Rundbrief 2018-03 Zwischenrufe über Bonhoeffer und die Geschwister Scholl
HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief März 2018!
Der Radiosender Ö1 hat die Sendereihe „Zwischenruf – Protestantisches zur Zeit“, die jeden Sonntag von 6.55 bis 7.00 Uhr zu hören ist. Anbei findet Ihr einen Zwischenruf über Bonhoeffer und einen über die Geschwister Scholl.
Am 4. Feber 2018 gab es zum 112. Geburtstag (4. Feber 1906) von Dietrich Bonhoeffer den Zwischenruf von Marco Uschmann, Pfarrer beim Presseverband der ev. Kirche A. B. in Österreich und Chefredakteur der ev. Kirchenzeitung “Die Saat“: „Heute hat Dietrich Bonhoeffer Geburtstag. Der evangelische Pfarrer und Märtyrer wurde am 4. Februar 1906 in Breslau geboren. Gestorben ist er am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg, ermordet von der SS.
Früh schon wehrte sich der Pfarrer gegen die Nationalsozialisten. Bereits am 1. Februar 1933 hielt Bonhoeffer den Radiovortrag "Wandlungen des Führerbegriffes". Er forderte eine Begrenzung totaler Machtfülle des Kanzleramtes durch rechtsstaatliche Ordnung. Das war zwei Tage nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland. Damit ging der Kampf Bonhoeffers gegen das Nazi-Regime aber erst los. Der sogenannte Kirchenkampf begann.
Im September 1933 durften nur noch sogenannte Arier in der Kirche als Pfarrer arbeiten. Bonhoeffer schlug einen Beerdigungsstreik vor, scheiterte aber. Dann wollte er oppositionelle Pfarrer zum Austritt aus der Deutschen evangelischen Kirche bringen, deren Verfassung er nun als Irrlehre ansah. Er fand jedoch noch so gut wie keine Zustimmung für eine Kirchenspaltung.
Daraufhin gründete Bonhoeffer mit anderen den Pfarrernotbund zum Schutz der bedrohten Amtsbrüder jüdischer Herkunft. Daraus wurde später die sogenannte Bekennende Kirche, die sich gegen die von den Nazis gleichgeschalteten Deutschen Christen wandte. Er bildete im Untergrund Pfarrer aus, er reiste ins Ausland, um internationale ökumenische Kontakte gegen die Nazis zu knüpfen. Er ging - als alles nichts half - auch in den Untergrund und arbeitete mit den Attentätern vom 20. Juli 1944 zusammen, die Hitler töten wollten. Für einen Pfarrer ein großer Schritt, lange hat er überlegt, diskutiert mit anderen Theologen über den Tyrannenmord, über das Recht zum Widerstand, über die Pflicht zum Widerstand.
Theologisch hat er so manches neu gedacht und war dabei doch wieder ganz klassisch: Er stellte Jesus Christus in die Mitte seines Denkens und Handelns. Damit wandte er sich gegen die Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers, die Jahrhunderte Bestand hatte. Deutlich schreibt der lutherische Pfarrer in seiner Ethik: "Die Welt gehört zu Christus und nur in Christus ist sie, was sie ist. Sie braucht darum nichts Geringeres als Christus selbst. Seit Gott in Christus Fleisch wurde und in die Welt einging, ist es uns verboten, zwei Räume, zwei Wirklichkeiten zu behaupten: Es gibt nur diese eine Welt."
Und so hat der Breslauer Pfarrer auch gelebt. Für ihn hatte sein Leben aus Christus gesellschaftliche und persönliche Konsequenzen. Er konnte gar nicht anders, als im Sinne Jesu Widerstand zu leisten gegen das unmenschliche verbrecherische Regime der Nazis. Wir leben heute, Gott sei Dank, in anderen Zeiten.
Und dennoch. Ich denke, das gesellschaftliche Klima verändert sich gerade nicht zum Besseren. Jedem von uns werden Beispiele für meine Vermutung einfallen. Mag sein, der eine oder die andere spricht von Einzelfällen. Mir persönlich werden das aber zu viele, um es noch Einzelfälle zu nennen. Widerstand ist geboten, wenn die Menschlichkeit unter die Räder kommt. Die Bibel nennt das Nächstenliebe. Das Beispiel Bonhoeffers zeigt, wozu der Glaube befähigen und welche Kraft Gott in einem Menschen entfalten kann. Ich bewundere das.
Der Radiovortrag Bonhoeffers zwei Tage nach der Machtergreifung der Nazis im Jänner 1933 wurde übrigens abgebrochen. Er sagte gerade: "Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes."
Am 18. Feber 2018 gab es zum 75. Todestag (18. Feber 1943) der Geschwister Sophie und Hans Scholl den Zwischenruf von Thomas Hennefeld, Landessuperintendent der Ev. Kirche H. B. in Österreich: „Vor 75 Jahren wurde das Geschwisterpaar Sophie und Hans Scholl am sogenannten Volksgerichtshof in München von den Nazis wegen Feindbegünstigung und Hochverrat zum Tode verurteilt. Kurz darauf wurden sie durch das Fallbeil enthauptet.
In einem ihrer Flugblätter, die sie verteilten, und die ihnen schließlich das Leben kosteten, finden sich folgende Sätze: "Überall und zu allen Zeiten der höchsten Not sind Menschen aufgestanden, Propheten, Heilige, die ihre Freiheit gewahrt hatten, die auf den Einzigen Gott hinwiesen und mit seiner Hilfe das Volk zur Umkehr mahnten. Wohl ist der Mensch frei, aber er ist wehrlos wider das Böse ohne den wahren Gott, er ist wie ein Schiff ohne Ruder, dem Sturme preisgegeben, wie ein Säugling ohne Mutter, wie eine Wolke, die sich auflöst."
Das sind Worte, die einen tiefen religiösen Geist atmen und die Handschrift der Geschwister Scholl tragen. Dabei waren die beiden keine geborenen Widerstandskämpfer. Im Gegenteil: Das Geschwisterpaar, obwohl geprägt durch eine liberal-evangelisch-christliche Erziehung, war durchaus angetan vom national-sozialistischen Gemeinschaftsgedanken. Aber bald mussten sie feststellen, dass ihr christliches Denken im Widerspruch zur totalitären NS-Ideologie stand. Es war ein Prozess, den die beiden durchliefen, der sie schließlich zu erbitterten Gegnern des NS-Regimes machte.
Es blieb aber nicht bei stiller Empörung. Diese mündete in konkretes Handeln. So entstand die Widerstandsgruppe Weiße Rose, der das Geschwisterpaar Scholl und befreundete Studenten angehörten. Vom Sommer 1942 bis zum Beginn des Jahres 1943 stellte die Gruppe insgesamt sechs Flugblätter her, kopierte und verteilte sie, wo immer sie dazu die Möglichkeit hatte. Die Gruppe rief in ihren Flugblättern zuerst zum passiven Widerstand auf, später ganz unverhohlen zur Beseitigung der NS-Diktatur, z.B. durch Sabotageaktionen. Die Mitglieder der Gruppe wollten den Landsleuten die Augen öffnen für die Verbrechen des Regimes an Juden und an anderen zu Untermenschen erklärten Volksgruppen, - auch für die Verbrechen am eigenen Volk. Das vierte Flugblatt endete mit dem Satz: "Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!".
Im Februar 1943 flog die Widerstandsgruppe auf. Am 18. Februar 1943, also heute vor 75 Jahren, wurde Sophie Scholl bei einer Flugblattaktion in der Münchner Universität ertappt und der Gestapo übergeben. Ich frage mich, woher die Mitglieder der Gruppe die Kraft bezogen haben für diese aufreibende und lebensgefährliche Tätigkeit. Was das Geschwisterpaar Scholl betrifft, findet sich eine entscheidende Antwort in persönlichen Aufzeichnungen und in den Vernehmungs-und Prozessprotokollen.
In einer Tagebuch-Eintragung von Hans Scholl vom 28. August 1942 ist zu lesen:
"Wenn nicht Christus gelebt hätte und nicht gestorben wäre, gäbe es wirklich gar keinen Ausweg. Dann müsste alles Weinen grauenhaft sinnlos sein. Dann müsste man mit dem Kopf gegen die nächste Mauer rennen und sich den Schädel zertrümmern. So aber nicht."
Zeugen des Prozesses und der Hinrichtung haben Sophie und Hans Scholl auf ihrem letzten Weg als klar, ruhig, gelassen und tapfer beschrieben. Das alles ist 75 Jahre her. Warum sollen wir uns das Schicksal der Geschwister Scholl und ihren Mitstreitern ins Gedächtnis rufen?
Weil das Geschwisterpaar Scholl zu den wenigen gehörte, die aus ihrer Glaubensüberzeugung erkannten, was böse war; weil sie Zivilcourage zeigten, die es auch heute braucht, wo wir unter ganz anderen Umständen leben. Der Mensch kann sich an vieles gewöhnen und was gestern noch als pervers und absurd erschien, kann morgen schon die Norm sein. Genau dagegen hat sich das Geschwisterpaar Scholl gewandt, gegen die Normalisierung des Grauens. Wo rechtsstaatliche Instanzen nicht ernst genommen, demokratische Strukturen ausgehöhlt und die Pressefreiheit angegriffen wird, da sollten die Alarmglocken läuten. In Teilen Europas ist es schon so weit gekommen, ohne dass es zu einem lauteren Aufschrei geführt hätte.Heute sind wir nicht an Leib und Leben gefährdet. Um wieviel mehr sollten Menschen da ihre Stimme erheben gegen Unrecht und Lüge, Menschenverachtung, Niedertracht und Hetze gegen andere Menschen und ganze Menschengruppen! Um feststellen zu können, ob diese erworbenen demokratischen Werte, auf die wir zu Recht stolz sind, in Gefahr geraten, braucht es einen klaren Geist und einen festen Glauben. Und es braucht Mut, sich auf Konflikte einzulassen und keine Angst davor zu haben, Kritik, Spott oder gar Hass auf sich zu ziehen. Da können Sophie und Hans Scholl auch heute leuchtende Vorbilder sein.“
Anmerkung von mir: Die Nazis hatten nicht die Mehrheit. Die Mehrheit schwieg.
Lesen wir bis zum Rundbrief April 2018:
Psalmen 92 – 94; Matthäus-Evangelium Kapitel 12, die Verse 31 – 37
Liebe Grüße, Euer Obmann Uwe