Rundbrief 2018-07 Der Schriftsteller Thomas Mann
HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Juli 2018!
2016 kaufte die deutsche Bundesregierung die kalifornische Villa, in der der deutsche Schriftsteller Thomas Mann von 1942 – 1952 im Exil lebte. Im Juni 2018 weihte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die sanierte Villa als Ort des kulturellen Dialogs ein.
Thomas Mann (geboren 1875 in Lübeck, gestorben 1955 in Zürich) war ein sehr bedeutender deutscher Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Sein Gesamtwerk umfasst 12 Romane, über 30 Erzählungen, zwei Bühnenstücke, rund 30 Essays und einige autobiografische Schriften. Für den Roman „Buddenbrooks. Verfall einer Familie“ wurde er 1929 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Thomas Mann war ein Gegner des Nationalsozialismus. Am Tag der Bücherverbrennung (10. Mai 1933) wurde Thomas Mann aus dem Münchener Literaturbeirat ausgeschlossen. Seine Werke blieben von der Bücherverbrennung verschont, nicht aber die seines Bruders Heinrich und seines Sohnes Klaus. 1936 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Ab 1938 lebte er im Exil in den USA und siedelte 1941 nach Kalifornien. 1942 baute er dort ein eigenes Haus in Pacific Palisades und wohnte in diesem bis 1952. 1949 besuchte er zwar Deutschland, wohnte aber ab 1952 bis zu seinem Tod in der Schweiz.
Die Bücherverbrennung hatte auch Auswirkungen auf Bonhoeffers Lektüre:
„Bonhoeffers Lektüre nahm in diesen beiden letzten Lebensjahren spürbar an der Isolierung teil, welche der Nationalsozialismus über Deutschland gebracht hatte…So war es undenkbar, dass etwa die Familie aus ihr noch erreichbaren Quellen Bücher von Thomas Mann, Franz Werfel oder neueren Ausländern in die Zelle hätte bringen können. Auch Bonhoeffer hat so das Schicksal der Deutschen geteilt, aus dem Strom der literarischen Entwicklung in der weiten Welt ausgeschlossen zu sein“ (Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse, München 1967, S. 946).
Allerdings beurteilte Bonhoeffer die zeitgenössische Literatur eher kritisch bis ablehnend. Bonhoeffers Literaturkritik wird in einem Brief aus der Haft an seinem Freund Eberhard Bethge deutlich, in dem er auch die literarischen Vorlieben seiner Verlobten kritisiert: „Leider bin ich auf literarischem Gebiet mit Maria noch nicht konform…, aber sie liest und schickt mir und liebt gerade Rilke, Bergengruen, Binding, Wichert, von denen ich die letzten drei für unter unserem Niveau, den ersten für ausgesprochen ungesund halte…Die Generation von Maria und Renate ist eben leider mit einer sehr schlechten zeitgenössischen Literatur groß geworden und den Anschluss an das ältere Schrifttum finden sie viel schwerer als wir. Je mehr wir an die wirklich guten Sachen herangekommen sind, desto fader ist uns doch die dünne Limonade der neueren Produktion geworden, manchmal fast bis zum Übelwerden. Kennst du ein Buch aus der schönen Literatur der letzten ca. 15 Jahre, von dem Du glaubst, dass es Bestand hat? Ich nicht. Es ist teils Gewäsch, teils Gesinnungsmacherei, teils wehleidige Sentimentalität – aber keine Erkenntnis, keine Gedanken, keine Klarheit, keine Substanz und fast immer eine schlechte, unfreie Sprache“ (Brief Bonhoeffers aus der Haft an Eberhard Bethge vom 28.11.1944, in: DBW 8, S. 214).
Kennt Ihr ein Buch aus der schönen Literatur der letzten ca. 15 Jahre, von dem Ihr glaubt, dass es Bestand hat? Vielleicht hat der Roman „Der Himmel ist kein Ort“ – lese ich zurzeit – des kürzlich verstorbenen Schriftstellers Dieter Wellershoff Bestand!
1942 – 1945 gestaltete Thomas Mann Radiosendungen mit dem Titel „Deutsche Hörer“, die mit Hilfe der BBC nach Deutschland übertragen wurden. 55 Radioansprachen hielt Thomas Mann zwischen Oktober 1940 und Mai 1945. Es handelte sich um fünf- bis achtminütige, pointiert formulierte Reden, in denen der Autor sich mit der politischen Lage Deutschlands befasste, das Kriegsgeschehen kommentierte, den Holocaust anprangerte und mahnende Worte an seine Landsleute richtete. Tendenziell zielen die Radioansprachen darauf, die deutschen Hörer zum Widerstand gegen Adolf Hitler zu ermutigen.
Ob Bonhoeffer solche Radiosendungen mit Thomas Mann gehört hat, weiß ich nicht. Zumindest hätte er diese des Jahres 1942 im Geheimen hören können, denn das Hören von ausländischen Rundfunksendungen war in der Öffentlichkeit verboten. In der Haft ab April 1943 dürfte er wohl in der Höhle des Löwen keinen Zugang zu einem Radio gehabt haben.
Zehn Jahre nach der Machtergreifung der Nazis (1933 – 1943) resümieren Thomas Mann diese Zeit mit einer Radioansprache und Bonhoeffer mit einer persönlichen Rechenschaft.
Thomas Mann sagt in seiner Radioansprache vom 15. Jänner 1943: „Ein düsteres Jubiläum will begangen sein: zehn Jahre Nationalsozialismus. Was haben sie dem deutschen Volke gebracht? Es gibt nur eine, alles-sagende Antwort: den Krieg, diesen Krieg…Den Hitlerkrieg, in dem eure Söhne zu Millionen verbluten, und der den Kontinent…als Wüste zurücklassen wird. An ihn kann man sich halten, wenn nach den Ergebnissen dieser Dekade gefragt wird. Auf ihn lief von Anfang an alles hinaus, auf ihn steuerte alles zu. Alles übrige, welche Lügennamen es immer trug, angefangen von dem Lügennamen der Bewegung selbst, war nichts als Vorbereitung und systematische Instandsetzung für das ausweglose und ruinöse Abenteuer dieses Krieges, den euer Führer sich freilich anders vorgestellt hat, als er nun aussieht. Eines Verzweiflungskampfes, in dem Deutschland eine unsühnbare Untat auf die andere häufen muß, und an dessen physischen und moralischen Folgen zu tragen haben wird, wer weiß wie lange. Alle sogenannten Verdienste, die das Regime sich um Deutschland erworben haben soll, nehmen ihr wahres Gesicht an im Lichte dieses Ergebnisses. Sie werden dadurch ad absurdum geführt, auch für den, der verelendeterweise jemals etwas anderes darin sah als Betrug, Wahnsinn und Niedertracht. Man hört, Hitler habe Deutschland von der Arbeitslosigkeit befreit. Ja - durch die Aufrüstung zum Kriege. Nationalsozialismus – das heißt, die Lösung der sozialen Frage durch den Krieg. Man hört, er habe Deutschland geeinigt wie nie zuvor und den Sozialismus verwirklicht, indem er eine deutsche Volksgemeinschaft schuf. Diese Volksgemeinschaft war die Diktatur des Gesindels, ein scheußlicher Parteiterror, der eine moralische Verwüstung, einen Menschenverderb, eine Gewissensschändung, eine Zerstörung der natürlichen, ehrwürdigen Bande mit sich brachte, wie nie ein Volk sie erlebt hat, und der sich auf alles stürzte, nur nicht auf das Gute im Menschen…Und der Sozialismus? Er ist die Selbstbereicherung der Bonzen, die Verwandlung der Nazipartei in einen riesigen Wirtschaftskonzern, fett wie Göring. Er besteht außerdem in der reizenden Einrichtung‚ ‚Kraft durch Freude‘, d.h. in der Verschiffung entrechteter Arbeiterherden in schöne Gegenden. Aber hat nicht der Nationalsozialismus des Land von republikanischer Korruption gereinigt und Deutschland aus Schmach und Schande wieder zu Ansehen in der Welt gebracht, seine Ehre wieder hergestellt? Es gibt kein Kind mehr in Deutschland, das nicht wüßte, daß gegen die zum Himmel stinkende Korruption der Naziherrschaft die paar kleinen, durch törichte Prozesse aufgeblasenen moralischen Ungeschicklichkeiten der Republik die Harmlosigkeit selbst waren. Und dann die deutsche Ehre. Gebrochen die Würde der Wissenschaft, zu Boden getreten jedes Rechtsgefühl, der deutsche Rechtsrichter ein Knecht des Parteiinteresses, das deutsche Wort zum Spott geworden durch gehäufte Vertragsbrüche und zerrissene Ehrenzusicherungen, durch die infame Auffassung der Politik als einer Sphäre des absoluten Zynismus; der deutsche Name zum Inbegriff gemacht allen Schreckens, aller geilen Raubsucht, schandbare Grausamkeit, erbarmungsloser Gewalt, so daß das Gedächtnis der Völker an vieles Gute, Große und Liebenswerte, womit der deutsche Geist einst die Menschheit beschenkt hat, unterzugehen droht in einem Meer von Haß, dessen herandrängende Wogen ihr mit verzweifelter Kraftanstrengung, mit ‚Kraft durch Furcht‘, noch eben zurückdämmt, damit sie euch nicht verschlingen. Das ist die wiederhergestellte deutsche Ehre. Das ist die Bilanz von zehn Jahren Nationalsozialismus. Und ich bin froh, daß mir nur fünf bis sechs Minuten gegeben sind, sie zu ziehen. Die Geschichte wird ausführlicher sein“ (Mann, Thomas: Deutsche Hörer! Radiosendungen nach Deutschland aus den Jahren 1940 bis 1945, Frankfurt/M. 1987, S. 85 – 87 – das Buch steht in unserer Bonhoeffer-Bibliothek).
Und Bonhoeffer schreibt: „Zehn Jahre sind im Leben jedes Menschen eine lange Zeit…Verlorene Zeit ist unausgefüllte, leere Zeit. Das sind die vergangenen Jahre gewiß nicht gewesen. In den folgenden Seiten möchte ich versuchen, mir Rechenschaft zu geben über einiges von dem, was sich uns in diesen Zeiten als gemeinsame Erfahrung und Erkenntnis aufgedrängt hatNach zehn Jahren was last modified: November 1st, 2017 by sumsinagro…Die große Maskerade des Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinander gewirbelt. Daß das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten ethischen Begriffswelt Kommenden schlechthin verwirrend…Wer hält stand? Allein der, dem nicht seine Vernunft, sein Prinzip, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist, wenn er im Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher Tat gerufen ist, der Verantwortliche, dessen Leben nichts sein will als eine Antwort auf Gottes Frage und Ruf. Wo sind diese Verantwortlichen?...Wir haben in diesen Jahren viel Tapferkeit und Aufopferung, aber fast nirgends Civilcourage gefunden, auch bei uns selbst nicht…Civilcourage aber kann nur aus der freien Verantwortlichkeit des freien Mannes erwachsen. Die Deutschen fangen erst heute an zu entdecken, was freie Verantwortung heißt. Sie beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht…Solange das Gute Erfolg hat, können wir uns den Luxus leisten, den Erfolg für ethisch irrelevant zu halten. Wenn aber einmal böse Mittel zum Erfolg führen, dann entsteht das Problem…Weder beleidigte Kritiker noch Opportunisten wollen und dürfen wir sein, sondern an der geschichtlichen Gestaltung Mitverantwortliche…Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen, es läßt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos…Um zu wissen, wie wir der Dummheit beikommen können, müssen wir ihr Wesen zu verstehen suchen. So scheint die Dummheit vielleicht weniger ein psychologisches als ein soziologisches Problem zu sein. Sie ist eine besondere Form der Einwirkung geschichtlicher Umstände auf den Menschen, eine psychologische Begleiterscheinung bestimmter äußerer Verhältnisse…So zum willenlosen Instrument geworden, wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei (Psalm 111, 10), sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist…Das einzig fruchtbare Verhältnis zu den Menschen – gerade zu den Schwachen – ist Liebe, d. h. der Wille, mit ihnen Gemeinschaft zu halten. Gott selbst hat die Menschen nicht verachtet, sondern ist Mensch geworden um der Menschen willen…Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, daß auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und daß es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten – Ich glaube, daß Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern daß er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet…Immer wird uns das Vertrauen eines der größten, seltensten und beglückendsten Geschenke menschlichen Zusammenlebens bleiben, und es wird doch immer nur auf dem dunklen Hintergrund eines notwendigen Mißtrauens entstehen…Wenn wir nicht den Mut haben, wieder ein echtes Gefühl für menschliche Distanzen aufzurichten und darum persönlich zu kämpfen, dann kommen wir in einer Anarchie menschlicher Werte um…Heute wird gerade das Christentum für die Achtung menschlicher Distanzen und menschlicher Qualität leidenschaftlich einzutreten haben…Wir sind gewiß nicht Christus und nicht berufen, durch eigene Tat und eigenes Leiden die Welt zu erlösen, wir sollen uns nicht Unmögliches aufbürden und uns damit quälen, daß wir es nicht tragen können…Wir sind nicht Christus, aber wenn wir Christen sein wollen, so bedeutet das, daß wir an der Weite des Herzens Christi teilbekommen sollen in verantwortlicher Tat, die in Freiheit die Stunde ergreift und sich der Gefahr stellt, und in echtem Mitleiden, das nicht aus der Angst, sondern aus der befreienden und erlösenden Liebe Christi zu allen Leidenden quillt. Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen…Es schien uns bisher zu den unveräußerlichen Rechten menschlichen Lebens zu gehören, sich einen Lebensplan entwerfen zu können, beruflich und persönlich. Damit ist es vorbei. Wir sind durch die Macht der Umstände in die Situation geraten, in der wir darauf verzichten müssen, »für den kommenden Tag zu sorgen« (Matth. 6, 34)…Uns bleibt nur der sehr schmale und manchmal kaum noch zu findende Weg, jeden Tag zu nehmen, als wäre er der letzte, und doch in Glauben und Verantwortung so zu leben, als gäbe es noch eine große Zukunft…Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hoch zu halten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner läßt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt…Mag sein, daß der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht…Der Gedanke an den Tod ist uns in den letzten Jahren immer vertrauter geworden…Noch lieben wir das Leben, aber ich glaube, der Tod kann uns nicht mehr sehr überraschen. Unseren Wunsch, er möchte uns nicht zufällig, jäh, abseits vom Wesentlichen, sondern in der Fülle des Lebens und in der Ganzheit des Einsatzes treffen, wagen wir uns seit den Erfahrungen des Krieges kaum mehr einzugestehen. Nicht die äußeren Umstände, sondern wir selbst werden es sein, die unseren Tod zu dem machen, was er sein kann, zum Tod in freiwilliger Einwilligung…Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen…Sind wir noch brauchbar? Nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker, sondern schlichte, einfache, gerade Menschen werden wir brauchen“
Lesen wir bis zum Rundbrief August 2018:
Psalmen 104 - 106; Matthäus-Evangelium Kapitel 13, die Verse 10 – 17
Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe