Andacht 2024-11-17 Unser Wohl
Begrüßung: Ich grüße Euch und Sie sehr herzlich zu dieser Hausandacht für Sonntag, den 17. November 2024 (in Deutschland heißt dieser Tag „Volkstrauertag“, ein staatlicher Gedenktag an die Opfer von Gewalt und Krieg aller Nationen). Wir lesen diese im Namen des Gottes, der unser Wohl möchte und daher im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Psalm 67 nach der Lutherbibel 2017: Gott sei uns gnädig und segne uns, er lasse uns sein Antlitz leuchten, dass man auf Erden erkenne deinen Weg, unter allen Heiden dein Heil. Es danken dir, Gott, die Völker, es danken dir alle Völker. Die Völker freuen sich und jauchzen, dass du die Menschen recht richtest und regierst die Völker auf Erden. Es danken dir, Gott, die Völker, es danken dir alle Völker. Das Land gibt sein Gewächs; es segne uns Gott, unser Gott! Es segne uns Gott, und alle Welt fürchte ihn! Amen.
Lesung: Römer, Kapitel 13, die Verse 1 - 7 nach der Lutherbibel 2017: Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen. Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten. Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut. Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt. Amen.
Gedanken zur Lesung: Der Apostel Paulus schreibt im Jahre 56 nach Christus einen Brief an die christliche Gemeinde in Rom, der im Neuen Testament überliefert ist. Dieser Brief hat eine Sonderstellung unter seinen Briefen, weil dieser an eine christliche Gemeinde gerichtet ist, die er nicht kennt und auch nicht selbst gegründet hat, wie zum Beispiel die Gemeinde in der griechischen Stadt Korinth. Paulus steht an einem entscheidenden Wendepunkt seines Lebens. Seine Tätigkeiten und seine Mission im Osten des Römischen Reiches – das sind die Gebiete der heutigen Türkei und Griechenlands – sind beendet. Dort hat er vielen Menschen von Jesus erzählt und einige christliche Gemeinden gegründet. Jetzt will er nach Spanien reisen, um dort den christlichen Glauben zu verbreiten. Unterwegs will er in Rom einen Zwischenstopp machen, um die Christen in Rom kennenzulernen. Vorher schreibt er einen Brief an sie, um sich ihnen vorzustellen und um ihnen wichtige Bausteine des christlichen Glaubens zu erläutern und zu erklären. Dieser Brief ist sozusagen sein theologisches Testament, ja eine Zusammenfassung seines theologischen Denkens. In diesem Brief stehen seine Worte über das Verhältnis von Christen zur Obrigkeit, das heißt zum Staat mit seiner Regierung und seinen staatlichen Behörden. Über diese Worte wurde und wird viel geschrieben, nachgedacht und diskutiert. Es geht um die Fragen: Sollen die christlichen Kirchen sich ausschließlich um das Seelenheil der Gläubigen kümmern und sich aus staatlichen Angelegenheiten heraushalten? Oder sollen diese Worte und Taten des Staates kritisch begleiten und analysieren und sogar mit Widerstand und Zivilcourage reagieren, wenn Werte des christlichen Glaubens durch den Staat missachtet werden? Der umstrittene deutsche AFD-Politiker Björn Höcke beschreibt in seinem 2018 erschienen Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ seine politischen Ansichten und Ziele. Ich habe dieses Buch vor kurzem auszugsweise gelesen, weil er einige Male Dietrich Bonhoeffer erwähnt. Hinsichtlich Religion und Kirche schreibt er – das ist aber nicht meine Meinung!: „Wir brauchen … eine neue Volkskirche, die wie das alte Gotteshaus im Dorf in der Mitte der Gemeinschaft steht … Ihre zentrale Aufgabe wäre es, sich um das Seelenheil der Menschen zu kümmern, statt sich, wie heute penetrant in die Politik einzumischen“ (Seite 168). Besser kann es für einen Staatsmann, Präsidenten oder Minister nicht sein, wenn er sich aufgrund biblischer Aussagen auf Gott berufen kann, um die eigene Autorität zu bestätigen, zu festigen und auszubauen. Gerade in der evangelisch-lutherischen Tradition haben diese Worte des Apostels Paulus dazu beigetragen, dass es zu einer selbstverständlichen und kritiklosen Unterwürfigkeit und Gehorsamspflicht von Kirchenmitgliedern und Kirchenvertretern gegenüber staatlichen Autoritäten kam. Das hat auch mit Luthers Zwei-Reiche-Lehre zu tun: Gott regiert im Reich der Kirche mit seinem Wort und den Sakramenten und regiert auch im Reich des Staates mit Gesetzen und Verordnungen. Letztendlich führte auch diese Lehre soweit, dass viele evangelische Geistliche der Nazizeit mit dem Hitlergruß auf der Kanzel standen und bedingungslose Loyalität mit dem NS-Regime predigten. Eine kirchliche Reaktion kam prompt. Am 31. Mai 1934, also vor 80 Jahren, wurde im Ortsteil Barmen der deutschen Stadt Wuppertal die Barmer Theologische Erklärung verfasst. Diese ist die zentrale theologische Äußerung der sogenannten Bekennenden Kirche unter der nationalsozialistischen Herrschaft. Sie richtete sich gegen die falsche Theologie der sogenannten Deutschen Christen. In These 5 heißt es: „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.“ Die Erfahrungen des Apostels Paulus mit staatlichen Behörden waren unterschiedlich. Bald nach seiner Bekehrung entzieht sich Paulus dem Zugriff des Statthalters in Damaskus durch Flucht über die Stadtmauer. In der griechischen Stadt Philippi wird er zu Unrecht ausgepeitscht und in das Gefängnis geworfen. Weil er mit seinen Predigten über Jesus Christus angeblich jüdische Gesetze verletzt hat, kommt seine Anklage vor dem römischen Kaiser. Er ist römischer Bürger und hat daher das Recht auf einen fairen Prozess. Das Leben des Paulus endet wahrscheinlich durch Hinrichtung unter dem römischen Kaiser Nero während der Verfolgungswelle aufgrund des Brandes in Rom im Jahr 64 nach Christus. Über seinem Grab entstand die Pauluskirche, die neben dem Petersdom die wohl bekannteste Kirche in Rom sein dürfte. Das Hauptthema in unserem Bibeltext des Apostels Paulus ist nicht der Staat an sich, sondern das richtige Verhalten gegenüber den Amtsträgern des Staates. Adressaten sind die Christen. Es geht um ihre Pflichten, die sie mit Anstand und Verantwortung gegenüber staatlicher Obrigkeit einzuhalten haben. Diese hat die Aufgabe, das Gute zu fördern und das Böse zu verhindern. Aus der von Gott verordneten Aufgabe, eine friedliche Ordnungsmacht zu sein, folgt auf Seiten der Christen die Unterordnung und die Entrichtung von Steuern. Das Römerreich ging im 5. Jahrhundert unter, der christliche Glaube wurde ab dem vierten Jahrhundert Schritt für Schritt eine Weltreligion. Das Christsein in einer parlamentarischen Demokratie und in einem modernen Rechtsstaat sieht völlig anders aus als das der Christen in den ersten drei Jahrhunderten im römischen Reich. Wenn Christen den Staat kritisieren, dann wollen sie ihn nicht abschaffen, sondern ihn an seine gottgewollte Aufgabe erinnern, das Gute zu fördern, Frieden und Freiheit zu sichern und das Böse zu bekämpfen. Daher ist der Staat niemals göttlich, aber gottgewollt. Der Mensch ist ein Lebewesen, das auf Gemeinschaft und Zusammenhalt angewiesen ist und darum Ordnungen braucht, die diese Gemeinschaft und das Zusammenleben regeln. Und wir haben das große Glück – dafür sollten wir Gott danken -, dass wir in Österreich und in der Europäischen Union einer demokratischen Ordnung angehören, einer Ordnung der Freiheit. Diese Ordnung der Freiheit fordert aber unser kritisches Mitdenken und Mitgestalten. „Die da oben“, die uns regieren, sollen keine absolutistischen Herrscher sein, sondern unsere aufrichtigen Volksvertreter, die das Beste für Stadt und Land tun sollen. Wir als Volk einer Demokratie haben wach und aufmerksam zu schauen, ob die politisch Verantwortlichen ihre Verantwortung, das Gute zu schützen und dem Bösen zu wehren, auch wahrnehmen. Was gut und böse ist, muss natürlich immer wieder für die gegenwärtige Lage und Zeit ausgelegt werden. Für diese wichtige Aufgabe sollten wir den Regierenden den nötigen Rückhalt und die richtige Unterstützung geben. Eine zeitgemäße Übersetzung des Satzes aus unserem Bibeltext „Jedermann sei der Obrigkeit untertan“ wäre: „Jedermann sei der Demokratie verpflichtet und verhalte sich dementsprechend!“ Konkret heißt das, dass wir unsere demokratischen Rechte kennen und wahrnehmen sollten: Wählen gehen oder sich engagieren, zum Beispiel bei Hilfsorganisationen, in der Kirche, in demokratischen Parteien, in Vereinen, in der Gewerkschaft und woanders. Das ist auf jeden Fall besser, als immer nur auf „die da oben“ zu schimpfen und selbst keine Verantwortung übernehmen zu wollen. Für mich gibt es so etwas wie ein politisches Wächteramt der Kirche, das gegebenenfalls zu Zivilcourage und Widerstand aufrufen muss, wenn christliche Werte vom Staat missachtet werden. Im dritten Reich waren es der evangelische Theologe und Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und die Familie Dohnanyi, die mutig und entschlossen zum Widerstand bereit waren oder auch die vor kurzem verstorbenen evangelischen Pfarrer und Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer und Lothar König in der ehemaligen DDR. Christen müssen kritisch danach fragen, ob in einem demokratischen Staat das Grundgesetz, die Rechtstaatlichkeit und die Menschenrechte eingehalten werden. Christen sollten auch dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, also Steuern zahlen. Mir fällt es manchmal schwer, zu akzeptieren, warum ich Lohnsteuer für meine Erwerbsarbeit zahlen soll und muss, aber letztendlich siegt bei mir das Prinzip Solidarität, das den Sozialstaat ausmacht und stärker sein muss als Egoismus. Durch Steuern werden zum Beispiel Straßen und Tunnel saniert, gemeinnützige Einrichtungen gefördert, Krankenhäuser und Schulen erhalten. Auch die Kirchen erhalten Steuergelder für Sanierungen von Gebäuden. Allerdings braucht auch das Militär viel Geld, nicht um Krieg zu führen, sondern den demokratischen Staat vor totalitären Mächten zu schützen. Am Ende unseres Bibeltextes über die Obrigkeit steht: „Ehre, dem die Ehre gebührt.“ Gott möge uns Kraft, Geduld und Weisheit geben, in konkreten kirchlichen und gesellschaftlichen, in konkreten wirtschaftlichen und politischen Situationen klug und weitsichtig zu entscheiden, wem wir die Ehre geben sollen und müssen oder wem wir die Ehre nicht geben sollen oder müssen. Amen.
Lied: „Sonne der Gerechtigkeit“, Evangelisches Gesangbuch 262, die Strophen 1 + 2 und 5 – 7
Strophe 1: Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unsrer Zeit; brich in deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann. Erbarm dich, Herr.
Strophe 2: Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit, dass sie deine Stimme hört, sich zu deinem Wort bekehrt. Erbarm dich, Herr.
Strophe 5: Gib den Boten Kraft und Mut, Glauben, Hoffnung Liebesglut, und lass reiche Frucht aufgehn, wo sie unter Tränen sä’n. Erbarm dich, Herr.
Strophe 6: Lass uns Deine Herrlichkeit sehen auch in dieser Zeit und mit unsrer kleinen Kraft suchen, was den Frieden schafft. Erbarm Dich, Herr.
Strophe 7: Lass uns eins sein, Jesu Christ, wie Du mit dem Vater bist, in Dir bleiben allezeit, heute wie in Ewigkeit. Erbarm Dich, Herr.
Fürbitten: Guter Gott! Wir bitten Dich: Gib uns Kraft und Weisheit, dass wir mit unseren Worten und Taten christliche Werte glaubwürdig vorleben, unserer evangelischen Kirche die Treue halten und unsere demokratische Werteordnung schützen. Wir bitten Dich für eine gute Zukunft der Kinder und Jugendlichen. Lass sie in Frieden aufwachsen und Wertschätzung von anderen Menschen erfahren. Wir bitten Dich für alle Menschen, die krank sind, die im Sterben liegen und die Angst um ihre Existenz haben. Wir bitten Dich für die Politiker in Österreich, dass sie nach dem Frieden trachten und bald eine aufrichtige Regierung bilden können. Wir bitten Dich für die Christen in aller Welt, die wegen ihres Glaubens verfolgt und benachteiligt werden. Wir bitten Dich für unseren Superintendenten Manfred Sauer und unseren Bischof Michael Chalupka, dass sie mit Weisheit und Weitsicht unsere evangelische Kirche leiten und sich für ein gutes ökumenischen Miteinander der christlichen Kirchen einsetzen. Amen.
Vater Unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Segen: Ich wünsche Euch und Ihnen einen gesegneten Sonntag an der Hand des Gottes, der unser Wohl möchte. Es segne und behüte Sie und Euch der dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
Herzliche Grüße, Euer / Ihr Obmann Uwe