Rundbrief 2017-06 Der Student Benno Ohnesorg
HAPAX und ein herzliches Hallo!
Am 2. Juni 2017 ist der 50. Todestag des in Berlin erschossenen Studenten Benno Ohnesorg. Durch seinen gewaltsamen Tod am 2. Juni 1967 während einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien wurde er vor allem in Deutschland bekannt. Bis heute löst sein Tod Diskussionen, Fragen und Anmerkungen aus.
Der West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras traf den 26-Jährigen mit einem Pistolenschuss aus kurzer Distanz tödlich in den Hinterkopf. Ohnesorgs Erschießung trug zur Ausbreitung und Radikalisierung der westdeutschen Studentenbewegung der 1960er Jahre bei. Sein Todestag gilt als Einschnitt der westdeutschen Nachkriegsgeschichte mit weitreichenden gesellschaftspolitischen Folgen. Sein Tod war auch ein Grund für die Gründung der Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF) mit Andreas Baader und Ulrike Meinhof an der Spitze.
Benno Ohnesorg wurde am 15. Oktober 1940 in Hannover geboren und starb am 2. Juni 1967 in Berlin. Im Abiturlehrgang galt Ohnesorg als nicht politisch, aber vielseitig literarisch und musikalisch interessiert. Er las Werke von Albert Camus, Jean-Paul Sartre, Samuel Beckett, Ernst Bloch, Friedrich Nietzsche und schrieb Gedichte. 1963 bestand er sein Abitur. 1964 begann er an der Freien Universität in West-Berlin Romanistik und Germanistik zu studieren mit dem Ziel, Gymnasiallehrer zu werden. Am 27. April 1967 heiratete er seine schwangere Freundin Christa und wohnte mit ihr in Berlin-Wilmersdorf.
Ohnesorg war politisch interessiert, aber kaum aktiv. Er war Pazifist und Mitglied einer evangelischen Studentengemeinde. Er nahm 1964 am Deutschlandtreffen der Jugend in Ost-Berlin teil, war Mitglied im damaligen Diskussionsclub „Argument“, unterschrieb einmal eine Petition der Kampagne für Abrüstung der Ostermarsch-Bewegung und ging zu einer Demonstration gegen die Bildungspolitik des West-Berliner Senats. Er las die damals unter linksgerichteten Studenten beliebte Zeitschrift Berliner Extra-Dienst.
Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) protestierte seit 24. Mai 1967 mit der Konföderation iranischer Studenten gegen den Staatsbesuch von Schah Mohammad Reza Pahlavi und versuchte, die Berliner Studenten und Bevölkerung über dessen diktatorische Politik in Persien aufzuklären. Am 1. Juni 1967 rief der SDS für den Folgetag zu Demonstrationen vor dem Schöneberger Rathaus und der Deutschen Oper auf.
Am 2. Juni 1967 besuchte der Schah West-Berlin für einen Tag. Im Schöneberger Rathaus sollte er sich in das Goldene Buch der Stadt eintragen. Bei seiner Ankunft demonstrierten dort zwischen 400 und 1000 Schahgegner, riefen Mörder, Mörder und forderten Amnestie für politische Gefangene in Persien. Am Abend besuchte das Schahehepaar eine Galaaufführung der Zauberflöte in der Deutschen Oper. Die Polizei hatte davor Absperrgitter postiert, die den südlichen Bürgersteig der Bismarckstraße frei ließen. Ein Bauzaun begrenzte diesen Korridor auf der Rückseite. Dazwischen sammelten sich etwa 2000 Demonstranten und Schaulustige.
Gegen 20.00 Uhr trafen die Wagenkolonne des Schahs und zwei städtische Busse mit persischen Schahanhängern ein. Sie wurden seitlich zwischen Polizeigürtel und Demonstranten postiert. Diese riefen, als die Staatsgäste die Oper betraten, in Sprechchören Schah, Schah, Scharlatan, Schah-SA-SS und Mo, Mo, Mossadegh, um an den vom Schah gestürzten und arrestierten ehemaligen persischen Regierungschef zu erinnern.
Die Schahanhänger, die der Schah aus Persien mitnahm, schlugen mit Dachlatten, Holzknüppeln, Schlagringen und Eisenstangen auf die Demonstranten ein. Da keine Flucht möglich war, brach Panik aus. Erneut wurden viele Beobachter verletzt, ohne dass die Polizei eingriff. Sie ließ die Schläger nach einer Weile durch eine nahegelegene U-Bahn-Station abziehen und blockierte dann diesen Ausgang für die Demonstranten.
Zur Festnahme vermeintlicher Rädelsführer verfolgten Greiftrupps der Polizei in Zivilkleidung fliehende Demonstranten bis in Nebenstraßen und Häusereingänge hinein. Zu einem solchen Trupp gehörte der Polizist Karl-Heinz Kurras, der sich zuvor unter die Demonstranten gemischt hatte.
Ohnesorg sah, wie mehrere Zivilbeamte einen Mann in der Krummen Straße (300 Meter von der Oper entfernt) in einen Innenhof zerrten. Um zu beobachten, was dort mit ihm geschah, folgte er ihnen.
Etwa um 20.30 Uhr fiel ein Schuss, der Ohnesorg aus etwa eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf traf. Zeugen hörten einen Wortwechsel zwischen dem Polizeibeamten Horst Geier und Kurras: „Bist du denn wahnsinnig, hier zu schießen? – Die ist mir losgegangen.“ Drei Journalisten fotografierten die Vorgänge im Hof in diesen Minuten. Auf zwei dieser Fotos ist Kurras allein stehend und unbedrängt im sauberen Anzug zu sehen.
Anwesende Polizisten weigerten sich zunächst, einen Krankenwagen zu holen. Gegen 20:50 Uhr traf der Krankenwagen ein. Die Fahrt ins Krankenhaus dauerte geschätzte 45 Minuten, da das zunächst angefahrene Albrecht-Achilles-Krankenhaus und die Westendklinik angaben, keine Betten für Verletzte mehr frei zu haben. Ein Sanitäter und eine selbst verletzte Krankenschwester versuchten während der Fahrt Ohnesorgs Leben zu retten. Nach Aussage der Schwester starb er in ihrem Beisein auf dem Transport. Ein Arzt fand während seiner Obduktion am 3. Juni Prellungen und Hämatome am ganzen Körper. Als Todesursache stellte er einen Gehirnsteckschuss fest.
Am 8. Juni, nach einer Trauerfeier im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin, wurde der tote Benno Ohnesorg in seine Geburtsstadt Hannover überführt und dort begraben. Der Berliner Theologe Helmut Gollwitzer sagte in seiner Ansprache: „Benno Ohnesorgs Leidenschaft galt dem Frieden… Als er sich dort von seiner Frau an der Straßenecke in der Schillerstraße trennte und hinüber zur Krummen Straße ging, …war es vielleicht sein Impuls, einem Misshandelten zu helfen, der ihn sein Leben kostete… Nehmt diesen ersten unkontrollierten Konvoi seit Kriegsende als Zeichen der Verheißung für ein künftiges friedliches Deutschland…, in dem man wieder, ungehindert durch Autobahngebühren, Stacheldrähte und Mauern, frei hin- und herfahren kann.“ Am 9. Juni 1967 wurde Ohnesorg in Hannover beerdigt, begleitet von einem Schweigemarsch von rund 7.000 Studenten durch die hannoversche Innenstadt.
Gegen Karl-Heinz Kurras wurde ein Verfahren wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung eingeleitet. Eine Anklage wegen Totschlags wurde nicht zugelassen. In der Hauptverhandlung im November 1967 behauptete er, eine Gruppe von bis zu zehn Personen habe ihn in der Krummen Straße umringt, verprügelt und mit Messern angegriffen. Deshalb habe er ein oder zwei Warnschüsse abgegeben. Der zweite Schuss habe sich im Handgemenge gelöst und Ohnesorg versehentlich getroffen. Nur einer von 80 vernommenen Zeugen bestätigte diesen Tathergang. Ein Gutachten bescheinigte Kurras eingeschränkte Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit. Dem folgte der Richter und sprach ihn frei, obwohl er von wahrheitswidrigen Einlassungen des Angeklagten ausging.
Am 21. Mai 2009 gaben Mitarbeiter der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Aktenfunde bekannt, wonach Kurras 1967 SED-Mitglied und inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR gewesen war. Die an der Aktenauswertung beteiligten Wissenschaftler hielten einen Stasi-Auftrag für den Todesschuss aber für wenig wahrscheinlich. Eine im Oktober 2009 eingeleitete Ermittlung der Bundesanwaltschaft fand bis August 2011 keine Anhaltspunkte für einen Mordauftrag der Stasi. Die Ermittler widerlegten nochmals die von Kurras behauptete Notwehr, da er nach zuvor unbeachteten Zeugenaussagen und überprüftem Filmmaterial unbedrängt die Waffe gezogen und auf Ohnesorg geschossen hatte. Im November 2011 stellte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Kurras ein, weil die Beweislage nicht zur Neueröffnung eines Verfahrens wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tötung Ohnesorgs ausreiche.
Am 8. Juni 1967 stellten Studenten vor der Oper ein Holzkreuz zum Gedenken an Ohnesorg auf, das die Polizei entfernte. In der Nacht des 17. Juni 1967 benannten einige SDS-Mitglieder, darunter Rudi Dutschke, die Straße des 17. Juni vorübergehend in Straße des 2. Juni um.
1971 schuf der Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka das Bronzerelief „Der Tod des Demonstranten“, das erst 1990 vor der Deutschen Oper in der Bismarckstraße 35 aufgestellt werden konnte.
Auf der im Sockel eingelassenen Gedenktafel steht:
„Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg im Hof des Hauses Krumme Straße 66 während einer Demonstration gegen den tyrannischen Schah des Iran von einem Polizisten erschossen. Sein Tod war ein Signal für die beginnende studentische und außerparlamentarische Bewegung, die ihren Protest gegen Ausbeutung und Unterdrückung besonders in den Ländern der Dritten Welt mit dem Kampf um radikale Demokratisierung im eigenen Land verband. Unter diesem Eindruck schuf Alfred Hrdlicka 1971 das Relief Der Tod des Demonstranten - Dezember 1990.“
In Anlehnung an den Text der Gedenktafel für Benno Ohnesorg könnte der Text für eine Gedenktafel unter dem Bonhoeffer-Stein heißen:
„Am 9. April 1945 wurde der ev. Theologe, Pfarrer und Christ im Widerstand Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg aufgrund seiner Aktivitäten gegen den tyrannischen Diktator Adolf Hitler von der Gestapo durch den Strang ermordet. Sein Tod war ein Signal für den Kampf gegen menschenverachtende und antidemokratische Systeme und für den Einsatz für Menschlichkeit, Menschenrechte und Freiheit. Unter diesem Eindruck schuf Alfred Hrdlicka 1977 einen Dietrich-Bonhoeffer-Stein.“
Lesen wir bis zum nächsten Rundbrief im Juli 2017:
Psalmen 69 - 70; Matthäus-Evangelium Kapitel 10, die Verse 40 – 42
Beste Grüße, Euer Obmann Uwe