Rundbrief 2021-04 Anthropozän

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HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief April 2021!

Durch die seit einem Jahr anhaltende Coronakrise ist eine andere herausfordernde Krise in den Hintergrund geraten, die aber anhaltender und unbequemer sein wird – die weltweite Klimakrise durch die maßgeblich von Menschen verursachte globale Erderwärmung.

Seit der ökumenischen Vollversammlung 1983 in Vancouver (Kanada) reden die christlichen Kirchen von der Schöpfungsverantwortung der Menschen, die dringlicher ist wie nie zuvor. Aufgrund des massiven Einflusses des Menschen auf die Entwicklung der Öko- und Biosphäre hat sich seit 2000 die Bezeichnung Anthropozän für unser jetziges Erdzeitalter etabliert, in dem vor allem der Mensch durch seinen gigantischen Ausstoß von Kohlendioxid die Ökosphäre aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Der Begriff Anthropozän (Zeitalter des Menschen) geht auf den niederländischen Chemiker und Atmosphärenforscher Paul Crutzen (1933 – 2021) und den amerikanischen Biologen Eugene Filmore Stoemer (1934 – 2012) zurück.

Im ersten Buch Mose, Kapitel 2, Vers 15 steht ein wichtiger Auftrag Gottes an die Menschen zum Umgang mit der Erde: „Gott der Herr nahm den Menschen und brachte ihn in den Garten Eden. Er sollte ihn bearbeiten und bewahren“ (BasisBibel von 2021). Der Glaube an den Schöpfer stellt Christinnen und Christen in die Verantwortung, für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen Sorge zu tragen. Bei allem Bearbeiten, Gestalten und Bebauen ist die Vielfalt der Schöpfung zu achten und zu erhalten. Die Natur als Schöpfung Gottes hat einen eigenen Wert, so dass ein rücksichtsloses und grenzenloses Ausplündern der Naturressourcen mit dem Glauben an den Schöpfer und der Achtung seiner Schöpfung nicht vereinbar ist.

Daher ist es Aufgabe der Politik, der Wirtschaft, der Naturwissenschaften und auch der christlichen Kirchen, den Begriff Anthropozän neu zu definieren. Da der Mensch eine einzigartige Rolle in der Natur hatte und hat, wird es ein Zurück aus dem Anthropozän wohl nicht geben. Aber die Einzigartigkeit des Menschen darf sich nicht nur auf die technische Überlegenheit gegenüber der Natur beschränken, sondern bedeutet auch eine weitsichtige, hellhörige und nachhaltige praktische Zurückhaltung bei den technischen Möglichkeiten. Der Mensch ist also als das Ebenbild Gottes (1. Mose 1, Kapitel 1, Vers 26) das dazu aufgerufen und aufgefordert, das sein zu lassen, was für die Natur kontraproduktiv ist und achtsam das zu tun, was dem Gleichgewicht des Ökosystems Erde dient.

Die Gefahren der globalen Erderwärmung spürt der Mensch am eigenen Leib, weil er Teil der Natur ist. So gesehen hat der Mensch nicht nur einen Leib, sondern ist auch Leib. Sein Verhältnis zum Leib spiegelt sich in seinem Verhältnis zur nichtmenschlichen Natur. Dietrich Bonhoeffers Anthropologie (Lehre vom Menschen) der Leiblichkeit kann zu einer neuen achtsamen Haltung der Menschen zur Natur beitragen. Für Bonhoeffer sind die Menschen leibliche Wesen: „Der Mensch ist ein leibliches Wesen und bleibt es auch in Ewigkeit. Leiblichkeit und Menschsein gehören zusammen. So kommt der Leiblichkeit, die von Gott gewollt ist als Existenzform des Menschen, Selbstzwecklichkeit zu“ (Ethik, DBW 6, S. 180). Als ein leibliches Wesen ist der Mensch mit der Erde als seine Mutter verbunden (vgl. Schöpfung und Fall, DBW 3, S. 71). Nicht als „leibloser Geist“, sondern gerade in seiner Leiblichkeit ist der Mensch Gottes Ebenbild (vgl. Schöpfung und Fall, DBW 3, S. 43 und S. 74). Diese Wertschätzung des Leibes schließt auch die „Bewahrung des Leibes vor beabsichtigter Schädigung, Vergewaltigung und Tötung“ (Ethik, DBW 6, S.179) ein. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht auch in dessen Sozialität und auf sein Angewiesensein auf andere: „Der Mensch ist nicht allein, er ist in Zweiheit und in diesem Angewiesensein auf den anderen besteht seine Geschöpflichkeit“ (Schöpfung und Fall, DBW 3, S. 60). Da der Mensch für Bonhoeffer ein geschöpfliches und leibliches Wesen ist, hat er auch ein Recht auf leibliche Freuden und auf Genuss des natürlichen Lebens. Dadurch wird der Schöpfer geehrt und der Reichtum seiner Gabe anerkannt (vgl. Ethik, DBW 6, S. 173). Bonhoeffer schreibt in seinem Brief vom 20. Mai 1944 an seinen Freund Eberhard Bethge: „Du willst mit Renate leben und glücklich sein, und Du hast darauf ein gutes Recht“ (Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 440).

Obwohl zu Bonhoeffers Lebzeiten die globale Erderwärmung ein noch nicht nennenswertes Thema war, so trägt Bonhoeffers Anthropologie des Leibes in vierfacher Hinsicht zu einer neuen ökologischen Haltung in einem neu zu definierenden Anthropozän maßgeblich bei:

  1. Wenn der Mensch tatsächlich versteht, dass er Leib ist, den er wertschätzt, auf den er hört, was er ihm zu sagen hat, dann kann der Leib den Menschen für die Weisheit der Natur sensibilisieren.
  1. Durch die Erkenntnis, dass Mutter Erde den Menschen trägt, hält und nährt (Schöpfung und Fall, DBW 3, S. 62), kann er sich nicht länger als Zentrum der Erde verstehen, sondern als Teil der Erde, in der er wie alle anderen Lebewesen eingebettet ist.
  1. Dem Menschen ist von Gott aufgetragen, menschlich zu leben und frei für den anderen da zu sein (Schöpfung und Fall, DBW 3, S. 59). Daher entspricht es nicht Gottes Schöpfungswillen, wenn Menschen über Menschen, über die Erde und über nichtmenschliche Geschöpfe ausbeuterisch und vernichtend herrschen.
  1. In seinem Brief vom 21. Mai 1944 an Eberhard Bethge schreibt Bonhoeffer: „Auch die große Zigarre habe ich angezündet und genieße sie sehr. Vielen Dank dafür!“ (Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 445). Wenn der Mensch den Gebrauch der Schöpfungsgaben genussvoll unterbricht, dann wird er empfänglicher für die unantastbare Würde der Natur.                

Literaturtipps:

  • Etzelmüller, Gregor: Bonhoeffers Theologie des Leibes als Wegweiser zu einer neuen ökologischen Haltung, in: Lutherische Theologie und Kirche 44, Heft 2-3 (Dietrich Bonhoeffer – wie eine kommende Generation weiterleben soll), 2020, S. 179 – 191.
  • Nausner, Michael: Ökogerechtigkeit als gegenseitige Teilhabe? Versuch einer theologischen Vision der gegenseitigen Durchdringung alles Erschaffenen, in: Amt und Gemeinde 70, Heft 1 (Schöpfungsverantwortung), 2021, S. 12 – 22.

Fragen zum Nachdenken:

  1. Wie siehst Du Deinen Leib an?
  2. Wie würdest Du sagen: Mutter Erde? Die Erde? Gottes Erde? Unsere Erde?
  3. Was ist Dein Beitrag zum Naturschutz?

Lesen wir bis zum Rundbrief April 2021: 

Psalmen 47 - 49;  Matthäus-Evangelium Kapitel 20, die Verse 17 – 27                   

Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe