Predigt zum Karfreitag 2025 mit Bonhoeffer-Bezug, Pfarrer Stefan Fleischner Janits, Wien
Stefan Fleischner Janits ist Pfarrer der Messiaskapelle in Wien.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
Wir sind heute hier versammelt an einem der schwersten Tage des Kirchenjahres.
Karfreitag.
Der Tag an dem wir Jesu Tod gedenken.
Der Tag, an dem wir nicht wegschauen wollen.
Ein Tag, der nicht sofort tröstet.
Der uns nicht rasch hinüberträgt in den Glanz von Ostern.
Und genau das ist wichtig.
Mit dem Bodenbild hier vor dem Altar wollen wir verdeutlichen, dass am Karfreitag ein Weg plötzlich und überraschend ein Ende findet, wenngleich auch Jesus selbst immer wieder angekündigt hat, welches Schicksal ihn erwartet.
Hören wir die Geschichte von Jesu Tod, wie sie im Johannes-Evangelium aufgeschrieben ist:
Jesus wurde abgeführt. Er trug sein Kreuz selbst aus der Stadt hinaus zu dem Ort, der »Schädelplatz« heißt, auf Hebräisch Golgota. Dort wurde Jesus gekreuzigt und mit ihm noch zwei andere – einer auf jeder Seite und Jesus in der Mitte. Pilatus ließ ein Schild oben am Kreuz anbringen, auf dem geschrieben stand: »Jesus der Nazoräer, der König der Juden.« Viele Juden lasen das Schild. Denn der Ort, wo Jesus gekreuzigt wurde, lag nahe bei der Stadt. Die Inschrift war in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache abgefasst. Die führenden Priester des jüdischen Volkes sagten zu Pilatus: »Schreibe nicht: ›Der König der Juden‹, sondern: ›Dieser Mann hat behauptet: Ich bin der König der Juden.‹« Pilatus erwiderte: »Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.« Nachdem die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, teilten sie seine Kleider unter sich auf. Sie waren zu viert, und jeder erhielt einen Teil. Dazu kam noch das Untergewand. Das war in einem Stück gewebt und hatte keine Naht. Die Soldaten sagten zueinander: »Das zerschneiden wir nicht! Wir lassen das Los entscheiden, wem es gehören soll.« So ging in Erfüllung, was in der Heiligen Schrift steht: »Sie verteilen meine Kleider unter sich und werfen das Los über mein Gewand.« Genau das taten die Soldaten. Nahe bei dem Kreuz von Jesus standen seine Mutter und ihre Schwester. Außerdem waren Maria, die Frau von Klopas, und Maria aus Magdala dabei. Jesus sah seine Mutter und neben ihr den Jünger, den er besonders liebte. Da sagte Jesus zu seiner Mutter: »Frau, sieh: Er ist jetzt dein Sohn.« Dann sagte er zu dem Jünger: »Sieh: Sie ist jetzt deine Mutter.« Von dieser Stunde an nahm der Jünger sie bei sich auf.
Nachdem das geschehen war, wusste Jesus, dass jetzt alles vollbracht war. Damit vollendet würde, was in der Heiligen Schrift steht, sagte er: »Ich bin durstig!« In der Nähe stand ein Gefäß voll Essig. Die Soldaten tauchten einen Schwamm hinein. Dann legten sie ihn um einen Ysopbund und hielten ihn Jesus an den Mund. Nachdem Jesus den Essig genommen hatte, sagte er: »Es ist alles vollbracht.« Er ließ den Kopf sinken und starb.
Am 9. April 1945, wenige Tage vor Kriegsende, wurde der evangelische Pfarrer, Theologe, Märtyrer und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer von den Nazis ermordet. Genau 80 Jahre nach seinem Tod erinnern wir uns in besonderer Weise an ihn.
Und so möchte ich an diesem Karfreitag auch einen Gedanken Bonhoeffers zum Karfreitag in diese Predigt einfließen lassen.
Dietrich Bonhoeffer trifft in dem nun folgenden Zitat einen Ton, der auch uns heute zum Nachdenken anregen kann:
Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist« (Lukas 23, 46), betet Jesus laut.
»Es ist vollbracht«, damit neigt er sein Haupt und stirbt (Johannes 19, 30).
Es war alles so gekommen, wie es kommen mußte.
In Erniedrigung, Schmach und Schande war die Liebe Gottes auf der Erde erschienen, am Kreuze schlug Gottes Zorn seinen eigenen Sohn für die Schlechtigkeit der Welt, oder die Schlechtigkeit der Welt hatte den Sohn ans Kreuz geschlagen. Wir wollen am Karfreitag nicht gleich daran denken, daß mit Ostern den Dingen eine neue Wendung gegeben wurde. Wir wollen daran denken, wie die Jünger mit dem Tode Jesu alle Hoffnung zerschlagen sahen. Zerstreut voneinander, in hoffnungsloser Traurigkeit grübelten sie dem nach, was geschehen war. Nur wenn wir den Tod Jesu genauso ernst nehmen können wie sie, verstehen wir recht, was die Auferstehungsbotschaft zu bringen vermag. (Jugend und Studium 1918-1927, DBW Band 9, Seite 577)
Bonhoeffer lässt die Spannung stehen. Er legt den Finger nicht auf eine theologische Erklärung, sondern lässt den Schrecken der Szene wirken. Das Kreuz ist kein symbolisches Ornament. Es ist kein nettes religiöses Bild. Es ist brutal, real – und voller Widerspruch.
Denn was sehen wir heute?
Wir sehen keinen Sieg. Kein Happy End. Wir sehen eine gescheiterte Bewegung. Einen Mann, der am Kreuz stirbt wie ein Verbrecher. Einen Weg, der zu Ende geht, bevor er richtig begonnen hat. Wir sehen die Jünger, zerstreut, verängstigt, ohne Perspektive.
Und vielleicht – vielleicht ist das gerade der Punkt, an dem dieser Tag uns näher ist, als wir zunächst denken.
Denn wer von uns kennt nicht das Gefühl der Zerschlagenheit? Wer kennt nicht das Gefühl, dass etwas »vollbracht« ist – aber nicht im Sinne von gelungen, sondern im Sinne von: Vorbei. Kaputt. Aus. Ein Traum, der geplatzt ist. Eine Beziehung, die zerbrochen ist. Ein Ideal, das sich als Illusion entpuppt hat. Eine Hoffnung, die im Schmerz untergeht.
Karfreitag nimmt all das ernst.
Er erlaubt uns, den Schmerz zu fühlen. Er übergeht ihn nicht mit frommen Phrasen. Er sagt nicht: „Wird schon wieder.“ Sondern: »Es ist vollbracht.« Und dann: Stille. Dunkelheit.
Aber – und das ist der leise Hoffnungsschimmer, der in diesem Tag doch aufscheint – inmitten dieser Dunkelheit spricht Jesus einen letzten Satz, bei Lukas ist er aufgeschrieben:
»Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.«
Das ist kein Schrei der Verzweiflung. Das ist kein Aufgeben. Das ist ein Sich-Anvertrauen. Jesus hält am Vertrauen fest, als alles verloren scheint. Nicht, weil er weiß, dass gleich der Vorhang im Tempel zerreißt und Ostern naht – sondern weil Vertrauen auch in der Tiefe des Leidens möglich ist.
Und da geschieht etwas Unglaubliches.
Mitten im Tod ist Beziehung da. Mitten im Schmerz ist eine Stimme, die sagt: „Ich falle – aber ich falle in deine Hände, Gott.“
Das ist keine billige Hoffnung. Das ist kein schneller Trost. Das ist eine Hoffnung, die durch das Leiden hindurchgeht.
Und genau da, liebe Gemeinde, wird dieser Karfreitag für uns wichtig.
Denn auch wir leben in einer Welt voller Kreuzigungen. Krieg, Zerstörung, soziale Kälte, Einsamkeit, Scheitern, Tod. Wir erleben das alles.
Und manchmal fühlen wir uns wie die Jünger: Verstreut, traurig, ohne Plan.
Aber Jesus zeigt uns:
Es gibt eine Art zu leben – und zu sterben – die auf Beziehung baut.
Nicht auf Kontrolle.
Nicht auf Stärke.
Sondern auf das Vertrauen, dass wir gehalten sind – auch wenn alles in uns schreit: Es ist vorbei.
Und genau das ist vielleicht die tiefste Botschaft von Karfreitag: Gott ist da, nicht erst in der Auferstehung, sondern gerade im Tod.
Nicht erst im Licht, sondern schon in der Dunkelheit.
Nicht erst, wenn alles wieder gut ist – sondern auch wenn alles verloren scheint.
Das ist keine billige Gnade.
Das ist eine teure Hoffnung.
Aber es ist Hoffnung.
Eine Hoffnung, die nicht lügt.
Eine Hoffnung, die durch das Kreuz geht – und trotzdem sagt: „Ich bin nicht allein.“ Und so möchte ich doch ein wenig hoffnungsvoll schließen mit einem längeren Zitat von Cornelia Richter, österreichische Theologieprofessorin in Bonn und eventuell unsere neue Bischöfin, so sie im Mai gewählt wird:
„Der Karfreitag ist für uns nicht deshalb so wichtig, weil wir als Evangelische Christinnen und Christen so gerne auf den Gekreuzigten schauen.
Weil wir nichts anderes zu sagen und zu glauben hätten als das Kreuz Jesu. Nein, der Karfreitag ist für uns alle so wichtig, weil wir durch den Gekreuzigten hindurch auf das leere Kreuz schauen.
Weil wir auf ein Kreuz schauen, an dem das Leid überwunden wird. Auf das Kreuz, das aus den Trümmern ragt und das zerstörte Leben überstrahlt. Auf das Kreuz, das das zerstörte Leben in sein Licht taucht. Auf das Kreuz, das das zerstörte Leben auf dieses Licht hin tröstet und neu werden lässt. Der Karfreitag ist so wichtig, weil er die innerste Wahrheit des christlichen Glaubens symbolisiert: Dass Gott mit uns ist im Leben wie im Tod. Weil wir durch den Tod hindurch neues Leben sehen werden.“
Amen.