Frauen im Widerstand: Heldinnen ohne Namen - Die Frauen der Rosenstraße
Wenn man von jemanden erzählt bekäme, dass 1943 mitten im nationalsozialistischen Zentrum Berlins hunderte Frauen auf die Straße gegangen wären, um für Juden zu demonstrieren, die gerade von der Gestapo verhaftet worden waren und in die Vernichtungslager deportiert werden sollten, dann würde man zunächst ungläubig zuhören…
Dieses Ereignis hat tatsächlich stattgefunden!
Tag für Tag, Schritt für Schritt arrangierten sich damals viele Deutsche mit dem Hitler-Regime. Hetze und Verfolgung der „nichtarischen“ Bürger wurden alltäglich.
Bis Kriegsende lebten jüdische Partner aus "Mischehen" in wachsender gesellschaftlicher Isolation und unter der ständigen Gefahr der Deportation. Deutsche, die mit sogenannten Nichtariern verheiratet waren, verstießen gegen die nationalsozialistische Ideologie der Reinrassigkeit und gegen geltendes Recht. Seit den Nürnberger Gesetzen 1935 galt sexueller Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden als „Rassenschande“ und wurde als Straftat verfolgt.
Mitte Februar 1943 hielt Josef Goebbels im Sportpalast in Berlin seine Rede, in der er hetzte: „Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können?“ Die handverlesenen Deutschen im Sportpalast jubelten frenetisch.
Ende des Monats gab Goebbels den Befehl zu einer Deportationswelle, der er den Namen „Entjudung des Reichsgebietes“ gab. In deren Verlauf verhafteten die SS und die GeStaPo allein in Berlin rund 8.000 jüdische Bürger. Unter den Verhafteten befanden sich etwa 2.000 männliche Juden aus sogenannten Mischehen, die bislang geduldet und von der Verfolgung verschont worden waren. Separiert von den restlichen Gefangenen brachte man sie in das Gebäude der ehemaligen Berliner jüdischen Sozialverwaltung in der Rosenstraße.
Bereits am Abend des 27. Februar formierte sich vor dem Gebäude eine Menschenmenge, die vorwiegend aus Frauen, Angehörigen und Kindern der Inhaftierten bestand.
Foto aus dem Film „Rosenstraße“ von Margarethe von Trotta
Über eine Woche lang protestieren hunderte - einige Quellen sprechen von über 600 - „arische“ Frauen in der Rosenstraße in Berlin. Sie kämpften um ihre jüdischen Männer und trotzten den Befehlen der Polizei.
Demonstrationen und Aufmärsche waren verboten und der nationalsozialistischen Partei und der Regierung Hitlers vorbehalten. Besonders in Kriegszeiten wurden Ansammlungen durch die Polizei, SS und GeStaPo sofort auseinandergetrieben und die Teilnehmer verhaftet.
Eine Zeitzeugin: "Wir wussten, was passieren würde, wenn wir unsere Männer nicht herausbekämen. Einer von der SS drohte uns: 'Lange geht das nicht gut. Das könnt ihr euch merken.' Nach einigen Tagen stellten die Polizisten und die SS Maschinengewehre auf, fädelten Munitionsketten ein und warnten uns: 'Wenn Sie jetzt nicht gehen, schießen wir!' Nun war uns alles egal. Wir brüllten: 'Ihr Mörder – lasst unsere Männer frei!'" Die SS schoss nicht – selbst Goebbels hatte Hemmungen, hunderte deutsche(!) Frauen und Kinder in der Öffentlichkeit erschießen zu lassen – nicht aus humanitärem Gewissen – er befürchtete wohl zu Recht, dass eine solche Aktion die deutsche Bevölkerung aufgebracht und vielleicht zum Sturz des Regimes geführt hätte.
Am 5. März wurden 25 Inhaftierte aus der Rosenstraße in das KZ-Auschwitz III-Monowitz deportiert. Durch die Demonstrationen der Frauen in der Rosenstraße, wurden sie nach wenigen Wochen zurückgeholt und später auch aus der Haft entlassen.
Ab dem 6. März 1943 wurden die in der Rosenstraße Internierten nach und nach freigelassen. Mit jeder Freilassung dünnte die Menge vor dem Gebäude mehr und mehr aus. Die Entlassenen befanden sich in einem sehr schlechten körperlichen und seelischen Zustand. Mehr als eine Woche lang waren sie in Räumen untergebracht, die so dicht belegt waren, dass sich die Menschen beim Stehen, Sitzen und Schlafen abwechseln mussten. Auf eine freie Toilette mussten sie oft stundenlang warten. Waschmöglichkeiten waren gar nicht vorhanden, es war ja ein ehemaliges Verwaltungsgebäude, keine Haftanstalt.
Von den über 6.000 Juden, die in den anderen Sammellagern inhaftiert waren, wurden einige nach Theresienstadt deportiert. Die meisten wurden in das KZ Auschwitz-Birkenau verschleppt und ermordet. Aus Verzweiflung begingen viele der Verfolgten noch in den provisorischen Lagern Selbstmord, mehreren tausend gelang es zumindest zeitweise, in der Stadt unterzutauchen und sich der Verhaftung zu entziehen, so wie der damals gerade 18-jährige Hans „Dalli-Dalli“ Rosenthal, der sich bis Kriegsende ständig auf der Flucht in Kleingärten und Kellergewölben Berlins vor den Nazi-Schergen verstecken konnte und so überlebte.
Es gab während des Krieges auch in anderen deutschen Städten öffentliche Proteste. Einige Wochen nach dem Aufstand in der Rosenstraße protestierten nach Berichten der Polizei in Dortmund etwa drei- bis vierhundert Frauen erfolgreich gegen die Verhaftung eines Soldaten. Sie skandierten nach dem Vorbild der Frauen der Rosenstraße: „Gebt uns unsere Männer wieder!“
Am 11. Oktober 1943 demonstrierten in Witten im Ruhrgebiet etwa 300 Frauen gegen ihre Evakuierung durch die Behörden, welche ihnen Lebensmittelmarken verweigerten, um sie so zur Aufgabe zu zwingen. Gegen ebensolche Maßnahmen protestierten am darauffolgenden Tag auch in Lünen, Hamm und Bochum Frauen auf offener Straße. Wenngleich sich der Protest in diesen Fällen nicht gegen die Verhaftung von Juden richtete, so ist all dieser Auflehnung von Frauen doch gemeinsam, dass das Regime letztlich klein beigeben musste.
Noch Anfang 1945 beschloss das Reichssicherheitshauptamt den Abtransport aller in „gemischtrassigen“ Ehen lebenden Juden in das KZ-Theresienstadt. Die Deportation scheiterte glücklicherweise an mangelnden Transportkapazitäten, sodass in Berlin über 4.000 Jüdinnen und Juden aus "Mischehen" überlebten.
Diese mutigen Frauen in der Berliner Rosenstraße und in den anderen Städten haben bewiesen, dass auch unter den Bedingungen eines mörderischen totalitären Systems erfolgreicher Widerstand möglich ist. Ihr Mut und ihr Einsatz widerlegt die Mär vom »Man konnte nichts dagegen tun«!
Die Ereignisse des Rosenstraßen-Protestes wurden 2003 von Margarethe von Trotta in ihrem Streifen „Rosenstraße“ verfilmt. (In unserer Dietrich-Bonhoeffer-Bibliothek zu entleihen.)
Heute, da Rechtsextremismus sich wieder einnistet, sollen die Frauen der Rosenstraße uns als Beispiel dienen!
Foto Wikipedia: Rosenstraße Denkmal
Inschrift:
DIE KRAFT DES ZIVILEN UNGEHORSAMS
DIE KRAFT DER LIEBE
BEZWINGEN DIE GEWALT DER DIKTATUR
GEBT UNS UNSERE MÄNNER WIEDER
FRAUEN STANDEN HIER
TOD BESIEGEN
JÜDISCHE MÄNNER WAREN FREI
Quellen: visitberlin.de, Wikipedia, tagesspiegel.de, zeit.de, Spiegel online, juedische-allgemeine.de, berlin-judentum.de