Rundbrief 2019-07 Der Gewissensentscheid
HAPAX und ein herzliches Hallo zum Rundbrief Juli 2019!
Vor kurzem habe ich ein neues Buch für unsere Bonhoeffer-Bibliothek gekauft:
Manfred Lütz: Paulus van Husen. Als der Wagen nicht kam. Eine wahre Geschichte aus dem Widerstand, Freiburg 2019.
Manfred Lütz wurde am 18. März 1954 in Bonn geboren, ist ein deutscher Psychiater, Psychotherapeut, katholischer Theologe und Buchautor. Er leitet das Alexianer-Krankenhaus (die Alexianer sind eine katholische Brüdergemeinschaft) in Köln mit dem Schwerpunkt Psychiatrie. Seine Bücher schätze ich, weil diese sehr gut lesbar sind und oft interessante und provokative Thesen beinhalten. Manfred Lütz hat die Memoiren seines Großonkels Paulus van Husen (1891 – 1971) veröffentlicht.
Er hat ihn nie persönlich kennengelernt und fand seine Niederschriften in einem verstaubten Schrank seines Hauses.
Paulus van Husen überlebte als Mitverschwörer das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944, kannte einige Hauptakteure des Widerstandes persönlich wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Peter Graf Yorck von Wartenburg und Helmuth James Graf von Moltke, verhandelte mit führenden Nazis wie Joseph Goebbels, Reinhard Heydrich und Wilhelm Keitel und wurde nach dem 2. Weltkrieg der erste Verfassungsgerichtspräsident des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen.
Manfred Lütz Paulus van Husen
Für Paulus van Husen war besonders das Amoralische der Nazis, das Nicht-Achten des Rechtes, die Diskriminierung der Juden und das Reichskonkordat zwischen Hitler und der römisch-katholischen Kirche Auslöser für seine große Empörung. Er hat zwar jüdische Familien gerettet, er warf sich aber vor, eine jüdische Familie nicht bei der Gestapo verteidigt zu haben. Es war ihm bewusst, dass sein Widerstand gegen einen Unrechtstaat Nachteile für sich selbst und für seine Familie bedeuten würde und dass moralisches Handeln gegen Unrecht, das auf Gewissensentscheid basiert, sogar sein Leben kosten könnte.
Paulus van Husen schreibt in dem Abschnitt: Vom Gewissen getrieben – im Kreisauer Kreis mit Moltke, York und den anderen: Ringen um die Zukunft Deutschlands (a. a. O, S. 192 – 210): „…Der Kreisauer Kreis hat seine Bezeichnung erhalten von dem Gute Kreisau bei Schweidnitz, das dem Grafen Helmuth von Moltke gehörte…Seine Grundhaltung gegenüber dem Nationalsozialismus war überlegene Verachtung aus dem Wissen um höhere Werte…Die ganze Persönlichkeit Moltkes wurde getragen vom christlichen Glauben…Wir gerieten…allmählich in näheren Zusammenhang, der sich dann zu der gemeinsamen Arbeit im Widerstand gegen Hitler ausweitete…Er tat diese gemeinsam mit dem ihm gleichaltrigen Graf Peter Yorck von Wartenburg…Die Familie Yorck war wegen ihrer hohen humanistischen Geistigkeit bekannt…Wenn man vom Kreisauer Kreis spricht, so bedeutet das die gemeinsame Arbeit von Helmuth Moltke und Peter Yorck…Es wurden teils einmalige, teils laufende Kontakte mit den verschiedenen Personen aus allen Teilen Deutschlands und auch Österreichs gepflogen, mit Staatsrechtlern, Theologen, Politikern, Arbeiterführern und Männern aus der Wirtschaft…Auch ich hatte die Ehre, zu dieser kleinen Gruppe zu gehören… Unsere gemeinsamen Besprechungen waren erregend, schon wegen ihres Gegenstandes und der durch ihn geschaffenen abenteuerlichen Atmosphäre. Sie waren echt humanistisch…Ich habe in meinem langen Leben einen solchen Aufwand an Geist, spritziger Unterhaltung und fröhlichem Schaffenswillen nicht wiedergefunden…Der Zweck des Suchens nach Gleichgesinnten war bei Moltke und Yorck zunächst die Findung und Sicherung des eigenen Standpunktes. In einer Welt, die in Massenwahn und Angstträumen dahinlebte, wo die diabolischen Propagandasätze ihre Schlagkraft meist gerade dadurch erhielten, dass es sich anscheinend um die Durchsetzung höherer Werte handelte, die in Wirklichkeit durch einen versteckten Tropfen Gift oder einfach durch häretische Verabsolutierung in tiefsten Unwert verwandelt wurden, war es Hilfe und Trost, zuverlässige Leute um sich zu haben zur Diskussion und Klärung des Geschehens in der Umwelt, die alle bisherige Wertordnung antastete. Dann trat von selbst für Männer, die eine christliche Gemeinschaftsverantwortung für ihre Nächsten und ihr Volk und zur Verteidigung des geistigen Erbes fühlten, die brennende Sorge auf, was geschehen könne und müsse, um wieder geistige Ordnung im Volke zu schaffen…Daraus ergab sich dann von selbst der Versuch einer eingehenden Analyse der trostlosen geistigen Lage und der Möglichkeiten für eine geistige und politische Neuordnung Deutschlands nach dem Kriege. Ein solches Programm auszuarbeiten und eine Anzahl anständiger und tüchtiger Leute auf dieses zu verpflichten, war das Ziel…Allmählich verschob sich dann im Laufe der Zeit das Bild. Es wurde nicht mehr nur über Neuordnung diskutiert, sondern die Anwendung von Gewalt trat in den Vordergrund…Das im Kreisauer Kreis erarbeitete Gedankengut beschränkt sich nicht auf die konkret staatlichen und politischen Gestaltungen. Vorab musste vielmehr ein geistiges Fundament für den Neubau gefunden werden. Die furchtbaren Folgen der falschen Lehren des Nationalsozialismus und dessen maßlose Willkür hatten es offenbar gemacht, dass zunächst eine richtige Wertordnung wiedergefunden werden musste…Die christliche Wertordnung ist also der Maßstab, an dem alles zu messen ist…Diese Basis konnte von allen angenommen werden ohne Verletzung anderer Überzeugungen, aus dem Wissen heraus, dass für den Christen der Gewissensentscheid und die Liebe die bestimmenden Faktoren sind…“
Wenn demokratische Politiker Sorgen und Ängste der Menschen nicht ernst nehmen, dann kommen eben Populisten, die Heil versprechen, oft Wölfe im Schafspelz sind und die Sorgen und Ängste der Menschen auf Sündenböcke abschieben, die meist die Schwächsten im Lande sind, wie etwa die Fremden unter uns. Nicht jeder Mensch, den andere kulturelle und religiöse Gebräuche und Traditionen irritieren, ist ein Fremdenfeind oder rechtsradikal. Auch muss die Bedeutung des Begriffs Populismus genau analysiert werden. Menschen, die eine christliche Wertordnung mit Frieden und Gerechtigkeit vertreten, werden ungerechte und unmenschliche Wertestrukturen mit Gewissensentscheid und Liebe erkennen. Das hat Bonhoeffer mit einem hohen Maße getan. Sein Erbe ist auch unserem Verein anvertraut.
Fragen zum Nachdenken und Diskutieren:
1. Widerstand gegen Unrecht mit Gewalt oder ohne?
2. Was ist für dich Gewissen? Wo hast du Situationen erlebt, wo dein Gewissensentscheid der bestimmende Faktor für dein Reden und Handeln war?
3. Paulus van Husen hat den Tiefgang der Gespräche im Kreisauer Kreis geschätzt. Wie findest du die Gespräche in unseren monatlichen Versammlungen?
Lesen wir bis zum Rundbrief August 2019:
Psalmen 137 – 139; Matthäus-Evangelium Kapitel 15, die Verse 21 - 28