Frauen im Widerstand - Ella Lingens

Dr. Ella Lingens-Reiner wurde 1908 in Wien geboren. Sie war eine österreichische Juristin und Ärztin. Obwohl im Ausland hoch verehrt und gewürdigt, blieb Ella Lingens in Österreich weitgehend unbekannt. Nach dem Krieg arbeitete sie in mehreren Kliniken und im öffentlichen Gesundheitswesen Österreichs, zuletzt bis 1973 als Ministerialrätin im Bundesgesundheitsministerium.

Nach Kriegsende wurde die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs öffentlich totgeschwiegen. Ella Lingens ließ sich jedoch nicht davon abhalten, an die Verbrechen der Vergangenheit zu erinnern. Sie ging als Zeitzeugin an Schulen und zu Lehrerseminaren, um die nachfolgende Generation über die dunkle Vergangenheit von Faschismus, Krieg und Terrorherrschaft zu informieren.
Anfang März 1964 sagte sie als Zeugin während des ersten Frankfurter Auschwitzprozesses aus.
1980 wurde sie von Yad Vashem, der„Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“, als Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet.

Ella Lingens studierte in München, Marburg und Wien Medizin und Jura. Sie war verheiratet mit dem aus Deutschland stammenden Arzt Dr. Kurt Lingens, der schon 1933 wegen seiner Zugehörigkeit zu einer antifaschistischen Studentengruppe von allen deutschen Hochschulen ausgeschlossen worden war, worauf er nach Österreich emigrierte.
Nach dem „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich im März 1938 überlegte das Paar, ob es Österreich verlassen soll oder ob es möglich sei zu bleiben, ohne mitschuldig zu werden. Sie beschlossen zu bleiben und anderen zu helfen.
In den Monaten nach dem 12. März 1938 verhalfen sie jüdischen Kommilitonen Ella Lingens zur Emigration. Während der Novemberpogrome gewährten sie zehn jüdischen Familien in ihrem Haus am Rande Wiens Zuflucht. Weiteren half das Paar, mit gefälschten Papieren nach Ungarn zu fliehen. Im Sommer 1942 begannen die umfangreichen Deportationen der noch in Wien verbliebenen Juden. Ella und Kurt Lingens wurden von der polnischen Untergrundbewegung, mit der sie in Kontakt standen, gebeten, zwei jüdischen Ehepaaren bei der Flucht zu helfen. Sie nahmen ein Paar bei sich auf und fanden ein Versteck für das zweite. Mit Hilfe eines Mittelsmannes, einem ehemaligen Schauspieler namens Klinger, sollten die beiden Paare in die Schweiz gebracht werden. Klinger, ein Spitzel der GeStaPo, verriet die Fliehenden und ihre Helfer an die Behörden. Ella und Kurt Lingens wurden am 13. Oktober 1942 verhaftet und im Wiener Hauptquartier der Gestapo, dem ehemaligen Hotel Metropol inhaftiert. Kurt Lingens kam nach kurzer Haft in eine Strafkompanie in Russland. Nach Kriegsende ließ er sich von seiner aus dem KZ Dachau zurückgekehrten Frau scheiden. Posthum wurde er 1980 ebenfalls als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt.

Ella Lingens wurde vier Monate im Gestapo-Gefängnis in Wien eingesperrt und wiederholt verhört. Im Februar 1943 wurde sie in das KZ Auschwitz deportiert und dort als Häftlingsärztin eingesetzt. Sie nutzte ihre privilegierte Stellung, um sich für ihre Mithäftlinge einzusetzen und versuchte, sie vor der Vernichtung zu bewahren. Im April 1943 erkrankte sie selbst an Flecktyphus und überlebte nur knapp.
Anfang Dezember 1944 wurde sie in das KZ Dachau überführt. Bis zur Befreiung des Konzentrationslagers durch die US-Armee Ende April 1945 arbeitete sie dort als Ärztin unter anderem im Münchner Außenlager Agfa-Kamerawerke.
Nach ihrer Befreiung schrieb sie, sie habe sich in Auschwitz in Gedanken an ihr Kind, den damals dreijährigen Peter Michael Lingens, der später bekannte österreichische Journalist und persönliche Sekretär des „Nazijägers“ Simon Wiesenthal, durch den Nationalsozialismus nicht ihre Ehre und Selbstachtung rauben lassen.

Nach Kriegsende musste sich Ella Lingens in ihrem neuen Leben zurechtfinden.
Wie viele andere KZ-Überlebende plagten auch sie Schuldgefühle:

„Lebe ich, weil die anderen an meiner Stelle gestorben sind?“.

In dem 1948 erschienenen Buch „Prisoners of Fear“ verarbeitete sie ihre Erlebnisse. Ihre Aufzeichnungen waren umstritten. Niederländische Überlebende des Außenlagers Agfa-Kamerawerke protestierten gegen ihre Darstellung und warfen ihr vor, sie habe sie als naiv dargestellt und Fakten falsch ausgelegt. Kurz nach ihrem Tod brachte ihr Sohn 2003 die deutsche Übersetzung unter dem Titel „Gefangene der Angst – Ein Leben im Zeichen des Widerstandes“ heraus.

Am 30. Dezember 2002 starb Ella Lingens-Reiner in Wien.

Ihr Sohn berichtete später: „Ein paar Tage vor ihrem Tod verließ meine Mutter noch einmal ihr Bett. Sie stützte sich an den Wänden des Zimmers und des langen Ganges ab und stand plötzlich, offenkundig etwas verwirrt, in der Wohnzimmertür. Während jedes Gespräch verstummte, wiederholte sie mit angstvoll geweiteten Augen einen einzigen Satz: Ihr werdet mich nicht verbrennen? Ihr werdet mich nicht verbrennen, gell?“ …

Quellen: Wikipedia, ella-lingens.zurerinnerung.at