Der Freund

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Nicht aus dem schweren Boden,
wo Blut und Geschlecht und Schwur
mächtig und heilig sind,
wo die Erde selbst
gegen Wahnsinn und Frevel
die geweihten uralten Ordnungen
hütet und schützt und rächt, -
nicht aus dem schweren Boden der Erde,
sondern aus freiem Gefallen
und freiem Verlangen des Geistes,
der nicht des Eides noch des Gesetzes bedarf,
wird der Freund dem Freunde geschenkt.

Neben dem nährenden Weizenfeld,
welches die Menschen ehrfürchtig bauen und pflegen,
dem sie den Schweiß ihrer Arbeit
und, wenn es sein muß,
das Blut ihrer Leiber zum Opfer bringen,
neben dem Acker des täglichen Brotes
lassen die Menschen doch auch
die schöne Kornblume blühn.
Keiner hat sie gepflanzt, keiner begossen,
schutzlos wächst sie in Freiheit
und in heiterer Zuversicht,
daß man das Leben
unter dem weiten Himmel
ihr gönne.
Neben dem Nötigen,
aus gewichtigem, irdischem Stoffe Geformten,
neben der Ehe, der Arbeit, dem Schwert,
will auch der Freie
leben
und der Sonne entgegen wachsen.
Nicht nur die reife Frucht,
auch Blüten sind schön.
Ob die Blüte der Frucht,
ob die Frucht der Blüte nur diene, -
wer weiß es?
Doch sind uns beide gegeben.
Kostbarste, seltenste Blüte, -
der Freiheit des spielenden,
wagenden und vertrauenden
Geistes in glücklicher Stunde entsprungen, -
ist dem Freunde der Freund.

Spielgefährten zuerst
auf den weiten Fahrten des Geistes
in wunderbare,
entfernte Reiche,
die im Schleier der Morgensonne
wie Gold erglänzen,
denen am heißen Mittag
die leichten Wolken des blauen Himmels
entgegenziehen,
die in erregender Nacht
beim Scheine der Lampe
wie verborgene, heimliche Schätze
den Suchenden locken.

Wenn dann der Geist dem Menschen
mit großen, heiteren, kühnen Gedanken
Herz und Stirne berührt,
daß er mit klaren Augen und freier Gebärde
der Welt ins Gesicht schaut,
wenn dann dem Geiste die Tat entspringt,
- der jeder allein steht oder fällt, -
wenn aus der Tat
stark und gesund
das Werk erwächst,
das dem Leben des Mannes
Inhalt und Sinn gibt,
dann verlangt es
den handelnden, wirkenden, einsamen Menschen
nach dem befreundeten und verstehenden Geist.
Wie ein klares, frisches Gewässer,
darin der Geist sich vom Staube des Tages reinigt,
darin er von glühender Hitze sich kühlet
und in der Stunde der Müdigkeit stählt, -
wie eine Burg, in die nach Gefahr und Verwirrung
der Geist zurückkehrt,
in der er Zuflucht, Zuspruch und Stärkung findet,
ist dem Freunde der Freund.

Und der Geist will vertrauen,
ohne Grenzen vertrauen.
Angeekelt von dem Gewürm,
das im Schatten des Guten
von Neid und Argwohn und Neugier sich nährt,
von dem Schlangengezisch
vergifteter Zungen,
die das Geheimnis des freien Gedankens,
des aufrichtigen Herzens
fürchten, hassen und schmäh‘n,
verlangt es den Geist,
alle Verstellung von sich zu werfen
und sich vertrautem Geiste
gänzlich zu offenbaren,
ihm frei und treu zu verbünden.

Neidlos will er bejahen,
will anerkennen,
will danken,
will sich freuen und stärken
am anderen Geist.

Doch auch strengem Maß
und strengem Vorwurf
beugt er sich willig.
Nicht Befehle, nicht zwingende fremde Gesetze und Lehren,
aber den Rat, den guten und ernsten,
der frei macht,
sucht der gereifte Mann
von der Treue des Freundes.

Fern und nah
in Glück oder Unglück
erkennt der eine im andern
den treuen Helfer
zur Freiheit
und Menschlichkeit.

Quelle: Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 585 - 589