Gedanken zum Tauftag seines Patensohnes Dietrich Wilhelm Rüdiger Bethge

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„Mit Dir beginnt eine neue Generation … So gibt uns Deine Geburt besonderen Anlaß, über den Wechsel der Zeiten nachzudenken und den Versuch zu unternehmen, die Umrisse des Zukünftigen zu erkennen. Die drei Namen, die Du trägst [Großonkel Dietrich Bonhoeffer, Großvater väterlicherseits Wilhelm Bethge, Großvater mütterlicherseits Rüdiger Schleicher], weisen auf die drei Häuser, mit denen Dein Leben unlösbar verbunden ist und bleiben soll. Das Haus Deines Großvaters väterlicherseits war ein Dorfpfarrhaus. Einfachheit und Gesundheit, gesammeltes und vielseitiges geistiges Leben … werden Dir in allen Lebenslagen ein festes Fundament ... sein. Die im Elternaus Deiner Mutter verkörperte städtische Kultur alter bürgerlicher Tradition, die in ihren Trägern das stolze Bewußtsein der Berufung zu hoher allgemeiner Verantwortung … wird Dir … eine Art zu denken und zu handeln geben, die Du nie mehr verlieren kannst … Du sollst … mit dem Namen eines Großonkels gerufen werden, der Pfarrer und ein guter Freund Deines Vaters ist und der zur Zeit das Geschick vieler anderer guter Deutscher und evangelischer Christen teilt und darum nur aus der Ferne die Hochzeit Deiner Eltern, Deine Geburt und Taufe miterleben kann, der aber mit großer Zuversicht und frohen Hoffnungen in Deine Zukunft blickt … Bis Du groß bist, wird das alte Dorfpfarrhaus ebenso wie das alte Bürgerhaus eine versunkene Welt sein … Es wird in den kommenden Jahren der Umwälzungen das größte Geschenk sein, sich in einem guten Elternhaus geborgen zu wissen … Es wird die Kinder in die Obhut ihrer Eltern ziehen, in ihrem Elternhaus werden sie Zuflucht, Rat, Stille und Klärung suchen … In der allgemeinen Verarmung des geistigen Lebens wirst Du in Deinem Elternhaus einen Hort geistiger Werte … finden; die Musik …; die Lebenstüchtigkeit …; die Gabe, sich … das Wohlwollen der Menschen zu erwerben …; die Frömmigkeit … [Sie werden] Dich lehren, zu beten und Gott über alles zu fürchten und zu lieben und den Willen Jesu Christi gerne zu tun … Ich würde Dir wünschen, auf dem Lande aufwachsen zu können … Die Zeit der Großstädte auf unserem Kontinent scheint nun abgelaufen zu sein … Die Stille und Abgeschiedenheit des ländlichen Lebens war schon durch Radio, Auto, Telephon … stark beeinträchtigt … Trotz des Verlangens der Menschen nach Einsamkeit und Stille wird es schwer sein, diese zu finden … Wir sind aufgewachsen in der Erfahrung …, der Mensch könne und müsse sein Leben selbst planen, aufbauen und gestalten … Es ist aber unsere Erfahrung geworden, daß wir nicht einmal für den kommenden Tag zu planen vermögen, daß das Aufgebaute über Nacht zerstört wird … Ich kann trotzdem nur sagen, daß ich nicht in einer anderen Zeit leben wollte als in der unseren, auch wenn sie über unser äußeres Glück hinwegschreitet … Wir werden unser Leben mehr zu tragen als zu gestalten haben, wir werden mehr hoffen als planen, mehr ausharren als voranschreiten. Aber wir wollen Euch Jüngeren … die Seele bewahren, aus deren Kraft Ihr ein neues und besseres Leben planen, aufbauen und gestalten sollt … Der Schmerz ist dem größten Teil unseres Lebens fremd gewesen … Eure Generation wird … durch das Ertragen von Entbehrungen und Schmerzen und schwerer Geduldsproben härter und lebensnäher sein … Wir glaubten, daß wir uns durch Vernunft und Recht im Leben durchsetzen … Ihr … erfahrt …, daß Mächte die Welt bestimmen, gegen die die Vernunft nichts ausrichtet … Ihr lernt … die uns fremden Formen des Kampfes gegen den Feind ebenso wie das bedingungslose Vertrauen zum Freund … Du wirst heute zum Christen getauft. Alle die alten großen Worte der christlichen Verkündigung werden über Dir ausgesprochen und der Taufbefehl Jesu Christi wird an Dir vollzogen … Aber auch wir selbst sind wieder ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen. Was Versöhnung und Erlösung, was Wiedergeburt und Heiliger Geist, was Feindesliebe, Kreuz und Auferstehung, was Leben in Christus und Nachfolge Christi heißt, das alles ist so schwer und so fern, daß wir es kaum mehr wagen, davon zu sprechen … Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat …, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein. Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen … Bis Du groß bist, wird sich die Gestalt der Kirche sehr verändert haben … Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen - aber der Tag wird kommen -, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, daß sich die Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, daß sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt … Bis dahin wird die Sache der Christen eine stille und verborgene sein; aber es wird Menschen geben, die beten und das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten. Möchtest Du zu ihnen gehören …[!]“

Quelle: Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 428 – 436