Rundbrief 2021-06 Onkel Emil

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HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Juni 2021!

Bekannte Widerstandsgruppen gegen die Diktatur des Nazionalsozialismus waren zum Beispiel die „Weiße Rose“ mit den Geschwistern Sophie und Hans Scholl, der „Kreisauer Kreis“ mit Helmuth James Graf von Moltke, das „Unternehmen Walküre“ mit Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg und die „Konspiration der Abwehr“ mit Admiral Wilhelm Canaris, Dietrich Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi und anderen.

Eine unbekannte Widerstandsgruppe dürfte wohl die in Berlin gegründete Gruppe „Onkel Emil“ sein.

Die Journalistin Ruth Andreas–Friedrich (1901–1977) und ihr Lebensgefährte, der Dirigent Leo Borchard (1899–1945), sind die Begründer. Ruth Andreas–Friedrich wurde 2002 von „Yad Vashem“ (Internationale Holocaust–Gedenkstätte in Jerusalem) als Gerechte unter den Völkern geehrt.                    

           Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus von Ruth Andreas-Friedrich in Berlin Steglitz
Quelle: Wikipedia

 

Ruth Andreas–Friedrich
Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand


Die Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ wurde nach ihrem Warnruf benannt (Zur Stammgruppe gehörte der Arzt Walter Seitz, genannt „Onkel Emil“. In Bonhoeffers Familien- und Freundesbriefen der Jahre 1938 und 1939 steht öfters das Codewort „Onkel Rudi“. Er war ein Verwandter Bonhoeffers und General. Sein Name stand für Hitlers Kriegsvorbereitungen.), half verfolgten Juden mit Verstecken, Verpflegung und Papieren, unterstützte die Familien politisch Verfolgter und verbreitete Flugblätter der „Weißen Rose“. Da „Onkel Emil“ nie von den Nazis entdeckt wurde, gibt es kaum Dokumente über sie wie Verhörprotokolle, Gerichtsurteile und Briefwechsel. Allerdings sind Ruth Andreas-Friedrichs Tagebuchaufzeichnungen der Jahre 1938 bis 1945 als Buch erschienen.

In ihren Aufzeichnungen vom 27. März 1943 beschreibt sie sehr deutlich das Ziel von „Onkel Emil“: „Uns aber ist es ungeheuer wichtig, daß man draußen erfährt, daß auch in Deutschland Menschen leben. Nicht nur Judenfresser, Hitlerjünger und Gestaposchergen. Viel zu wenig weiß die Welt bisher davon … Wir haben keine Organisation hinter uns … Was wir tun ist Einzelarbeit. Nur daß diese Einzelarbeit Tausender und aber Tausender Deutscher im Dienst der Menschlichkeit getan wird, trotz Drangsal, Verfolgung und Tyrannei, das sollte, wenn der Tag der Abrechnung kommt, von denen nicht vergessen werden, die es leichter haben als wir, gute und hilfreiche Menschen zu sein“ (Ruth Andreas–Friedrich: Der Schattenmann. Tagebuchaufzeichnungen 1938 – 1945, Frankfurt/M. 1983, S. 109 f.).

In ihrer Tagebucheintragung am Todestag Bonhoeffers (Montag, 9. April 1945) schreibt sie von bevorstehenden Hinrichtungen, die Hitler kurzfristig befahl. Zu diesen gehörten auch die von Dietrich Bonhoeffer, Wilhelm Canaris, Hans Oster, Karl Sack und Ludwig Gehre im Konzentrationslager Flossenbürg: „Wir müssen uns um Hartmann kümmern … Seit drei Wochen wartet er auf den roten Volkssturmschein. Bedenke, der Mann hat keinerlei Ausweise. Unverantwortlich, ihn eine Stunde länger als notwendig in solcher Gefahr sitzen zu lassen! … Hitler plant einen Mord ganz großen Stils. Erschießung sämtlicher englischen und amerikanischen Kriegsgefangenen … Aber das ist doch der Plan eines Geisteskranken! … Und die Generäle? … Solange es noch Marschälle gibt, die gehorchen, läuft der Karren weiter. Und er wird laufen, durchs Blut, Schweiß und Tränen, bis er in den letzten Tagen des Abgrundes zerschellt ist … In der Dämmerung fahren wir durch das zertrümmerte Schöneberg nach Hause … Hinter den Ruinen des Schöneberger Rathauses leuchtet das Abendrot … Wenn sie uns alles nehmen, die Wolken bleiben …“ (Tagebuch, S. 233 – 236).

Der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland fiel es nach dem zweiten Weltkrieg lange schwer, die mutigen Mitglieder von Widerstandsgruppen gegen das nationalsozialistische Regime als solche anzuerkennen (zu diesen zählte auch Bonhoeffer), die sich aus unterschiedlichen Gründen verpflichtet fühlten, im Dienste der Menschlichkeit zu wirken und führe ihre Überzeugung einzutreten, damit nicht jedes geplante Unrecht der Nazis auch tatsächlich durchgeführt werden konnte.

Letztendlich haben die entschiedenen Nazigegner der unterschiedlichen Widerstandsgruppen die Weichen für demokratische Werte wie Menschenrechte und Frieden unter den Völkern gelegt. Diese Werte können aber nur dann dauerhaft bestehen bleiben und Früchte bringen, wenn eine wichtige Erkenntnis von Ruth Andreas–Friedrich ernst genommen und umgesetzt wird: „Denn wenn die Völker einander lieben wollen, müssen sie zuvor lernen, einander zu verstehen“ (Tagebuch, Vorwort).

Zwei Fragen zum Nachdenken:

  • Hättest Du Dich auch einer Widerstandsgruppe angeschlossen?
  • Gegen was oder wen ist heute Widerstand nötig?

Lesen wir bis zum Rundbrief Juli 2021: 
Psalmen 53 - 55; Matthäus-Evangelium Kapitel 21, die Verse 1 – 11                   

Liebe Grüße,
Euer Obmann Uwe