Rundbrief 2016-12 Predigt von Superintendent Lars Müller-Marienberg

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HAPAX und ein herzliches Hallo!

Mit einem Festgottesdienst in der ev. Auferstehungskirche in Wiener Neustadt ist am Samstag, 15. Oktober 2016 der neue Superintendent der evangelischen Diözese A. B. Niederösterreich, Pfarrer Mag. Lars Müller-Marienburg, durch Bischof Dr. Michael Bünker in sein Leitungsamt eingeführt worden. Er ist mit seinen 39 Jahren der jüngste aller österreichischen Superintendenten und auch der erste homosexuelle Superintendent der ev. Kirche A. B. in Österreich. Zu seinen Aufgaben gehört die geistliche Leitung der ev. Diözese A. B. Niederösterreich, der rund 40.000 Mitglieder in 28 Pfarrgemeinden angehören. Lars Müller-Marienburg wurde 1977 in Ansbach (Bayern) geboren und studierte evangelische Theologie in München. Nach seinem Vikariat in Linz und seiner Pfarramtskandidatenzeit in Pöttelsdorf wurde er 2010 Pfarrer der evangelischen Pfarrgemeinde Innsbruck-Auferstehungskirche.

 

Die Predigt von Superintendent Lars Müller-Marienberg innerhalb seiner Amtseinführung am 15. Oktober 2016:

„Liebe Schwestern und Brüder! Je näher im Juni die Wahl gerückt ist, desto mehr Emails, SMS und Whats-App-Nachrichten bekam ich. Von Familie, Freundinnen, Freunden. Auch manche, von denen ich es vielleicht nicht erwartet hätte, haben geschrieben. Eine Nachricht hat mir ziemlich zu denken gegeben, dort stand: „Ich würde gern Herr Superintendent zu dir sagen.“ Die Nachricht kam nicht von einem Fremden, sondern von jemandem, mit dem ich vor zwei Jahren die Pfarrerausbildungsgruppe von 4 Leuten verbracht hatte. Wir kennen uns ziemlich gut. Ich hab mir gedacht, ja natürlich möchte ich gern zum Superintendenten gewählt werden, möchte mich aber dann nicht zu hundert Prozent verwandeln in irgendeinen „Herrn Superintendenten“. Nicht für Menschen, mit denen ich so viel erlebt habe, und die so viel mit mir erlebt haben. Auch nicht für Leute, die mich ja als Lars gewählt haben. Und auch nicht für mich selbst. Es ist schwierig genug, gern man selbst zu sein, da möchte ich mein Selbst nicht an eine Verwandlung in einen „Herrn Superintendenten“ verlieren. Darum habe ich zu dieser Person gesagt: „Wenn du jemals Herr Superintendent zu mir sagst, sind wir geschiedene Leute.“ Aber das ist nicht nur ein persönliches Thema, sondern ein grundsätzliches. Es ist ja überhaupt schief, wenn ein kirchliches Amt mit einem angesehenen Titel verbunden ist in der Nachfolge Jesu. Eines Wanderpredigers aus einer Zimmermannsfamilie der Kleinstadt Nazareth am Rand des römischen Reiches. Seine ersten Nachfolger waren die Apostel. In unseren Ohren klingt ja auch das Wort „Apostel“ groß und würdevoll. Doch es waren einfache Leute, Fischer am See Genezareth. In ihrem Auftreten vermutlich nicht hochwürdig, sondern wahrscheinlich eher ein wilder Haufen. Das sind die Wurzeln unseres Amtes. Darum komisch, wenn man als Nachfolger dieser Menschen einmal einen Titel bekommt. Selbst wenn man in der Kirche eine hervorgehobene Aufgabe übertragen bekommt. Dann wurde tatsächlich gewählt, und es hat natürlich sofort alle Welt „Herr Superintendent“ gesagt. Inklusive der Person, der ich es ausdrücklich verboten hatte - wir sind keine geschiedenen Leute, weil man manchmal ja auch gutmütig ist. Ich habe schon fast gedacht, ich könnte mich damit anfreunden, nun doch Herr Superintendent zu sein, doch dann ist mir ein Licht aufgegangen. Vier Wochen nach der Wahl fuhren wir wie jedes Jahr mit Jugendlichen nach Taizé, in den kleinen Ort in Frankreich, wo vor 75 Jahren eine ökumenische Gemeinschaft von Brüdern gegründet worden war. Im Sommer fahren dort alljährlich tausende Jugendliche hin. Zum Austausch, Singen und Beten. Auch ich bin regelmäßig mit Jugendlichen dort. Bei einem der Abendgebete spricht der Prior der Gemeinschaft Frère Alois und sagt an diesem Abend wie in einem Nebensatz: „Bruder von Taizé ist kein Titel, sondern ein Ruf.“ Da habe ich mir gedacht: Was für ein genialer Gedanke, genauso ist es! Es stimmt ja nicht nur für die Brüder von Taizé, sondern in allen kirchlichen Ämtern, auch dem des Superintendenten. „Superintendent“ ist wie alle kirchlichen Amtsbezeichnungen kein Titel, und schon gar kein Ehrentitel, und ich bin auch niemand anderer als vorher. „Superintendent“ ist ein Ruf. Wie für den Bruder von Taizé und viele andere auch. Ein Ruf ist für mich in Ordnung. Es ist gut, wenn Leute mich daran erinnern, dass es diesen Ruf gibt und dass er mir gilt. Es ist gut, wenn auch die mich daran erinnern, die mich gut kennen. Aber was genau ist der Ruf nun, an den ich mich erinnere, wenn mich jemand „Herr Superintendent“ nennt? Das Wort bedeutet „Aufseher“. Das hört sich nicht sehr angenehm an, darum übersetze ich freier: Superintendent ist einer, der auf die Kirche schaut. Der Ruf an den Superintendenten lautet also: Schau auf die Kirche, in meinem Fall die evangelische Kirche A.B. Niederösterreich! Ob alles mit rechten Dingen zugeht, ob die Kirche ihrem Auftrag nachkommt. Ich habe diesen Ruf angenommen, und an diesen Ruf lasse ich mich gern erinnern. Ich werde alles geben, gut zu schauen versuchen und wenn nötig, etwas Hilfreiches sagen. Ich werde unangenehme Dinge angehen - auch das ist ein Teil des Rufs. So möchte ich dem Ruf eines Superintendenten gerecht werden und auf die Kirche SCHAUEN. Dabei ist mir aber wichtig, Kirche zu SEIN. 40.000 Menschen in 28 Pfarrgemeinden: die SIND Kirche. Evangelische Kirche in Niederösterreich. Der Ruf geht an euch Pfarrerinnen und Pfarrer, an euch Lektorinnen und Lektoren. Dieser Ruf geht an euch aus den Presbyterien, der Ruf geht an alle niederösterreichischen Mitglieder der evangelischen Kirche. Ihr alle SEID die evangelische Kirche. Und so auch ich. Nicht als Superintendent, sondern weil ich einer von 40 000 Christen bin. Der Ruf, Kirche zu sein, gilt allen gleich. Kirche ist dort, wo das Evangelium rein gepredigt wird, die Sakramente laut Evangelium gereicht werden. So steht im Artikel 7 des Augsburgischen Bekenntnisses der Auftrag, die Kirche zur Ehre Gottes zu führen und Brot den Armen zu geben. So sagt es der Theologe und spirituelle Lehrer Fulbert Steffensky. Und es passiert schon in der evangelischen Kirche in Niederösterreich. Im Pfarrgemeinderat und in allen Arbeitsbereichen. Es wird gepredigt, es werden die Sakramente gefeiert, es wird Gott geehrt, es wird Schwachen geholfen. Ich habe es schon mit eigenen Augen gesehen. Neun Gemeinden habe ich in den ersten Wochen besucht. Und so wird es auch in den 19 anderen Pfarrgemeinden sein, die ich bald besuchen werde. Kirche ist schon da in Niederösterreich: Vielfältig, schön, anrührend, ermutigend. Wenn es knirscht, also wenn es einmal nicht so gut läuft, werde ich gern da sein und dann schauen, wie es besser gehen könnte. Kirche ist schon da. Aber es ist gut, sich immer wieder an den Ruf erinnern zu lassen. So verzichte ich also auf den Titel „Superintendent“, doch den Ruf „Superintendent“ nehme ich an, ja ich finde ihn sogar wichtig. Wer mich also mit „Herr Superintendent“ anredet, der erinnert mich: Schau! Mach deinen Job, schau auf die Kirche! Ja, das werde ich tun. Ich bin dankbar für Ruf und Erinnerung, selbst wenn das Gegenüber meint, es sei ein Titel oder eine große Ehrerbietung. Wer mich so anredet, erinnert aber gleichzeitig sich selbst: Sei die Kirche. Denn nicht der Superintendent ist Kirche, sondern wir alle. Mit Gottes Segen werden wir es schaffen, dass ich schaue. Dass wir gemeinsam Kirche sind. Zu Gottes Ehre und zum Wohl des Menschen. Amen.“

 

Die entscheidende Aussage seiner Predigt ist für mich: „Der Ruf an den Superintendenten lautet also: Schau auf die Kirche…Ob alles mit rechten Dingen zugeht, ob die Kirche ihrem Auftrag nachkommt.“

Bonhoeffer war zwar kein Superintendent, er war aber ein wacher Christ, der auf seine Kirche geschaut und daher entdeckt hat, dass in ihr nicht alles mit rechten Dingen zuging. Denn für ihn hat die damalige deutsche evangelische Kirche Jesus Christus verraten, weil sie den Menschen mehr gehorcht hat als Gott (vgl. Apostelgeschichte 5, 29: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“).

Weil Bonhoeffer in der Tat Gott mehr gehorcht hat als den Menschen, erinnert und ermahnt er die ev. Kirche, ja letztendlich alle christlichen Kirchen und auch unseren Verein HAPAX, die kritische Kraft des Evangeliums in der Gesellschaft zur Sprache zu bringen. Und für diese Aufgabe braucht es eben wache Menschen, ob Christ oder nicht, die auf Kirche und Gesellschaft schauen, ob dort alles mit rechten Dingen zugeht.

In diesem Sinne wünsche ich euch eine schöne Advents- und Weihnachtszeit und ein gutes neues Jahr 2017!

 

Lesen wir bis zum nächsten Rundbrief im Dezember 2016:

Psalmen 52 - 54; Matthäus-Evangelium Kapitel 9, die Verse 14 – 26

Beste Grüße, Euer Obmann Uwe