Rundbrief 2020-05 Der Freund

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HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Mai 2020!

Nicht nur in der gegenwärtigen Zeit mit der weltumfassenden Coronakrise, sondern zu allen Zeiten sind echte Freundschaften zwischen Menschen wichtig, die tragen, Mut machen und Hoffnung geben. Solche gehören zu den Grunderfahrungen menschlichen Lebens und haben bestimmte Eigenschaften: Anziehung, Annahme, Vertrauen, Wertschätzung, Zusammenarbeit, Beständigkeit und Dauer. 

Eberhard Bethge (geboren am 28. August 1909 in Warchau/Sachsen, gestorben am 18. März 2010 in Wachtberg/Nordrhein-Westfalen) war wohl der einzige, der zu Bonhoeffer die intensivste und tiefgehendste Freundschaft hatte. Aus dieser heraus begann Bethge nach dem zweiten Weltkrieg Bonhoeffers Schriften für die Nachwelt zu sammeln, zu veröffentlichen, zu interpretieren und eine monumentale Biographie über Bonhoeffer zu schreiben.  

   
Eberhard Bethge (rechts) und Dietrich Bonhoeffer reisten 1936 durch die Schweiz mit einem Audi-Cabrio. (Foto: DB 15)

Im Folgendem fasse ich zusammen, wie Eberhard Bethge seine Freundschaft zu Bonhoeffer beschreibt: „…: Ich bin nicht der einzige Freund Dietrich Bonhoeffers. Es gibt andere, es lebt auch noch dieser und jener, der beanspruchen kann: ‚Mein Freund Dietrich Bonhoeffer‘, und von Eifersüchten sind wir nicht ganz frei. Mit anderen Worten: Ich melde keine ausschließlichen Besitzrechte an, weder an Person, Werk noch Nähe zu ihm…Indessen treten doch wohl zwei Beziehungen gegenüber den anderen hervor: eine erste, die zwischen 1927 und 1937 etwa zehn Jahre währte, und eine zweite, die wiederum zehn Jahre lang zwischen 1935 und 1945 bestand. Die erste ist die mit Franz Hildebrandt, der 1985 gestorben ist…Sie lief auf enge Kontakte in der Bonhoefferschen Großfamilie zu am Anfang der Nazizeit, und sie brach ab mit Hildebrandts Emigration nach England 1937…Als die Beziehung mit Franz zu Ende ging, hatte meine Phase begonnen, die zwischen 1935 und 1945. Für sie trifft zu, daß die Korrespondenz zwischen uns quantitativ wie qualitativ einen Quellenbestand aufweist, dem keiner sonst im Nachlaß gleichkommt…Während einer riesigen Studententagung im verschneiten New Hampshire 1957/58…fragte mich jemand, ob ich wüßte, wer wohl der Briefpartner in jenem Buch sei; denn sie müßten ja Homosexuelle gewesen sein, sonst wäre eine derart intensive Korrespondenz kaum nachvollziehbar. Nein, wir waren ziemlich normal…[Es] war so, daß unsere Freundschaft gegen ihr Ende für beide die Bindung an eine höchst vitale Partnerin brachte…Er war gerade 29, ich bald 26 Jahre alt, als wir uns Ende April 1935 zum ersten Mal am Ostseestrand von Zingst begegneten…Uns verband…zunächst nicht sehr viel miteinander, keine gemeinsame Jugend- und Schulzeit…Es gab keine familiären Gemeinsamkeiten von Bildung und Karriere…Er mit allen möglichen Beziehungen… und erworbenen Prädikaten für die Universitätslaufbahn ausgestattet; ich ohne jede Vorbereitung und Ambition über den rechtschaffenen Gemeinde- und Landpastor hinaus. So begann alles mit einem Lehrer- und Schülerverhältnis…Da, dieser kräftige, hellgekleidete Mann mit Brille…, ein eher runder Kopf, kein asketisch-schmales Gesicht, volle Lippen, die Augen dem Partner schnell zugewandt; gelöste Lockerheit, wenn er die Zigarette etwas nervös anzündete, und offensichtlich angetan von dem hin und her wechselnden Witz und Spott. Hingerissen waren wir, als er gleich zu Anfang ‚Herr Direktor‘ ablehnte und stattdessen ‚Bruder Bonhoeffer‘ vorschlug…Schon in Zingst nahm ich mit Freude sein Interesse wahr, wenn ich an der Reihe war, das Mittagssingen zu leiten und den Mitbrüdern meine Vorliebe für einen Schütz-Satz, für ‚Das Wort geht von dem Vater aus‘ von Josquin des Près oder für den Kanon ‚Agnus Dei‘ von Gumpelzhaimer mitzuteilen versuchte…Dietrichs musikalische Welt hatte bis dahin erst bei Bach angefangen; nun begann er Schütz, Schein und Scheidt, auch Buxtehude mit nach Hause zu bringen…Dann wurde die erste Übungspredigt zu einem nachhaltigen Erlebnis…Dafür mag hier eine Briefstelle von Gerhard Vibrans…stehen…: ‚Nun ist Eberhards Predigt über Jesaja 53 so glänzend ausgefallen, dass sich der Chef garnicht beruhigen kann.‘….Zur entscheidenden Station wurde dann Bonhoeffers Plan, mit dem kommenden zweiten Kurs im Winter das ‚Bruderhaus‘ bereit zu haben. Es lag ihm daran, das Finkenwalder ‚gemeinsame Leben‘ mit seiner geistlichen und berührenden Disziplin nicht allein immer neu einschieben zu müssen. So blieben fünf Kandidaten…; niemand schließlich so lange wie ich…Im September 1937…verriegelte die Gestapo das Finkenwalder Haus…So kam es, daß ich diesmal für mehr als zwei Monate mit ihm im Dachgeschoß seines Elternhauses in der Marienburger Allee 43 lebte…Es gab fortan keine Woche mehr in Berlin, ohne dort mit Dietrich im Trio oder Quartett zu musizieren…Besuche bei den anderen Geschwisterfamilien kamen alsbald hinzu, in Berlin, Leipzig und Göttingen…In diesen Geschwisterhäusern wurde ich auch frühzeitig zum Mitwisser von Putschplänen…Natürlich imponierte mir diese für mich neue liberale, bürgerlich-akademische Welt, in der sich Dietrich…bewegte. Er wußte stets, wie man sich zu benehmen hatte, frei und angemessen bei Einflußreichen wie bei schlichten Leuten, bei Pietisten und Marxisten…Gewiß hat Dietrich von mir zunehmend ganze Loyalität erwartet. Es gab auch Momente, in denen er verletzlich reagieren konnte, wenn ich seine Bedürfnisse simpel oder dickfellig mißachtete oder nicht wahrnahm…In einem Brief aus Tegel vom November 1943 erwähnte er selbst einmal seine „tyrannische Natur, die du so genau kennst‘. Dabei habe ich selber das kaum je so empfunden. Denn die Loyalität, die er erwartete, brachte er mir mindestens ebenso entgegen. Großzügigkeit gehörte zu seinem Wesen…Es war übrigens unsere erste längere gemeinsame Autofahrt [nach Berlin], bei der er mir wenigstens eine Überlegenheit in der technischen Wagenbehandlung zugestand, nicht so gerne auch in der Fahrweise; er reagierte nämlich nicht unempfindlich, wenn man ihm einen Fehler bewußt zu machen versuchte…Noch einmal, wer war dieser Freund? In jedem Fall heißt die simple Antwort: Ein Freund, mit dem es mir ausnehmend gut ging und immer noch geht…“ (Quelle: Bethge, Eberhard: Mein Freund Dietrich Bonhoeffer, in: Gremmels, Christian, Huber, Wolfgang (Hg.): Theologie und Freundschaft, Gütersloh 1994, S. 13 – 28)

Die Freundschaft von Dietrich Bonhoeffer und Eberhard Bethge dürfte wohl für beide ein großer Wurf gewesen sein. So schreibt Bonhoeffer in einem Brief vom 4. Feber 1941 (sein 35. Geburtstag) an Eberhard Bethge – wahrscheinlich denkt Bonhoeffer an Schillers Gedicht „An die Freude“ von 1785 und an Beethovens 9. Symphonie (Finale) „Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein“: „Du wünscht mir u. a. gute, anregende Freunde. Das kann man sich wohl wünschen, und es ist heute ein großes Geschenk. Und doch ist das menschliche Herz so beschaffen, daß es nicht die Mehrzahl, sondern die Einzahl sucht und darin ruht…Es gibt individuelle Beziehungen ohne Treue und Treue ohne individuelle Beziehungen. Beides gibt es in der Mehrzahl. Zusammen aber…sucht es die Einzahl und wohl dem, dem ‚dieser große Wurf gelungen‘ ist.“ (DBW 16, S. 128 f.)  

In den letzten Jahren seines Lebens hat Bonhoeffer Ansätze für eine Theologie der Freundschaft durchdacht. Freundschaft versteht er als „Spielraum der Freiheit“ (DBW 8, S. 290 – 292). Dieser Spielraum der Freiheit in einer Freundschaft wird in seinem Gedicht „Der Freund“ sehr deutlich, das er Eberhard zu seinem Geburtstag im August 1944 schickte. Es ist der Zeitpunkt, an dem die Kommunikation der beiden Freunde Bethge und Bonhoeffer an ihr endgültiges Ende kommen sollte. Das Gedicht steht auf unserer Homepage unter „Ausgewählte Texte Bonhoeffers“.         

 

Fragen zum Nachdenken:

  1. Was gefällt Dir an der Freundschaft zwischen Bethge und Bonhoeffer?
  2. Habt Ihr einen Freund/eine Freundin, mit dem/der es Euch ausnehmend gut ging oder geht?
  3. Was zeichnet für Dich eine echte und tiefe Freundschaft aus?

 

Lesen wir bis zum Rundbrief Juni 2020: 

Psalmen 14 – 16; Matthäus-Evangelium Kapitel 17, die Verse 14 – 21

Liebe Grüße,

Euer Obmann Uwe