Rundbrief 2016-05 Die Erklärung des katholischen Pfarrers Thomas Frings

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HAPAX und herzliche Grüße zum Rundbrief im Mai 2016!

Zwei Fragen haben Bonhoeffer beschäftigt: „Wer ist Jesus Christus für uns heute?“ und „Was ist Kirche?“.

Bereits in seiner Dissertation „Sanctorum Communio“ sieht er die Kirche als eine Gemeinschaft von Heiligen.

Für Bonhoeffers Kirchenverständnis sind zwei Erkenntnisse wichtig. Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Und Kirche darf sich nicht bequem in der Gesellschaft und Welt einrichten, sondern muss auch die kritische Kraft des Evangeliums in der Gesellschaft und Welt zur Sprache bringen. Sie muss sich also auch einmischen.

In der Wochenzeitschrift „Die Furche“ vom 18. April 2016 stand ein Artikel über die Erklärung des r. k. Pfarrer Thomas Frings aus Münster, der sein Amt niedergelegt hat, weil er eine Kurskorrektur der r. k. Kirche für nötig hält und neue Wege ihres Wirkens suchen will.

Wie sehen wir den gegenwärtigen Kurs der ev. Kirche, der r. k. Kirche und der anderen christlichen Kirchen? Sind Kurskorrekturen nötig? Wenn ja, wo und wie?

Versuchen wir eine Antwort zu finden mit Hilfe eines Auszuges der Erklärung von Thomas Frings!

„An diesem Wochenende habe ich den Gemeindemitgliedern mitgeteilt, dass ich auf meinen Wunsch hin ab Ostermontag vom Bischof als Pfarrer entpflichtet und als Priester beurlaubt werde. Ich werde weiterhin Priester bleiben, mich aber zunächst einmal für einige Zeit ins Kloster zurückziehen. Meine Beweggründe habe ich in dem folgenden Text zusammengefasst.

Eine Berufung und Begabung zu einem Dienst in einer Glaubensgemeinschaft gaben mir Halt und Orientierung. Ich hatte die Möglichkeit zu suchen und habe gefunden. An allen Orten, an denen ich als Priester wirken konnte, war ich so, dass ich auf nichts anderes gewartet habe. Innere und äußere Umstände führten zu einer hohen Zufriedenheit.

Die Veränderungen im Verhältnis der Gesellschaft zur Kirche, aber auch das Verhalten der Mitglieder in ihr, haben zu einer schrittweisen Veränderung bei mir geführt. Solange ich lebe, kenne ich nur eine schwindende Zahl bei den in der Kirche Aktiven und eine wachsende bei den Kirchenaustritten. Die Reaktionen auf dieses Phänomen sind bei Kirchenleitung, Gemeindeleitung und in den Gemeindegremien sehr ähnlich. Gemeinden, Seminare und Klöster werden geschlossen oder zusammengelegt, um dann meist das Bisherige weiterzumachen.

Der hohe Einsatz von Priestern der Weltkirche, ermöglicht durch die Kirchensteuer, überbrückte wiederum einige Jahre. Inzwischen steuern die Eintrittszahlen in den Seminaren mancherorts auf eine Null-Linie zu. Wir gestalten die Zukunft von Kirche in den Gemeinden immer noch nach dem Modell der Vergangenheit. Auch ich habe dafür nicht die eine Lösung parat. Was erwarten wir von den Männern, die sich in dieser Situation auf den Weg machen, um Priester zu werden? Kann man dafür guten Gewissens noch werben?

Unsere zahlreichen Kindergärten und Schulen werden als Chance der Glaubensverkündigung gesehen. Ist diese Hoffnung in den letzten Jahrzehnten in Erfüllung gegangen?

Was sich unter dem Begriff Caritas herausgebildet hat, ließ der Kirche lange Zeit höchsten Respekt zukommen. Das soziale Engagement war eine gute Begründung für eine Kirchenmitgliedschaft. Die letzten Umfragen haben gezeigt, dass die Menschen Caritas und Kirche kaum mehr zusammen sehen. Wofür steht Kirche dann noch bei diesen Menschen?

Sind die Sakramente der Taufe, Firmung und Trauung auf den einmaligen Empfang angelegt, so entfalten sich die der Eucharistie und Beichte gerade in ihrer Wiederholung. Es gibt keine Sakramente der Erstkommunion und der Erstbeichte. Entwickelten sich die Modelle der begleitenden Katechese in einer Zeit, in der sie als Ergänzung zum Besuch der Sonntagsmesse verstanden wurden, so stehen sie heute an ihrer Stelle. Begründet wird das Festhalten an diesem Modell mit der Hoffnung, dass die Saat eines Tages aufgehen werde. Die erste Generation, von der man das erhoffte, kommt ins Rentenalter und tritt vermehrt aus der Kirche aus, wie die letzten Austrittszahlen zeigten.

Wir haben den Satz “Die Menschen da abzuholen, wo sie stehen“ gelernt umzusetzen. Jetzt müssten wir noch den Umstand akzeptieren, dass immer mehr Menschen gar nicht dahin wollen, wo wir sie hinführen möchten, nämlich zur Mitfeier dieser Sakramente.

Sehe ich zu sehr das Negative? Vielleicht! Sollte ich mehr die Menschen sehen, die es ernst meinen? Vielleicht! Wir bedienen zu viel Tradition und wecken zu wenig Sehnsucht. Ich bin kein Verfechter des „heiligen Restes“, wohl aber eines mutigen Abschiednehmens vom Gewohnten, auch wenn es Ärger gibt.

Ich feiere mit Freude die Messe, am Sonntag wie am Werktag. Ich freue mich über jeden, der dies ebenfalls tut und sei es unregelmäßig. In unserer Gemeinde kommen ca. 90% jedoch nicht einmal im Jahr am Sonntag, 70% nicht einmal an Weihnachten.

Dennoch wächst der Spagat zwischen den immer seltener im Leben der Menschen stattfindenden Gottesdienste (Hochzeit, Taufe, Erstkommunion, Firmung, Beerdigung, Jubiläum, Weihnachten) und der inneren Gestimmtheit dafür, dem Grundgerüst, das man zum Mitfeiern vielleicht braucht. Der Anspruch, dass diese seltene Feier dann serviceorientiert, fehlerlos, auf hohem Niveau geliefert werden soll, ist für mich immer schwerer auszuhalten.

Foren, Synoden, Umfragen, Erhebungen, Untersuchungen, Dialoge, Beratungen, Pläne – all das sind notwendige Aktionen angesichts der aktuellen Probleme. Viele Gespräche und Überlegungen bringen Erkenntnisgewinn. Dennoch fällt die Bilanz ernüchternd aus, hat sich doch am Bedeutungsverlust vom in der Kirche gelebten Glauben nichts geändert – und ich glaube, dass sich daran zu meinen Lebzeiten auch nichts ändern wird.

Wir sind Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung, auf die wir nur einen marginalen Einfluss haben. Und dass wir durch Kindergärten als Lernorte des Glaubens oder kirchliche Schulen noch spürbaren Einfluss nehmen, daran habe ich den Glauben verloren. Trotz des Versprechens der Eltern hinsichtlich der Erziehung im Glauben, können die meisten Kinder bei der Kommunionvorbereitung weder Kreuzzeichen noch Vater Unser. Doch alle gehen jahrgangsweise zur Kommunion, mit der die meisten Familien weder vorher noch nachher etwas anfangen. Dies sind Realitäten, mit denen ich mich kaum mehr abfinden kann. Und ich habe mich 25 Jahre als Pfarrer wahrlich bemüht.

Bin ich Priester geworden mit der Erwartung, dass Glaube und Kirche wieder relevanter werden? Mit 27 hatte ich zumindest Hoffnung! Aber unter veränderten Koordinaten habe auch ich mich verändert. Ich habe den Glauben daran verloren, dass der Weg, auf dem ich als Gemeindepfarrer mit Freude und Engagement gegangen bin, ein zukunftsweisender ist. Bestenfalls vermag er eine leichte Bremse auf dem Weg des Bedeutungsverlustes sein.

Seit der Gemeinschaft der Apostel hat es nie eine ideale Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu gegeben. Es ist jedoch ein Unterschied, ob diese Gemeinschaft sich ausbreitet, Gemeinden gründet, Kirchen baut und Gesellschaft beeinflusst oder ob man Zeit seines Lebens einen Konsolidierungsprozess erfährt, in dem gleichzeitig die Servicementalität wächst. Was ich nicht verloren habe, ist der Glaube daran, dass es ein christliches Programm für unsere Gesellschaft gibt, für das es sich zu leben lohnt.

Ich war Pfarrer in drei Gemeinden. Die beiden vorherigen wurden fusioniert und bei der jetzigen werde ich schwerlich in zehn Jahren einen Nachfolger bekommen. Dennoch ist der Blick zurück keineswegs enttäuschend. Angesichts der Entwicklung sehe ich auf diesem Wege aber keine Zukunft. Hinter das Vergangene mache ich ein großes Ausrufezeichen, vor dem Zukünftigen steht ein großes Fragezeichen.

Es ist auch nicht so, als ob ich wüsste, wie der Weg in die Zukunft für Kirche und Gemeinden auszusehen hat. Mein Leben als Priester habe ich als erfüllend erfahren und möchte weiter Priester bleiben. Dennoch erlebe ich es als Gemeindepfarrer vermehrt in einer Funktion des Bedienens von Traditionen und als Verfügungsmasse einer Kirche, die auf allen Ebenen mehr an ihrer Vergangenheit arbeitet als an ihrer Zukunft.

Ich kenne den Weg nicht, der vor mir liegt. Ich werde gehen und suchen. Unserem Bischof danke ich dafür, dass er mir eine Auszeit ermöglicht, in der ich zunächst für eine Zeit in ein Kloster gehen werde.

Mit aller Klarheit und Deutlichkeit sage ich am Ende dieser Stellungnahme, dass ich niemandem einen Vorwurf mache. Nicht den Gemeinden, in denen ich tätig war, nicht den Seelsorgerinnen und Seelsorgern und nicht dem Bischof und der Bistumsleitung, mit denen ich 30 Jahre zusammen gearbeitet habe. Ich habe nicht die Lösung für die Umbruchsituation, in der wir uns befinden. Meine Bewunderung gilt allen, die in den Gemeinden in dieser Zeit aktiv bleiben. Ich möchte an anderer Stelle für sie und alle Menschen glauben, beten und leben.“

 

Lesen wir bis zum nächsten Rundbrief im Juni 2016:

Psalmen 31 – 33; Matthäus 7, 7 – 11

Beste Grüße, Euer Obmann Uwe