Georg Trakl "Ein Winterabend" - Literaturreflektion unseres Vereinsmitglieds Mechthild Podzeit-Lütjen

Geschrieben von Super User on . Posted in Beiträge/Kommentare Archiv

Im Winter

Georg Trakl (1. Fassung)           

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
lang die Abendglocke läutet,
vielen ist der Tisch bereitet
und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
kommt ans Tor auf dunklen Pfaden
Seine Wunde voller Gnaden
Pflegt der Liebe sanfte Kraft.

O! des Menschen bloße Pein.
Der mit Engeln stumm gerungen,
Langt von heilgem Schmerz bezwungen
Still nach Gottes Brot und Wein. 

                                             

Ein Winterabend
(2. Fassung – nach „Im Winter“)

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
lang die Abendglocke läutet,
vielen ist der Tisch bereitet
und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
kommt ans Tor auf dunklen Pfaden
Golden blüht der Baum der Gnaden
aus der Erde kühlem Saft.

Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
auf dem Tische Brot und Wein.

 

Dieses Gedicht war 2021 Grundlage einer Literaturreflexion von unserem Vereinsmitglied Mechthild Podzeit, BA MA, Prof. Dr. Dr. H. Jakob Deibl: Rezeption der Dichtung Georg Trakls (2021W): EIN WINTERABEND
Mechthild hat diese unserem Verein als Weihnachtsgabe zur Verfügung gestellt.
Herzlichen Dank hierfür!


Geheiß und Entsprechen

Nach seiner einzigen öffentlichen Lesung am 10. Dezember 1913 in Innsbruck entwarf Georg Trakl dieses Gedicht, das zu seinen bekanntesten zählt. Eine Szene aus der Novelle „Vom Podvelež“, die der Autor Robert Michel am selben Abend vorgetragen hatte, mag dazu eine Anregung gegeben haben: Darin erfriert ein Mann in der Nacht unter für ihn demütigenden Umständen. Die im Gedicht dargestellte Situation nimmt darauf aber nicht unmittelbar Bezug, sondern verweist auf die “Anschauung” von Brot und Wein. Ob dieses “Abendmahl” für den Wanderer bereitet ist, bleibt offen.

Zunächst trug das Gedicht den Titel „Im Winter“; Trakl überarbeitete es, vor allem die letzte Strophe, mehrfach und änderte für die Drucklegung den Titel. Eine Fassung schickte er an den von ihm verehrten Karl Kraus, den er schon vorher im Rahmen einer Rundfrage des „Brenner“ in einem Gedicht charakterisiert hatte.[1]

Inhaltlich haben wir versucht das Gedicht „Ein Winterabend“ von Georg Trakl zu interpretieren. Wobei wir natürlich nicht auf die Genese der Entwicklung dieses Gedichtes eingehen konnten. Wir versuchen, uns Zugang über seine Sprache zu verschaffen, eingehen, orten, verorten, Wiederholungen, Topographie, Bezüge und bei 2 Versionen eben bewusste Auslassungen – die in Rückschlüssen uns annähern lassen.

Würde man Trakl dazu befragen, zur Semantik beispielsweise, wäre er nicht erstaunt, wie unterschiedlich ‚es‘ ankommt; denn es gibt nie „die“ Aussage, es gibt stets viele Aussagen, das Dazwischen, das nicht Geschriebene, klingt jedem Hörenden anders im Ohr. Selbst aber die Sprache, das zur Sprache gewordene in Silben zu Wörtern, Rhythmus, Reimen und auch deren Bruch, bewusst gesetzt, bildet Bilder, zeichnet ab und die Sprache spricht.

Daher haben diese Gedichte durch alle Zeiten hindurch bleibende Präsenz. Gedichte, wie diese, formen etwas im Menschen, das einem Steg gleich etwas zur Transzendenz des Seins vermittelt.

Nehmen wir das Adjektiv in Zeile 11 Golden blüht der Baum der Gnaden. Wir wissen, dass Trakls Gedichte Farben durchziehen. Viele Farben. Nicht gülden – blüht – sondern golden als geistliches Motiv zu Gnaden, (pure, reine, aber auch harte) Heiligkeit als Anfrage oder Feststellung, ich behaupte, immer als Frage, auch ohne Interpunktion, als Herausforderung an das Göttliche: „jetzt mach‘ du mal Gott mit deiner Verheißung“ – denn trotz Winter kein Christ- oder und auch Weihnachtsbaum – denn: Aus der Erde kühlem Saft – gleicht, korrespondiert blüht mit kühlem – und wir wissen sofort, dass dem blühendem Baum der golden Gnaden kein langes Leben beschert ist, denn das Golden hat den Wanderer nur kurz geblendet; „dir blüht noch was“ ist ja auch eine gängige Drohung. Der kühle Saft nimmt das Gold im Fluss mit – der Tod ist hier implementiert. Goldmotiv auch als Verklärung in der Epiphanie der Toten. Die Frage bleibt, ob die Markierung/ Zäsur Tor, die Blendung davor oder danach stattfand und damit Brot und Wein eine fundamentale, nämlich nicht weltliche Bedeutung verschafft – es kann sein, und es ist so gewollt, diese Gegenüberstellung des menschlichen IST und die göttliche Erlösung – nah dran, aber kaum eingelöst?

Es wird nicht der Bogen des Tores erwähnt, sondern die Schwelle – Schmerz versteinerte die Schwelle[2] (Präteritum), zum Betreten – wie erlöst soll die Mimik aussehen? Es geht hier um existentielle Gestimmtheit, verweilend. In der das Sein keiner Worte bedarf. Es ist da eine Stille im Raum und um den Raum des Gedichtes. Denn es ist kein lauter Schmerz. Es hätte des Adjektivs still nicht bedurft – die Erschöpfung kann still sein.

Die Sprache ist: Sprache. Die Sprache spricht. Wenn wir uns in den Abgrund, den dieser Satz nennt, fallen lassen, stürzen wir nicht ins Leere weg. Wir fallen in die Höhe (Hölderlin). Deren Hoheit öffnet eine Tiefe. Beide durchmessen eine Ortschaft, in der wir heimisch werden möchten, um den Aufenthalt für das Wesen des Menschen zu finden.[3]

Der Baum der Gnaden wird hier aus dem Baum der Erkenntnis heraus gelöst!

Auffallend ist außerdem, dass Trakl trotz Interpunktion jeden Zeilenanfang mit Majuskel beginnt. Aber dieses dient lediglich einem einheitlichen Schema.

Hier verbindet sich Trakl immer wieder durchaus christliches Erlebnis der Vergänglichkeit allen irdischen Lebens mit der Vorstellung des abwesenden Gottes und dem modernen Gefühl der Gottesferne zu einer Daseinsstimmung, in der statt eines allmächtigen Gottes der allmächtige Tod über die irdische Welt herrscht. Im Sinne einer frömmigkeitsgeschichtlichen Bewußtseinsanalyse könnte man davon sprechen, daß die absolute Todesfixierung bei Trakl unter anderem mit dieser radikalen Deus-absconditus-Vorstellung, d. h. mit der partiellen Loslösung vom traditionellen Gottesbild zusammenhängt. Während der Gott des kirchlichen Christentums nämlich allmächtig in seine Schöpfung eingreift, sich offenbart, spricht und nicht zuletzt den Menschen vom Tod erlöst, tut der Deus-absconditus der Traklschen Bilderwelt genau das Gegenteil: er ist abwesend, er schweigt und gibt die irdische Welt, den Menschen und sogar seine Engel der Todesverfallenheit preis.[4]

Engeln: Das Gedicht „Im Winter“ in der Erstfassung trägt oben Ausgeführtem Entsprechung.

Der Terminus „Langt“ ist ein regionaler Deutscher Begriff, der im Österreichischen seine Entsprechung in „greift“ erfährt. Ersterer assoziiert ‚verlangt‘ und auch ‚es langt‘ : ‚es reicht‘!                             



[1] © Internationales Trakl-Forum der Salzburger Kulturvereinigung. F.d.I.v.: Dr. Hans Weichselbaum (Hrsg.): Georg Trakl: Die ‘Salzburg’-Gedichte.

[2] https://www.uni-mozarteum.at/apps/app_ck/ckuserfiles/18725/files/2014-11-30_Vereno_An_versteinerter_Schwelle.pdf  Hinweis zu wunderbarer Aufführung von Trakl Texten zum 100. Todestag.

[3] Heidegger, Martin: Unterwegs zur Sprache. Klett-Cotta. Stuttgart. 152012.

[4] http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2006/0156/pdf/dns.pdf Abruf 27.11.2021