Rundbrief 2017-05 Ein deutsches Leben

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HAPAX und ein herzliches Hallo!

Anfang April 2017 sah ich im Volkskino Klagenfurt den Film „Ein deutsches Leben“. In diesem erzählt Brunhilde Pomsel aus ihrem Leben und ihrer Zeit als Sekretärin von Josef Goebbels.

Brunhilde Pomsel wurde am 11. Januar 1911 in Berlin geboren und starb am 27. Januar 2017 mit 106 Jahren (!) in München. Sie war in Berlin von 1942 – 1945 Sekretärin des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels.

Brunhilde Pomsel erlernte ihren Beruf bei dem jüdischen Rechtsanwalt Hugo Goldberg. Als Goldberg 1933 emigrierte, erhielt sie eine Anstellung bei der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft als Sekretärin und Stenografin. Zu dieser Zeit trat sie auch der NSDAP bei. 1942 erhielt sie eine Stelle beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Pomsel arbeitete bis zum Kriegsende im Jahr 1945 im Ministerbüro von Joseph Goebbels. Im Mai 1945 wurde sie im Keller des Propagandaministeriums durch sowjetische Truppen gefangen genommen und bis 1950 in den Speziallagern Buchenwald, Hohenschönhausen und Sachsenhausen interniert. Danach arbeitete sie wieder als Sekretärin beim Südwestfunk in Baden-Baden und bei der ARD-Programmdirektion Deutsches Fernsehen in München. 1971 ging sie mit 60 Jahren in den Ruhestand. Zuletzt lebte sie in einem Altersheim in München-Schwabing.

Am 18. April 2016 hatte „Ein deutsches Leben“, ein Dokumentarfilm über Pomsel, beim Visions du Réel in Nyon Weltpremiere und wurde bald danach beim Filmfest München, beim Jerusalem Film Festival und bei der Diagonale in Graz gezeigt. Der Film wurde von dem österreichischen Regisseur Christian Krönes zusammen mit Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer gedreht. Brunhilde Pomsel war bei den Dreharbeiten 103 Jahre alt.

Zum Kinofilm gibt es das Begleitbuch: Brunhilde Pomsel, Thore D. Hansen: Ein Deutsches Leben. Was uns die Geschichte von Goebbels' Sekretärin für die Gegenwart lehrt, Berlin, München, Wien, Zürich 2017. Dieses Buch steht in unserer Bonhoeffer-Bibliothek.

In diesem Buch stehen Aussagen, die Pomsel in dem Dokumentarfilm gesagt hat. Einige von diesen habe ich für Euch zusammengestellt:

„Aber die Menschen heute, die behaupten, sie hätten damals mehr getan für die armen verfolgten Juden. Das glaube ich ihnen sogar gerne, dass sie es ehrlich meinen, wenn sie es jetzt sagen. Aber sie hätten es auch nicht getan. Nachdem die Nazis an der Macht waren, war das ganze Land wie unter eine Glocke. Wir waren ja alle in einem riesigen Konzentrationslager. Nachdem Hitler an der Macht war, war es für alle zu spät. Und jeder hatte seine persönlichen Dinge, mit denen er fertig werden musste, und es waren nicht nur die Judenverfolgungen. Es war ja so vieles anderes auch. Dazu kamen die vielen Schicksale der eigenen Verwandten, die im Krieg waren. Das soll nichts entschuldigen.“ (Seite 139)

„Es war einfach ein bisschen Elite. Deshalb war es schon ganz nett, da zu arbeiten. Alles angenehm, gefiel mir gut. Nett angezogene Menschen, freundliche Menschen. Ja, ich war halt auch sehr äußerlich in der Zeit noch, sehr dumm.“ (Seite 142)

„Ich hab vielleicht mit mehr Kriminellen in meinem Land gearbeitet, als ich weiß. Das weiß man ja vorher nicht. Und in der Zeit, als ich bei Goebbels gearbeitet habe, da war er natürlich einer der allerobersten Chefs, kam gleich nach Hitler für mich. Und die Anordnung kam aus dem Ministerium an mich. So wie jeden Soldaten, der auf Russen, Franzosen oder Engländer geschossen hat, die sind ja deshalb keine Mörder. Sie haben ihre Pflicht erfüllt. Vorwürfe könnte ich mir eigentlich nur machen, wenn ich jemanden persönlich ungerechterweise sehr wehgetan hätte. Und an so was kann ich mich nicht erinnern.“ (Seite 145)

„Die Gleichgültigkeit der Menschen, wie sie auch jetzt immer wieder zu sehen ist. Dass wir wirklich in der Lage sind, uns im Fernsehen wieder anzusehen, wie diese grauenvolle Geschichte in Syrien geschieht, wie da Hunderte Menschen absaufen. Und anschließend gibt es dann noch einen bunten Abend. Wir ändern deswegen ja auch nicht unser Leben. Ich glaube, so ist das einfach im Leben. Es ist alles immer beieinander.“ (Seite 150)

„Sein wahres Gesicht (gemeint ist Goebbels) habe ich erst langsam entdeckt. Ich erinnere mich noch an die berühmte Sportplatzveranstaltung ‚Wollt ihr den totalen Krieg?‘ Das war wirklich ein Ausbruch, wie ein Ausbruch in einer Irrenanstalt, würde ich sagen. Nach dem Motto: Ihr könnt nun mal alle tun, was ihr wollt. Und dann, als ob jeder Einzelne aus dieser Menge von einer Wespe gestochen wäre, ließen sich alle plötzlich völlig gehen, schrien, trampelten und hätten sich am liebsten die Arme ausgerissen…Dass ein Mensch in der Lage war, Hunderte von Menschen dazu zu bringen, dass sie schreien, schreien, schreien: ‚Ja, wir wollen den totalen Krieg.‘ Wenn man das heute jemandem erzählt, die müssen doch alle den Kopf schütteln und sagen: ‚Ja, waren die denn alle besoffen oder was? Wie kamen diese Menschen dazu, so zu schreien?‘ Ich habe ihn in dem Augenblick scheußlich gefunden. Angst machend. Aber ich habe es dann auch wieder verdrängt.“ (Seite 154)

„Vor 1933 hatte ohnehin kein Mensch über die Juden nachgedacht, reine Erfindung der späteren Nazis…Wir hatten nichts gegen die Juden…Mit den Kindern der Juden haben wir gespielt…Und als der Nationalsozialismus näher kam, haben wir noch nicht begriffen, was kommen könnte. Da haben wir dem geliebten Führer zugewinkt. Warum auch nicht? … Erst mal bekamen die Leute Arbeit und Geld…Wir hatten ja insgesamt keine Ahnung, was da mit Hitler auf uns zukam.“ (Seite 158)

„Also, da waren wir wirklich alle wie gelähmt, dass sich so etwas ereignen konnte. Dass sie jüdische Menschen, überhaupt Menschen, zusammengeschlagen haben und die Fenster von jüdischen Geschäften zertrümmert und sich Sachen rausgeholt haben…Die haben sie abgeholt und auf Wagen weggefahren. Ja und wohin? Mehr wusste man nicht. Das war natürlich schon für alle, die sich auch nie besonders um Politik gekümmert hatten, und dazu gehörten wir, entsetzlich.“ (Seite 162)

„Wenn ich es alles hätte vorher erahnen oder wissen können, dann wäre ich bestimmt nicht in den Rundfunk oder ins Propagandaministerium gegangen. Goebbels war für mich ein Politiker, der ein bisschen laut schreien konnte. Ich habe doch überhaupt nicht darüber nachgedacht. Ich habe mir auch den ganzen Stuss, seine Reden, nie angehört. Jeder redete dasselbe. Genauso höre ich mir hier keine Bundestagsreden an. Ist doch alles nur Gewäsch, was sie von sich geben.“ (Seite 173)

„Das Böse gibt es. Den Teufel gibt es. Gott gibt es nicht, aber den Teufel gibt es. Es gibt aber keine Gerechtigkeit. Gerechtigkeit gibt es nicht.“ (Seite 110)

 

Lesen wir bis zum nächsten Rundbrief im Juni 2017:

Psalmen 66 – 68; Matthäus-Evangelium Kapitel 10, die Verse 34 – 39

Beste Grüße, Euer Obmann Uwe