Rundbrief 2021-02 Folter ist Entehrung des Menschen
HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Feber 2021!
Am 3. Jänner 2021 liefen in der ARD und im ORF 2 die Filme „Feinde – Gegen die Zeit“ und „Feinde – Das Geständnis“. Regie führte Nils Willbrandt. Dieses deutsche Fernsehfilmprojekt entstand nach einer Idee von Ferdinand von Schirach, der am 12. Mai 1964 in München geboren wurde, Strafverteidiger, Schriftsteller und Dramatiker ist.
Ferdinand von Schirach, © Wikipedia 2009
Es geht bei den beiden Filmen um die Frage, ob die Polizei einen Verdächtigen foltern darf, um ein entführtes Kind zu retten. Der Film „Feinde - Gegen die Zeit“ zeigt das Geschehen aus der Sicht des Polizisten Peter Nadler; der Film „Feinde - Das Geständnis“ zeigt dieses aus der Sicht des Strafverteidigers Konrad Biegler, dargestellt durch unser Vereinsmitglied Klaus Maria Brandauer.
Durch die Entführung der zwölfjährigen Lisa von Bode, die dadurch zu Tode kommt, steht der Entführer Georg Kelz vor Gericht, der ein Security-Mitarbeiter im Hause der wohlhabenden Familie von Bode ist. Von dem Angeklagten liegt ein Geständnis vor. Sein erfahrener Verteidiger Biegler stellt sich allerdings die Frage, warum jemand, der ein perfektes Verbrechen geplant hat, keine Spuren hinterlässt und wenig Reue zeigt, den Aufenthaltsort der zwölfjährigen Lisa verraten hat. Biegler hat daher den Verdacht, dass der Angeklagte in der Untersuchungshaft gefoltert wurde. Tatsächlich bricht Kelz sein Schweigen und berichtet, wie Nadler ihn ohne Zeugen mit „Waterboarding“ (Foltermethode des simulierten Ertränkens) am frühen Morgen im Duschraum der Haftanstalt zum Sprechen gebracht hat. Für Biegler geht es von Anfang an nicht um Schuld und Unschuld, sondern um einen wichtigen Grundpfeiler eines demokratischen Rechtsstaats, der die Folter verbietet, auch nicht die eines Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren. Daher ist sein Ziel der Freispruch des Angeklagten. In den beiden Filmen geht es um die Fragen: Kann und darf man den Angeklagten allein auf Basis eines Geständnisses verurteilen, das er direkt nach der Folter abgegeben hat? Oder muss das Gericht ihn freisprechen, weil dieses Geständnis nicht verwertbar ist und es keine weiteren Beweise gegen ihn gibt? Hat der ermittelnde Polizist sich selbst wegen der Folter strafbar gemacht?
Das Folterverbot des Rechtstaates gegenüber Beschuldigten ist eine Reaktion auf die Gräueltaten des NS-Regimes. Da die Väter und Mütter des deutschen Grundgesetzes die Barbarei der Nazizeit erlebt haben, müssen Menschen vor dem Staat geschützt werden. Artikel 104, Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes unterstreicht: "Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden.“
In den österreichischen Grundrechten steht, dass jeder Mensch das Recht hat, „keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Folter) unterworfen zu werden.“ Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention stellt heraus: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ „Folter als Inquisitions- und Justizpraxis wurde erst 1740 in Preußen, 1776 in Österreich abgeschafft.“ (Ethik, DBW 6, S. 215, Anmerkung 145)
Wurde Dietrich Bonhoeffer in seiner Haft gefoltert? Er hat wohl mit Folter gerechnet, wurde aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gefoltert, aber Mitglieder seiner Familie.
„Im Glauben kann ich alles ertragen (-hoffe ich-), auch eine Verurteilung, auch die anderen befürchteten Folgen … “ (Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 252)
„Gemessen an Tegel [Gefängnis Berlin Tegel] war die Prinz-Albrecht-Straße [Gestapo-Gefängnis Berlin] eine andere Welt. Es gab keine Sprecherlaubnis. Briefkontakte waren untersagt … Er [Dietrich] ist zwar mit der Folter bedroht, aber nicht gefoltert worden.“ (Ferdinand Schlingensiepen: Dietrich Bonhoeffer, München 2010, S. 376)
„Die Berliner Gefängnisse! Was wußte ich von ihnen noch vor einigen Jahren, und wie mit anderen Augen habe ich sie seitdem angesehen. Das Charlottenburger Untersuchungsgefängnis, in dem Tante Christel [Dietrichs Schwester) seit einiger Zeit gefangen saß, das Tegeler Militäruntersuchungsgefängnis, in dem Onkel Dietrich anderthalb Jahre saß, das Moabiter Militärgefängnis mit Onkel Hans [Dietrichs Schwager], das SS-Gefängnis in der Prinz-Albrecht Straße, wo Onkel Dietrich ein halbes Jahr im Kellergeschoß hinter Gittern gehalten wurde, und das Gefängnis in der Lehrter Straße, wo man Onkel Klaus [Dietrichs Bruder] folterte und Onkel Rüdiger [Dietrichs Schwager] quälte, wo sie noch zwei Monate nach ihrem Todesurteil lebten.“ (Rückschau des Überlebenden. Karl-Friedrich Bonhoeffer [Dietrichs Bruder] an seine Kinder [Dietrichs Neffen und Nichte Karl, Friedrich, Martin, Katharina], Juni 1945, in: Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 619)
Bonhoeffer erörtert in dem Abschnitt „Das natürliche Leben“ seiner „Ethik“ Themen, die damals aktuell waren und dies auch heute noch sind: Euthanasie; Zwangssterilisation, Schwangerschaftsabbruch, Fortpflanzung, Folter und Selbstmord: „Da es nach Gottes Willen menschliches Leben auf Erden nur als leibliches Leben gibt, hat der Leib um des ganzen Menschen willen das Recht auf Erhaltung … Das ursprünglichste Recht des natürlichen Lebens ist die Bewahrung des Leibes vor beabsichtigter Schädigung, Vergewaltigung und Tötung … Allein wo ausschließlich und bewußt in Rücksicht auf die eigene Person gehandelt wird, wird Selbsttötung zum Selbstmord. Wer aber wollte über diese Ausschließlichkeit und Bewußtheit mit Gewißheit etwas zu sagen wagen? Wo ein Gefangener sich das Leben nimmt, weil er fürchten muß, unter der Anwendung der Folter sein Volk, seine Familie, seinen Freund zu verraten, wo ein Staatsmann, dessen Auslieferung der Feind unter Androhung von Repressalien gegen sein Volk fordert, nur durch freien Tod seinem Volk schweren Schaden ersparen kann, dort tritt die Selbsttötung so stark unter das Motiv des Opfers, daß eine Verurteilung der Tat unmöglich wird. Wenn ein unheilbar Kranker sehen muß, daß seine Pflege den materiellen und seelischen Zusammenbruch seiner Familie zur Folge hat und durch eigenen Entschluß die Seinen von dieser Last befreit, so mögen gewiß manche Bedenken gegen so eigenmächtiges Handeln bestehen, dennoch wird eine Verurteilung auch nicht möglich sein … Unter Peinigung des Leibes verstehen wir die willkürliche und rohe Zufügung leiblicher Schmerzen unter Ausnutzung gegebener Machtverhältnisse im allgemeinen und insbesondere zum Zwecke der Erpressung erwünschter Geständnisse oder Aussagen. Hier wird der Leib ausschließlich als Mittel zur Erreichung fremder Zwecke, also etwa zur Befriedigung von Machtlust oder zur Erzielung bestimmter Kenntnisse mißbraucht und damit entehrt. Die Schmerzempfindlichkeit des unschuldigen Leibes wird in quälerischer Weise ausgenutzt. Ganz abgesehen davon, daß die Folterung meist ein ungeeignetes Mittel zur Aufdeckung der Wahrheit ist …, bedeutet jede leibliche Peinigung die tiefste Entehrung des Menschen; sie erzeugt darum einen tiefen Haß und den natürlichen leiblichen Drang, die verletzte Ehre unter Anwendung leiblicher Gewalt wiederherzustellen. Leibliche Entbehrung sucht leibliche Vergeltung an dem ehrlosen Peiniger. Insofern zerstört die Verletzung der leiblichen Freiheit des Menschen auch hier die Grundlagen der Gemeinschaft.“ (Ethik, DBW 6, S. 179. 197. 215)
Folterungen und Misshandlungen sind tiefe Entehrungen von Menschen und müssen daher entschieden abgelehnt und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bestraft werden.
Leider werden bis heute solche Entehrungen von Menschen immer wieder praktiziert.
Siehe dazu die Untersuchungen von Amnesty International:
www.amnesty.ch/de/themen/folter/zahlen-fakten-und-hintergruende/wichtigste_fakten
Eine Frage zum Nachdenken: Falls Du die beiden Filme „Feinde“ gesehen hast - welche Argumente des Strafverteidigers Biegler und des Polizisten Nadler findest Du moralisch und juristisch überzeugend?
Lesen wir bis zum Rundbrief März 2021:
Psalmen 41 – 43; Matthäus-Evangelium Kapitel 19, die Verse 27 – 30.
Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe