottes Stärke zum Trost und zur Hilfe … Es bedeutet: Gott mit uns auf all unseren Wegen, im Glauben und in der Sünde, in Verfolgung, Verspottung und Tod … Herr, überrede uns immer neu und werde stark über uns, damit wir dir allein glauben, leben und sterben, damit wir deinen Sieg schauen“ (London, 1933 – 1935, DBW 13, S. 347 – 351).

Dieses „Jeremia-Motiv“ in Bonhoeffers Biographie macht also deutlich, dass Bonhoeffer Parallelen zwischen seiner Lebensgeschichte und der des Propheten Jeremia erkannt hat. Es ist der Ruf Gottes, der für Bonhoeffer zu stark war und dem er nicht weichen konnte, es sind seine anklagenden Worte gegen die Untaten des verbrecherischen Nazi-Regimes und gegen die Häresien der „Deutschen Christen“, es sind die Anfeindungen und Beschimpfungen ihm gegenüber und es ist die tröstende Gewissheit, auf allen seinen Wegen in Gottes Hand geborgen zu sein.                  

Drei Fragen zum Nachdenken:

  • Welche Werke von Stefan Zweig kennst Du?
  • Was verstehst Du unter einem Propheten?
  • Hast Du auch einmal Anfeindungen und Beschimpfungen wegen Deines Glaubens und Deiner Überzeugungen erfahren?

Lesen wir bis zum Rundbrief August 2021: 
Psalmen 56 - 58; Matthäus-Evangelium Kapitel 21, die Verse 12 - 17                   

Liebe Grüße,
Euer Obmann Uwe