Rezension zum Buch von Detlef Bald: Dietrich Bonhoeffer. Der Weg in den Widerstand. "Ich bete für die Niederlage meines Landes". Darmstadt 2021

Kurt Udermann, Vereinsmitglied

Der Autor gibt Einblick in das Ringen Dietrich Bonhoeffers um eine adäquate, christliche Antwort auf die Provokationen und Täuschungen des Nationalsozialismus. Das letzte von 13 Kapiteln beschreibt als eine Art Zusammenfassung auch die anfängliche öffentliche Ablehnung der Anerkennung Bonhoeffers in Deutschland und seiner unaufhaltsamen, weltweiten Hochachtung. (209 - 212) Der Verfasser öffnet zwölf Zugänge zur folgerechten Entscheidung Bonhoeffers, sich dem Widerstand um Canaris und Oster anzuschließen.

Die Untersuchung bietet viele interessante Informationen zu den Phasen, die den Weg Bonhoeffers in den offiziellen Widerstand markieren. Ihre gewählte Perspektive bringt überraschende und erhellende Details ans Licht, die gewöhnlich in Biographien nicht zur Sprache kommen. Die Lektüre wird bereichert durch vertiefende Einblicke in politische, soziale und persönliche Voraussetzungen der Protagonisten und der politischen Strömungen der jeweiligen Station. Der Autor thematisiert auch viele bekannte Erlebnisse, Ereignisse und Entscheidungen Bonhoeffers: Im reflektierten und konsequenten Kampf gegen das NS-Regime mündet dieses entschiedene „Gegenhandeln“ schließlich in den Widerstand und findet in der Hinrichtung am 9. April 1945 sein tragisches Ende.

Die Darstellung von Bonhoeffers Klar- und Weitsicht sowie die entschiedene Umsetzung des Erkannten in konkretes Tun beeindrucken. Beides – Analyse und Handeln – war Bonhoeffer nicht in die Wiege gelegt worden. Das Zustandekommen seines einjährigen Aufenthaltes in New York, der die Weichen seines Lebens richtungsweisend stellte, nahm er als ein unerwartetes Geschenk gerne an. Die Fäden im Hintergrund zog sein Entdecker Superintendent Max Diestel. (57)

Die Erfahrungen Bonhoeffers in der „anderen, neuen Welt“ haben sein Denken und sein Handeln (Lebensmotto: „Christentum bedeutet Entscheidung“) grundlegend neu orientiert und motiviert. Er hat sich an seinem Studienort, dem "Union Theological Seminary", von Professoren und Studienkollegen inspirieren lassen. (42) Maßgeblich aber waren für sein späteres Leben seine Offenheit für die Begegnung mit Afroamerikanern und ihrer Lebenswelt, ihrer Diskriminierung durch die weiße Mehrheitsbevölkerung, die von der Kirche abgesegnet war. Er lernte Vertreter der Befreiungsbewegung und ihre Publikationen kennen. Jedenfalls ließ er im gelobten Land der „Neuen Welt“ auch deren dunkle Seiten an sich heran.

Im Union eignete sich Bonhoeffer eine klare Haltung gegenüber Rassismus, sozialer und ökonomischer Diskriminierung und angemaßtes Herrentum an. Er war empört, dass die „weiße Kirche“ die Schwarzen aus ihren Gottesdiensten ausschloss. So war er auch willens, der Kirche in Deutschland die Stirn zu bieten und ihren Gleichschritt mit den Nazis als Verirrung zu verurteilen. Aber New York brachte nicht nur in politischer Hinsicht eine Lebens-Wende. Er betonte, dass er auch zur Bibel fand – vor allem zur Bergpredigt. Er, der vor noch nicht allzu langer Zeit in guter protestantischer Tradition den Krieg gerechtfertigt und die Bergpredigt für irrelevant erklärt hatte, denkt nun in die Gegenrichtung: Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit und Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes, insbesondere der Bergpredigt. (51)

Auf diesem geistigen Fundament und mit der Bereitschaft zu entschiedenem Handeln kehrte er 1931 nach Deutschland zurück. Wie er in Harlem schwarze Frauen und Kinder unterrichtete, so übernahm er in Berlin-Wedding Jugendarbeit. Er antwortete auf seine Überlegungen zur sozialen Frage mit konkreten Taten, real im verrufenen und kirchenfernen Proletarier-Milieu, in dem Armut und Unmoral dominierten. Erstaunlich ist sein solidarisches Leben mit den Jugendlichen. Mit seinem Freund Franz Hildebrandt verfasste er einen „Lutherischen Katechismus“, um die Jugendlichen auf die Konfirmation vorzubereiten. Sie wollten den Burschen auch Kriterien an die Hand geben, mit denen sie die menschenverachtenden Ziele und Verführungen des Nationalsozialismus durchschauen konnten. Sie betonten, dass alle Zwietracht in der Welt überwunden werden müsse und allein christliche Brüderlichkeit Frieden stiften könne. Bonhoeffer wollte „diese Jugendlichen vor NS-Tendenzen schützen und ihnen Hoffnung vermitteln, dass ihre Zukunft nicht in Armut und Verzweiflung enden würde.“ (61)

Später begründete er in einer Rede vor Pfarrern, dass die Kirche Recht und Aufgabe hätte, dem Rad in die Speichen zu fallen, wenn die Politik (das NS-Regime) gegen das Recht verstoße. Er appellierte an die Solidarität mit den Juden. (69) Dieser aufrüttelnden Botschaft verschloss sich die Mehrheit der anwesenden Pfarrer.

Auf mutige und prophetische Weise nahm er am 1. Februar 1933 im Radio Stellung zur Machtübernahme Hitlers (30. Jän.): Der „Führer“ gebärdet sich als Messias. Wenn er sich nicht an das Recht hält, wird er zum „Verführer“. (11) Er wies klar auf die Gefahren des Führersystems hin. Die Unterwerfung unter den Führer bedeute Selbstentrechtung und Selbstentmündigung der Bürger. Bald schon galt: Der Führer hat beschlossen! Die Rechtsstaatlichkeit war aufgegeben und der Diktatur das Tor weit geöffnet.

Nach seiner Ernennung zum Jugendsekretär des ökumenischen Weltbundes (Herbst 1931) und während seiner Tätigkeit als Pfarrer in London (1933-1935) widmete sich Bonhoeffer der Erarbeitung einer Friedensethik. Dafür setzte er sich intensiv mit den Fragen des Krieges auseinander: „Die Geschichte des Westens belehrt uns, dass dies eine Geschichte der Kriege gewesen ist.“ (78) „Herrschaft über die Natur führe zu einer Kultur nicht nur gegen die Natur, sondern auch gegen den anderen Menschen’“. (79) Große Beachtung fand seine Friedensrede am 28. Aug. 1934 in Fanö (Dänemark). Der Pfarrereid auf Hitler und die Aufrüstung der Reichswehr signalisieren zwei direkte Anlässe. (91) Er prangerte das Kriegstreiben der Nazis an und beschwor den Frieden. Jeder zukünftige Krieg werde mit dem äußersten Einsatz technischer Mittel geführt werden und eine Maschinerie des Todes in Gang setzen. Das Leid werde unermesslich sein. „Es gab nur eine alternative Lösung: Frieden... Es ist als ob alle Mächte der Erde sich verschworen hätten gegen den Frieden; das Geld, die Wirtschaft, der Trieb zur Macht, ja selbst die Liebe zum Vaterland sind in den Dienst des Hasses hineingerissen, Hass der Völker, Hass der Volksgenossen gegen eigene Volksgenossen.“ (95) Für die Nazis war diese Rede eine ungeheure Provokation.

Die Planungen für eine Indienreise liefen seit Dietrichs Pfarrertätigkeit in London und parallel zu den Vorbereitungen der Friedensrede in Fanö. Er erwartete sich durch die Begegnung mit der östlichen Glaubenswelt, Mahatma Gandhi und Rabindranath Tagore, Impulse für seine Friedensethik, besonders hinsichtlich des gewaltfreien Widerstandes. Seine Indienreisepläne waren keine modische Eintagsfliege. Schon bei der Rückreise aus New York 1931 hatte er einen Indien-Aufenthalt erwogen. Die Zusage an die Bekennende Kirche, im Herbst 1934 im kommenden Jahr die Leitung des Predigerseminars in Finkenwalde bei Stettin zu übernehmen, beendeten seine Reisepläne. (98) Detlef Bald hat den zahlreichen Berührungspunkten im Denken Gandhis und Bonhoeffers angemessene Aufmerksamkeit geschenkt. (98 - 113)

Bonhoeffer wurde zum „Staatsfeind“ erklärt, die Lehrerlaubnis an der Universität entzogen (5. Aug. 1936). Aberkennung der Lehrbefugnis musste auch Romano Guardini hinnehmen. Dieser war einer der Ersten, der in München, im Nov. 1945 Bonhoeffer und alle Widerstandskämpfer würdigte. (124, 211). Am 28. Sept. 1937 wurde das Predigerseminar in Finkenwalde geschlossen. Ziel der Ausbildung im Predigerseminar war eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft von Pfarrern, die fähig sind, „in den gegenwärtigen und kommenden kirchlichen Kämpfen“ ihre Aufgaben zu erfüllen. (116) „Das Motto, das Bonhoeffer dabei vorschwebte, könnte umschrieben werden: Grundlegung innerhalb der Mauern der Gemeinschaft (intra muros) für eine Bewährung im Leben (extra muros).“ (115) Auf das Redeverbot im Reichsgebiet (Sept. 1940) folgte das Publikationsverbot (März 1941). 

Bonhoeffer wurde in den Strudel einer existentiellen Entscheidungskrise hineingerissen. Sein zweiter Aufenthalt in New York sollte zur Klärung beitragen. Einladungen zu Lehrveranstaltungen in New York und Chicago lagen vor. In New York angekommen bedrängten ihn wieder Unruhe und Zweifel. Deutschland bewegte ihn ebenso wie ‚die Brüder drüben und ihre Arbeit.’“ (133) Schließlich traf er die Entscheidung, in die „Heimat“ zurückzureisen (20. Juni). Statt einem Jahr blieb er nur zwei Monate in den USA (Juni/Juli 1939). Er kehrte in sein Land zurück, um dessen Schicksal zu teilen. (160)

Um der Einberufung zum Wehrdienst zu entgehen, suchte Bonhoeffer freiwillig um Dienst als Militärseelsorger an. Dienst mit der Waffe und ein Eid auf Hitler waren für ihn undenkbar. Der Bescheid war negativ. Im Frühsommer 1940 wurde er in den Kreis des Widerstandes unter Admiral Wilhelm Canaris, dem Leiter der Heeresabwehr und Generalmajor Hans Oster, dem Chef der Zentrale des Geheimdienstes, aufgenommen. (144) Hans von Dohnany, Bonhoeffers Schwager, Jurist und Leiter des Referates für Politik im Geheimdienst, wurde für Dietrich die entscheidende Bezugsperson im Widerstand. Die Abwehr nutzte seine Verbindungen in Kirche und internationaler Ökumene, „um vor allem Informationen nach Großbritannien zu geben oder zu berichten, was dort über alliierte Politik verdeckt zu erfahren sei.“ (145) Ziele des militärischen Widerstandes waren das Attentat auf den „Führer“, Sturz des NS-Regimes, Beseitigung der Diktatur und Verhandlungen für ein Kriegsende, danach Etablierung von Rechtsstaatlichkeit und Frieden, eine gerechte Sozialordnung in freiheitlicher Gesellschaft. (146)

Bonhoeffer wurde in die Erarbeitung von Konzepten einer Friedens- und Gesellschaftsordnung für die Zeit nach dem Krieg involviert. Als im Mai 1942 der Beistandsvertrag zwischen London und Moskau im Radio gemeldet wurde, reiste Bonhoeffer als Bote zu Lordbischof Bell, damit dieser vermittelnd in London für den Widerstand eintrete. Dieser wollte als zukünftiger Verhandlungspartner der Alliierten akzeptiert werden. Zur Vertrauensbildung nannte Bonhoeffer die Namen der Militärs, die bereit waren, den Putsch mitzutragen und erläuterte die Ziele des Widerstandes. Das von Bischof Bell an das „Foreign Office“ weitergeleitete Memorandum wurde zwar freundlich, aber negativ bewertet. Der Widerstand musste sich darauf neu erfinden. (170)

Dietrich Bonhoeffer war am Projekt „Unternehmen Sieben“ beteiligt, wie es bereits von der Außenstelle in Wien mit Erfolg praktiziert wurde. Der Abtransport jüdischer Bürger konnte dadurch verhindert werden. „Es brauchte mehr als ein Jahr, diese Gruppe im Spätherbst 1942 über Basel in die Freiheit zu bringen mit der Legende, Richtung Südamerika zu fahren, von dort aus in die USA zu gelangen, um militärisch relevante Informationen zu liefern.“ (175f) Die Widerstandsgruppe um Canaris rettete so 14 jüdische Mitbürger und bewies Mut und Solidarität mit den Juden.

Da ein Ende des Krieges nur durch die Beseitigung Hitlers erreichbar schien, fand sich Bonhoeffer – im Unterschied zu Helmut James Graf von Moltke, Mitglied des Kreisauer Kreises und ebenfalls Protestant – mit dem Tyrannenmord ab. (161, 180) Aber keines der geplanten Attentate (13. und 21. März 1942) gelang. Nachdem Hitler das Attentat vom 20. Februar 1944 überlebt hatte, übte er grausame Rache.

Eberhard Bethge überliefert in seiner Bonhoeffer-Biographie: In außergewöhnlich herzlicher Atmosphäre unter Freunden antwortete Dietrich Bonhoeffer auf die Frage, welche Bedeutung die gegenwärtige Lage im Krieg für ihn ganz persönlich habe, wofür er bete. „Wenn Sie es wissen wollen, ich bete für die Niederlage meines Landes, denn ich glaube, dass das die einzige Möglichkeit ist, um für das ganze Leiden zu bezahlen, das mein Land in der Welt verursacht hat.“ (159) „Bonhoeffer nahm die historische, übergroße Schuld mitleidend und kollektiv auf sich.“ (160)

Der Aufenthalt in New York öffnete Dietrich Bonhoeffer die Augen: Er sah die Auswirkungen der Rassendiskriminierung, der unbewältigten „Sozialen Frage“, der Bewertung des Krieges und die Legitimierung all dessen durch die Kirche. Er war sensibilisiert für die Weichenstellungen der Reichskirche und des NS-Regimes, entlarvte dessen „Maskerade des Bösen“ und gestaltete sein überzeugtes, widerständiges Handeln. Das führte ihn in letzter Konsequenz in den Kreis des Widerstandes um Canaris und Oster.

„Ihr, die das Leben gabt für des Volkes Freiheit und Ehre, 
nicht erhob sich das Volk, euch Freiheit und Leben zu retten.“ (Ricarda Huch) (211)

Immerhin hat der Verfasser Dietrich Bonhoeffer ein literarisches Denkmal gesetzt. Detlef Bald ist es gelungen, sein Thema kompetent, ausführlich und sehr ansprechend darzustellen sowie die Einzigartigkeit Bonhoeffers im Denken und Handeln sichtbar zu machen.

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