Frauen im Widerstand: Ruth von Kleist-Retzow, die Großmutter von Bonhoeffers Verlobter

Geschrieben von Super User on . Posted in Beiträge/Kommentare Archiv

Ruth von Kleist-Retzow und Dietrich Bonhoeffer verband mehr als nur der gemeinsame Geburtstag, der 4. Februar.

Sie wurde Förderin von Bonhoeffers Predigerseminar in Finkenwalde und ermöglichte ihm die Arbeit an seinem Werk „Ethik“.
Ihre Enkeltochter wurde seine große Liebe: Maria von Wedemeyer

Ruth von Kleist-Retzow wurde 1867 als Gräfin von Zedlitz-Trützschler geboren.
Ihr Weltbild wurzelte im Glauben und in der preußisch-konservativen Tradition. Eigentum begriff sie als soziale Verpflichtung und sie erkannte schon bald die Grenzen des Feudalsystems. Mit 19 Jahren heiratete sie. Bereits im Alter von 30 Jahren - kurz nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter, die ebenfalls auf den Namen Ruth getauft war - wurde sie Witwe. Ihre Tochter Ruth war die Mutter von Maria von Wedemeyer, Bonhoeffers Verlobter.
Ruth von Kleist-Retzow musste ihr Leben fortan allein in die Hand nehmen. So war sie nicht nur für die Erziehung ihrer fünf Kinder verantwortlich, sondern auch für das Wohlergehen aller Dorfbewohner in und um das Gut in Kieckow (heute Kikowo in Polen). Sie zog nach Stettin und übertrug die Leitung des Gutshofes einem Verwalter. Als 1914 die Söhne in den Krieg ziehen mussten, übernahm sie wieder selbst die Leitung und versammelte Töchter, Schwiegertöchter und Enkelkinder unter ihrem Dach.

Sie engagierte sich in der 1922 gegründeten „Berneuchener Bewegung“, die die Erneuerung der evangelischen Kirche zum Ziel hatte.
1926 wurde das Berneuchener Buch veröffentlicht. Es sollte der Kirche einen Weg zum Aufbruch zeigen.  Anna Paulsen und sie waren die einzigen Frauen unter den 70 Unterzeichnenden. Im gleichen Jahr verfasste sie eine Abhandlung über „Die soziale Krisis und die Verantwortung des Gutsbesitzers“.

Ende der Zwanzigerjahre erkannte sie bereits die Gefahr des aufkommenden Nationalsozialismus unter Adolf Hitler. Nach der Machtergreifung Hitlers engagierte sie sich in der Bekennenden Kirche. Durch ihr dortiges Engagement lernte sie Dietrich Bonhoeffer kennen und wurde ihm eine mütterliche Freundin.
Sie unterstützte sein Predigerseminar in Finkenwalde und ermöglichte ihm in ihrem Haus an seinem Werk „Ethik“ zu arbeiten, nachdem er zu Rede- und Schreibverbot verurteilt worden war. Jüdische Flüchtlinge fanden bei ihr Unterschlupf. Dietrich Bonhoeffer verhalf ihnen zu Visa und zur Ausreise nach Schweden. Ihr Bekannten- und Verwandtschaftskreis war ein kleines Sammelbecken der Opposition gegen Hitler. Ihr Gutshaus in Klein Krössin wurde Ort regelmäßiger Treffen dieser Widerstandsaktivisten.
Ihr Gutsnachbar, Ewald von Kleist-Schmenzin (hingerichtet in Berlin-Plötzensee am gleichen Tag wie Dietrich Bonhoeffer), gehörte zu den frühen Gegnern des Hitler-Regimes, sein Sohn Ewald Heinrich war in einen Attentatsplan auf Hitler verwickelt. Ihre Neffen Henning von Tresckow (Freitod am Tag nach dem Attentat des 20. Juli) und Gerd von Tresckow (am 6. September 1944 im Zellengefängnis Lehrter Straße zu Tode gefoltert) waren am Attentat des 20. Juli an Hitler beteiligt, genau wie Fabian von Schlabrendorff, der mit ihrer Enkelin Luitgarde verheiratet war und nach dem Krieg Richter am Bundesverfassungsgericht wurde.

Ruth von Kleist-Retzow erlebte, dass viele Freunde und Verwandte zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden oder den Suizid wählten.

Sie selbst versuchte Anfang 1945 mit einem Treck vor der herannahenden Roten Armee zu fliehen. Das Vorhaben scheiterte. Die Sowjets besetzten ihr Gut, das sie jedoch unter Beobachtung weiterführen durfte. Nach einem Sturz im Spätsommer 1945 wurde sie bettlägerig. Auf ihrem Sterbebett im pommerschen Kieckow erfuhr sie, dass ihr Freund Dietrich Bonhoeffer kurz vor Kriegsende hingerichtet worden war.

Im Herbst 1945 verstarb sie 78jährig.

Am Tag der Beerdigung gab der russische Kommandant allen Arbeitern des Gutes zum ersten Mal seit sieben Monaten frei, da selbst er der Meinung war: Frau Kleist war eine großartige Dame.

Alles, wofür Ruth von Kleist-Retzow stand und was sie unternahm, wurzelte in ihrem tiefen christlichen Glauben. Aus diesem bezog sie ihre Stärke, mit der sie ihr ganzes Leben meisterte. Durch ihre Überzeugungen und ihr Handeln wurde sie ein Vorbild für ihre Familie, ihre Freunde und ist es bis heute noch für nachfolgende Generationen.

 

Quellen: Die Zeit 27/1997, Heft 1/2014 Zukunftsmusik von Sophie Kitzmann, Wikipedia