9. November - vor 30 Jahren - Mauerfall
Von G. John, Vereinsmitglied
„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ (Psalm 18, 30)
Ein Vorwort von Ingrid Putz, Mitglied unseres Vereins. Ingrid schrieb diese bewegende Schilderung in unserer Whats-App-Gruppe HAPAX Info. Herzlichen Dank für dein Einverständnis zur Veröffentlichung.
„Ich erlebte die Tragödie der Trennung vom ersten Augenblick hautnah mit.
Am 13. August 1961 teilte eine Berlinerin (später West-) mein Krankenzimmer.
Ihre Schwester arbeitete im späteren Ostberlin beim Post- und Telegrafenamt. Sie telefonierten, dramatische Minuten vergingen bis die Leitung still gelegt wurde.
Ich fühlte und fühle heute noch den Schmerz.“
Der Mauerfall
Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen und so richtig fassen kann ich selbst heute - 30 Jahre später - nicht, was da geschah.
Ich arbeitete in einer Freizeitsportanlage in Hamburg und bekam kurz nach 22 Uhr einen Anruf meiner Mutter, die völlig fassunglos sagte: Die Mauer ist gefallen!
Ich machte mir Sorgen. Welche Mauer? Ist zu Hause etwas passiert? Ein Unglück?
Im Leben hätte ich nicht gedacht, dass meine Mutter die Berliner Mauer meinte. Es dauerte lange, bis ich realisierte, was sie mir da aufgeregt am Telefon mitteilte.
Nachdem ich aufgelegt hatte, griff ich mir das Mikrofon der Sportanlage und machte die Durchsage, dass soeben in den Nachrichten bekanntgegeben wurde, dass in Berlin die Mauer gefallen ist. Zuerst herrschte ungläubige Stille, dann wurde mein Standort am Counter gestürmt. Viel konnte ich nicht erzählen, nur das, was meine Mutter kurz erzählt hatte. Binnen einer halben Stunde leerte sich unsere Sportstätte. Alle wollten nach Hause. Kurze Zeit später gab mein Chef (ein gebürtiger Berliner) das Signal: „Schluss für heute, wir machen zu.“ Wir hätten sonst bis Mitternacht geöffnet gehabt.
Ich fuhr direkt zu meiner Mutter (Jahrgang 1925, Lehre zur Kinderkrankenschwester im Krieg, gebürtig aus Leipzig, mehrfach vertrieben und geflüchtet). Dort angekommen empfing sie mich schon bei laufendem Fernseher, heulte und umarmte mich.
– Jetzt einen Sekt, sagte sie und verschwand in der Küche, während ich die Live-Übertragung aus Berlin schaute.
Bis tief in die Nacht, bzw. bis zum frühen nächsten Morgen saßen wir vor dem Fernseher, prosteten uns zu und heulten.
Wir versuchten telefonisch zu unseren Verwandten in Berlin-West und in Leipzig durchzukommen – dies gelang uns erst zwei Tage später. Die Leitungen waren vollständig überlastet.
Das war mein 9. November 1989.
In der Folge kam es zum Ende des Kalten Krieges, zur Wiedervereinigung Deutschlands, zum Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes. Die einzige unblutige, friedliche Revolution in der bekannten Geschichte der Menschheit!
Warum wurde nicht dieser Tag, sondern der 3. Oktober ab 1991 in Deutschland als Tag der Wiedervereinigung genommen?
Zunächst: Der 3. Oktober ist ein durch die Politik willkürlich gewählter Termin für die Deutsch-deutsche Reunion, ohne historischen Hintergrund.
Das liegt an einem Ereignis in Deutschland am 9. November 51 Jahre vorher - 1938 - die Reichspogromnacht. Über 1.400 Synagogen und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Über 400 Juden wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ermordet. Es war der Beginn der "Shoa", der exzessiven Judenverfolgung und –vernichtung.
"Sie verbrennen dein Heiligtum. Sie verbrennen alle Gotteshäuser im Lande.“ So heißt es im 74. Psalm. Dietrich Bonhoeffer, der Glaubenszeuge aus Berlin, schrieb an dieser Stelle in seiner Bibel an den Rand: 9. November 1938. So kommentierte er das schmähliche, von niemandem zu übersehende Geschehen, dessen qualvolle Bedeutung in keinem der Namen zureichend zum Ausdruck kommt, die ihm seitdem gegeben wurden: Pogromnacht, Reichskristallnacht, Reichsscherbennacht, Rathaktion, Mordwoche, Synagogensturm. (Quelle: Wolfgang Huber, Ansprache zum Gedenkweg der Kirchen zum 70. Jahrestag der Pogromnacht, Berlin)
Was passierte sonst so Historisches an einem 9. November?
235: St. Pontianus, der erste amtierende Bischof von Rom, für den es ein geschichtlich belegtes Datum gibt, wird nach seiner Absetzung durch den römischen Kaiser Maximinus Thrax und Verurteilung zur Zwangsarbeit in einem Steinbruch auf Sardinien erschlagen.
1799: Napoleon Bonaparte führt mit Unterstützung seines Bruders einen Staatsstreich durch und beendet damit offiziell die Französische Revolution.
1918: Novemberrevolution in Deutschland: Reichskanzler Prinz Max von Baden verkündet eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert wird von ihm zum Reichspräsidenten ernannt. Philipp Scheidemann ruft die „deutsche Republik“ aus.
1923: Der Hitler-Ludendorff-Putsch wird vor der Feldherrnhalle in München niedergeschlagen. Hitler lässt diesen Tag später als Gedenktag begehen.
1955: Das deutsche Bundesverfassungsgericht urteilt, dass in Deutschland lebende Österreicher, die mit dem Anschluss 1938 die deutsche Staatsbürgerschaft bekamen, diese mit der Souveränität Österreichs wieder verloren haben.
1965: Ein großflächiger Stromausfall legt das Leben im Nordosten der Vereinigten Staaten und auch in Teilen Kanadas über Stunden hinweg lahm. Der Blackout betraf etwa 30 Millionen Menschen und führte zum größten Babyboom in der Geschichte der USA.